(Fortsetzung zu den Beiträgen #1 und #42):
Ängste, Zwänge, Depressionen, Phobien - Parallelen zur Sucht und die Erkenntnis daraus / Teil 2Die Unterschiede zwischen Psychopharmaka und Suchtmitteln wie Alk. liegen jedoch in:
- ihrer
bewusst zielgerichteten Einnahme
- ihrer Verordnung seitens eines Arztes als sogenanntes Medikament
- ihrer ausschließlich rezeptpflichtigen
Verfügbarkeit- ihrem sozialgesellschaftlichen Status
- und v. a. ihrem
subjektiv empfundenen Image: Medizin ist gut, Suchtmittel sind schlecht.
Letzteres korreliert u. a. mit unserem Selbstbild. Niemand hat z. B. ein
schlechtes Gewissen, wenn er ein Antidepressiva nimmt. Man bindet das zwar nicht jedem auf die Nase, aber die Schwelle, darüber offen zu sprechen, ist im Vergleich zu (bewusstem) Alk.
deutlich niedriger. Und das, obwohl der
Effekt letztendlich nahezu derselbe ist! Man hat also kein Problem mit der
Funktion der beiden Mittel sondern mit ihrer
Wahl.
Im Zuge meiner Suchttherapie lernte ich (neben mir ) noch viele andere Menschen kennen, die zugaben, ohne Alk. oder anderen D rogen nur schwer leben zu können. Im Laufe der Therapie lernten wir u. a. deren umfangreiche Neurotransmitterfunktionen (NTF) kennen. Diese und das berüchtigte Suchtdreieck ließen so manchem von uns ganze Kronenleuchter aufgehen... Erstmals wurde verstanden,
was am Suchtmittelkonsum
krankhaft ist: nämlich der
Missbrauch. Und genau dieses Verständnis ist der Wegweiser zur Quelle der Misere.
Um einem Problem, egal welcher Natur, angemessen zu begegnen, bedarf es einiger Fähigkeiten. Im Laufe unseres Lebens lernen wir normalerweise
- was überhaupt ein Problem ist,
- wie man damit umgeht und (idealerweise)
- wie man es künftig verhindern kann.
Im Bereich von simplen Alltagsangelegenheiten in Haushalt, Schule und Beruf ist das relativ einfach. Jedoch ist es schon bedeutend anspruchsvoller, mit
geistigen und v. a. emotionalen Problemen umzugehen. Aus den unterschiedlichsten Gründen haben viele von uns
nicht oder nur unzureichend gelernt
- was überhaupt geistige oder emotionale Probleme sind
- wie sie entstehen oder entstanden
- welche Rolle die (Um)Welt und welche Rolle wir dabei spielen und
- v. a. wie sie zu
lösen sind
- und ob sie überhaupt zu lösen sein
müssen.
Besonders in jungen Jahren aber natürlich auch später wäre der Königsweg zur Beantwortung dieser Fragen:
Reden! Und zwar nicht unbedingt mit einem Psychologen sondern einfach mit einer vertrauten Bezugsperson. Naturbedingt ist das ein oder beide Elternteil(e). Was ab Geburt bereits via körperlichen Sinneskontakten vermittelt wird, müsste ab einem gewissen Alter via Sprache vervollständigt werden. Sprache bildet in hohem Maße das, was wir als unser Ich erleben und - ganz wichtig -
wie dieses Ich die Welt erlebt.
Wenn man sich diesen Fakt vergegenwärtigt, wird ziemlich klar ersichtlich, dass hier aus den unterschiedlichsten Gründen, durchaus Defizite vorliegen können. Dies nicht nur wegen etwaiger Abwesenheit der Eltern sondern auch aufgrund
derer Unfähigkeit, über derlei Probleme zu sprechen. Wer die Vita unserer Gesellschaft über die letzten paar Generationen überblickt, kann diesen Umstand durchaus nachvollziehen.
