Zitat von Chris_ohne_BBBB:1. Gibt es ein Recht auf Krankheit? Das bedeutet: Werden Lebenskrisen als Zei- chen des Versagens in einer allein auf Leistung ausgerichteten Gesellschaft gesehen oder als Möglichkeit zum per- sönlichen Wachstum?
Das war mal in den 1980ern Thema, aber im Zuge der neoliberalen Wende ist das vergessen worden, unter dem neurechten Klima wird die Frage nicht aufkommen.
Aber allgemein, Krisen und Krankheiten als Anzeiger einer möglichen Entwicklung: Ja, da kann ich viel mit anfangen.
Zitat von Chris_ohne_BBBB:2. Was ist das oberste Ziel psychiatrischer Behandlung: die Wiederherstellung der gesellschaftlichen Funktionsfähigkeit des Patienten oder dessen subjektiv empfundene Genesung?
Es geht schon stark darum, Menschen funktionieren zu lassen. Irgendwo muss die Gesellschaft natürlich auch laufen, aber aktuell scheint mir das ein wenig bis detulich zu stark in Richtung Funktionalismus zu gehen.
Zitat von Chris_ohne_BBBB:3. Welches ist der angemessene Weg zur Gesundung bzw. Genesung: Sollen die Behandler den Patienten zu erwünsch- tem Verhalten erziehen? Oder besteht die gemeinsame Aufgabe von Patienten und Behandlern darin, nach individuellen Wegen des Wachstums zu suchen und die Selbstheilungskräfte zu akti- vieren? Kurz: Geht es ums Zurechtstut- zen oder darum, Raum, Licht und Luft zum Wachstum zu geben?
Die Frage ist zwar ein wenig suggestiv, aber ich muss zugeben, dass ich auch eine tiefsitzende Abneigung gegen die Verhaltenstherapie habe - wenngleich ich einzelne, großartige Therapeutinnen kenne, die ich zumindest im persönlichen Umgang und auch ihrer Einstellung zur Therapie sehr schätze.
Zitat von Chris_ohne_BBBB:4. Wenn die gesellschaftlichen Bedingun- gen immer mehr Menschen psychisch krank werden lassen: Ist dann die Psychiatrie der verlängerte Arm der Gesellschaft, um die Menschen wieder funktionsfähig zu machen (oder auszu- sortieren)? Oder ist die Psychiatrie der Anwalt der Betroffenen, ein Unterstüt-
zer im Ringen um eine lebensgerech-
tere Welt?”
Vermutlich ist die umfassende Antwort, dass wir die große Kränkung konfrontieren müssen, dass unsere Lebensweise, die wir für so überlegen gehalten haben, gar nicht so - wenn überhaupt - überlegen ist. Auf Krisen mit Ansage und Jahrzehnte Vorlauf: Klima, demografischer Wandel, damit verbunden Probleme in Rente, Pflege und mancherlei mehr können wir nicht reagieren, die Selbstreparaturmechanismen der Demokratie funktionieren nicht, es läuft nirgendwo mehr richtig rund und das war das Polster, auf dem wir uns ausruhten: die Überlegenheit in der Praxis (sicher öfter als man hören wollte, auf Ausbeutung beruhend). Nun ist der Kaiser *beep* und alle sehen es.
Da nun wieder eingegliedert zu werden, macht keine gute Laune.
Zitat von Chris_ohne_BBBB:Ich würde gerne noch eine 5. Frage hinzufügen:
Was bräuchte es damit Menschen mit psychischen Erkrankungen gesund (oder gesünder) werden können?
Wendung nach innen, mehr Bildung, Reflexion. Die Regression und Verprollung ist zum Kotzen, man braucht dezentrale Inseln, auf denen Gutwillige zusammenfinden, den rechtspopulistischen Irrsinn gegen die Wand fahren lassen und kreativ nach neuen Wegen suchen.
Parallel zur Regression breiter Schichten gibt es eine kleinere Schicht, die die Angebote der Zeit konstruktiv nutzt und sich schnell weiter entwickelt. Die ideologische und monetäre Mittelschicht bricht weg, das muss sich neu sortieren, die Inseln können sich vernetzten, voneinander lernen und neue kreative Impulse setzen.
Inhaltlich würde mir eine Selbstversorger Gemeinschaft vorschweben, die nach thematischen Schwerpunkten gegliedert ist, in der Leute gemäß ihrer Neigung miteinander Leben und von einander profitieren können.
Wer das utopisch findet, sollte sich fragen, ob er/sie ein glückliches Ende im unterbesetzten Altenheim ernsthaft als die bessere Alternative ansieht. Ist natürlich nicht nur für alte Menschen gedacht, aber gerade auch die werden schwer unter die Räder kommen, in den nächsten Jahren.
19.09.2024 07:55 • x 3 #21