Hallo berliner,
Ich kann deine Angst vor der Klinik gut verstehen, und ich vermute, die ist mit deinen schlimmen Kindheitserinnerungen verbunden, wie du selber richtig bemerkst. Ich mag es auch nicht, in Krankenhäusern zu sein, weil da Kindheitsängste hoch kommen, die ich nicht absolut und endgültig abschütteln kann. Aber vielleicht raten dir auch gerade deswegen so viele Therapeuten zum Klinik-Besuch: Weil es ohne Konfrontation eben leider nicht geht.
Als mein Papa damals auf der Intensiv im Koma lag erlebte ich etwas sehr negatives in der Klinik und das hat meine Ängste wieder hoch geholt. Ich hab mich z.B. jeden Abend geduscht, weil ich fand, dass ich nach Klinik stinke und ich konnte erst schlafen, wenn ich komplett diesen Geruch weg gewaschen hatte. Ich hab das dem Therapeuten erzählt und dass wir in der Klinik noch Papierkram abholen müssten, sich meine ganze Familie aber seit Wochen davor drückt, weil wir alle nicht mehr da hin wollen. Er meinte dann nur: Gerade deswegen solltet ihr hin, besonders du. Ich dachte mir: Danke du Horst, dann geht's mir doch schlecht! Aber am Ende hab ich es dann doch gewagt. Bin hin gefahren, mit einem dicken Kloß im Hals und Herzstolperern natürlich, und hab mich erst mal vor'm Eingang auf eine Bank gesetzt und die Leute beobachtet. Die Klinik ist nämlich nicht der Ort des Schreckens, als den man sie als Kind empfindet. Es ist ein Ort, wo geholfen und geheilt wird. Das Ziel ist ja, dass man Menschen gesund wieder ins Leben entlässt. Also hab ich Ausschau gehalten nach gut gelaunten Kranken, nach Leuten die die Klinik wieder verlassen. Einfach nach positiven Momenten in der Klinik. Und es gibt mehr gute als schlechte Dinge zu beobachten, finde ich. Am Ende konnte ich dann wirklich rein gehen und das Papierzeug abholen. Das hat mich viel Überwindung gekostet, mir aber auch sehr geholfen.
Ich hab mich, davon abgesehen, nach den Therapiesitzungen oft schlechter gefühlt als ich es gewollt hätte. Weil der Therapeut Dinge anspricht und hervor holt, die ich eigentlich nicht besprechen oder lieber aufschieben wollte. Hat er aber nicht zugelassen. Die Therapiesitzungen waren hilfreich, aber auch oft erst mal unangenehm. Erst rückblickend hab ich erkannt, dass mir trotzdem jede einzelne Stunde einen Schritt nach Vorne geholfen hat. Eine Therapie ist nicht immer leicht und auch nicht immer schön. Aber im Endeffekt sind es gerade die unangenehmen Dinge, durch die man sich kämpft, die dann den größten Erfolg bringen. Meine zwei größten Erfahrungen waren auch als ich einmal Zuhause in Angstschweiß gebadet eine Panikattacke wirklich komplett ausgehalten habe, ohne entgegen zu wirken, und dann, als ich beim Deutsch-Abitur 6 Stunden lang andauernd Ängste, Zuckungen, Schweißausbrüche, Schwindel und all das hatte. Das war in dem Moment jedes Mal unangenehm. Aber wie Christina schon sagte: Es geht nicht ohne Konfrontation und Überwindung, man muss da durch, wenn man weiter will.
Therapeuten sind ja keine Kasper. Die haben erst lange studiert und dann aus eigener Tasche eine therapeutische Ausbildung bezahlt, die so an die 15.000€ kostet. Die wissen schon, was sie tun, und die sind da, um dir zu helfen. Wenn sie dir also zu Medikamenten oder einem Klinikaufenthalt raten, dann möchten sie dich damit nicht bestrafen oder wehtun, sondern wirklich nur helfen. Und gerade, wenn du rückblickend siehst, dass Selbstversuch und Therapie bisher wenig Nutzen gebracht haben, wäre es gut, auch mal die Alternativen zu überdenken.
(Also, wenig Nutzen gegen die Agoraphobie; im Bezug auf deine Mutter hast du ja schon große Sprünge gemacht.)
Könnte sogar sein, dass du in der Therapie deine Traumfrau kennen lernst. Passiert ja auch nicht gerade selten, dass sich Paare dort finden.
Und GastB hat auch Recht: Agoraphobie ist ein Pot, und dein Leben ist der andere Pot. Du köntest z.B. über Fernkurse dein Abi nachholen, wenn du derzeit nicht aus dem Haus kommst, oder für ein Callcenter arbeiten, da kann man oft von zu Hause aus die Leute anrufen. Es ist nämlich nicht unwahrscheinlich, dass dein Lebenspessimismus mit dem Nichtstun zusammen hängt. Arbeitslose leiden auch 3x häufiger an Depressionen und psychischen Erkrankungen als Berufstätige. Weil sie Daheim nur mit sich selber beschäftigt sind, ins Grübeln kommen, und keine richtige Aufgabe haben, sich nicht beweisen können, ihre Energie nirgendwo rein stecken und sich am Ergebnis freuen können. Und es ist auch wissenschaftlich erwiesen, dass wir unsere eigenen Probleme nicht mehr so ernst nehmen, wenn wir uns viel mit Anderen beschäftigen. Und auch, wenn dich die Phobie im Moment daran hindert, das Haus zu verlassen, dann entfalte doch da ein Hobby. Du schreibst ja selber, du möchtest auch einfach mal nur reden, über was ganz Normales, nicht bloß über deine Probleme -das ist auch eine gute Idee! Es gibt im Internet unzählige Hobbyforen, und es gibt viele Hobbies, die man Daheim ausüben kann. Gemeinsame Interessen und Hobbies verbinden. Mit einer meiner besten Freundinnen hab ich auch eigentlich bloß eins gemein: Dass wir beide Kanickel zu Hause haben. Unser Hobby hat uns zusammen gebracht. Und noch ein heißer Tip: In Tierliebhaberforen sind rund 90% der User weiblich und jeder Mann wird sehr herzlich Willkommen geheißen. (Es gibt auch Studiengänge, da hat man das Gefühl, dass sich die 10 Jungs unter den 100 Mädels eigentlich jede raussuchen können.) Und wenn du mit Tieren nichts anzufangen weißt, dann kannst du ja was Anderes machen. Modelbausätze zum Beispiel. Es gibt so Vieles, womit man sich beschäftigen könnte. Aber ich glaube, du beschäftigst dich im Moment hauptsächlich mit dir selber. Das ist auch gut, eine gewisse Zeit lang. Aber irgendwann kommt der Punkt, an dem man auch was Anderes machen muss, sonst kommt man nicht mehr von sich selber und seinen Problemen los.
Liebe Grüße,
Bianca
15.04.2010 06:33 •
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