Ich möchte hier überhaupt niemanden verantwortlich machen, geschweige denn beschuldigen, sondern lediglich folgende Tatsache als hochwahrscheinliche Hauptquelle unserer im Erwachsenenalter fortgesetzten psychischen Probleme benennen:
wir haben es nicht gelernt, wie psychische Probleme entstehen und wie man damit angemessen umgeht. Dieser auf den ersten Blick banale Aspekt hatte jedoch weitreichende Folgen - nicht nur für den Einzelnen sondern auch für unsere Gesellschaft: zeitlebens fehlten uns
wesentliche Lebenswerkzeuge. So sehr wir im materiellen Bereich umfangreiche Entwicklungen durchmachten, so sehr blieben wir mittellos, was unsere
eigene Geistesschulung anbelangt.
Und sehr früh kamen (vermeintliche, oft auch gutgemeinte) Ersatzlösungen ins Spiel. Vom ersten Schnuller, über das Bonbon, Kinderspielzeug statt Trösten bis hin zu Lob und Tadel, Zeugnisse, Gehalt und Partnerin, eigenes Haus usw. Vieles von dem, was wir als das normale Leben bezeichnen, ist bei genauem Hinsehen auch in hohem Maße
Kompensation für ungestellte und noch weniger beantwortete Lebensfragen.
Wie eingangs erwähnt, spielen auch Genuss- und Suchtmittel dabei eine wesentliche Rolle. Bereits früh übernimmt z. B. der Alk. oder das Nikotin weite Bereiche der
(internen und externen!) Kommunikation. Wir lernen das Suchtmittel ein in unser Erleben, in unsere Welt - und vor allem in unser Ich. Sollte jemals sowas wie echte, quellenbezogene Kommunikation in unserem Leben überhaupt stattgefunden haben, übernehmen nun anderweitige Angewohnheiten diese Kompensation, weil diese Vorgehensweise offenbar einfacher und v. a. schneller greift. Es bleibt jedoch eine
Scheinkompensation, denn Fragen und Antworten
kann kein Konsum liefern. Der (fast immer unbewusste!) Missbrauch manifestiert sich allmählich und hinterlässt nur ab und an ein diffuses, schales Unbehagen, das jedoch nur schwer zuzuordnen ist. Lieber starten wir eine neue Runde des Konsums, welcher inzwischen den größten Anteil unseres gesamten Lebens ausmacht.
Wer nun irgendwann an den Punkt kommt an dem er das Suchtmittel oder anderweitige kompensierende Lebensweisen nicht mehr verträgt, sieht sich vor einem Riesenproblem: einerseits ahnt er, dass das wichtigste Lebenswerkzeug nicht nur eine Sackgasse war sondern dass (auf den ersten Blick) auch keine Umleitung zur Verfügung steht!
Nicht selten, sogar meistens beginnen hier echte psychische und psychosomatische Probleme aufzutreten: Ängste, Zwänge, Phobien, Depressionen, Erschöpfungsdepressionen, Selbstverletzungen, Panikattacken etc.
Sofern der Betroffene noch die Kraft hat, sich retten zu wollen, müsste hier nun der Einstieg in den Ausstieg in Angriff genommen werden. Falls eine anerkannte Sucht vorliegt, geschieht dies idR über eine Suchttherapie. Je nach Schweregrad erfolgt Entgiftung (körperlich), Entwöhnung (geistig) und dann Rückfallprävention (Lebensführung). Bemerkenswerterweise findet nahezu bei allen
guten Suchttherapien eine nicht unerhebliche Bemühung in Richtung ursächlicher Heilung der
psychsichen Ursachen statt. Sucht wird idealerweise lediglich als
Symptom begriffen, auch wenn es diagnostisch seit einigen Jahrzehnten schulmedizinisch als Krankheit eingestuft wird.
Wenn keine Sucht vorliegt, wird der Betroffene irgendwann seinen Hausarzt oder einen Psychiater aufsuchen. Und genau hier entscheidet sich oft, wie dem psychischen Problem begegnet wird:
- rein medikamentös (= Symptombehandlung, ähnlich wie der Einsatz von Suchtmitteln)
- medikamentös mit Psychotherapie
- rein psychotherapeutisch.
(Fortsetzung folgt).