Kennt Ihr die Theorie des Stress-Toleranz-Fensters? Ich habe dieses Thema gerade intensiv mit meinem Therapeuten durchgearbeitet und finde es extrem hilfreich. Daher möchte ich es gern einmal mit Euch teilen.
Was ist das Toleranzfenster?
Die Theorie des Stress-Toleranz-Fensters (auch bekannt als Window of Tolerance) beschreibt den optimalen Bereich der Erregung, in dem eine Person am besten mit Stress umgehen kann und in dem das autonome Nervensystem im Gleichgewicht ist. Innerhalb dieses Fensters können wir rational denken, Neues lernen und das Leben genießen. Die Bandbreite reicht von angenehmer Aufregung und Freude bis zu tiefer Entspannung und einem Gefühl von Verbundenheit. In diesem Zustand sind wir geerdet.
Wenn man sich außerhalb dieses Fensters befindet, kann man entweder in einen Zustand der Übererregung Hyperarousal (übermäßige Erregung) oder der Untererregung Hypoarousal (untermäßige Erregung) geraten.
Übererregung
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Optimale Erregung
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Untererregung
Übererregung Hyperarousal:
In diesem Zustand befindet sich eine Person in einem Zustand der Übererregung, der durch Symptome wie Angst, Panik, Wut oder Hyperaktivität gekennzeichnet ist. Wir fühlen uns schnell überwältigt, es droht Kontrollverlust. Das Nervensystem ist auf Kampf oder Flucht eingestellt.
Symptome bei Übererregung Hyperarousal:
Körper: Abschalten der körperlichen Wahrnehmung, beschleunigter Herzschlag, Ausschüttung von Stresshormonen, muskuläre Anspannung, beschleunigte Atmung, hoher Blutdruck, Schwitzen, Zittern, etc.
Gefühle: Anspannung, Gereiztheit, Ärger, Angst, Panik, Stress, Besorgtheit, Bedrohung, Überforderung
Verhalten: Reaktive und impulsive Verhaltensweisen ohne Berücksichtigung möglicher negativer Konsequenzen, Rigidität, Verteidigung.
Untererregung Hypoarousal:
Hierbei handelt es sich um einen Zustand der Untererregung, der durch Taubheit, Rückzug, Depression oder Erschöpfung gekennzeichnet ist. Wir fühlen uns unmotiviert, schwach und gelähmt. Das Nervensystem schaltet in eine Art Erstarren-Modus.
Symptome bei Untererregung Hyperarousal:
Körper: Müdigkeit, unregelmäßiger Herzschlag, flache und unregelmäßige Atmung, Verdauungsprobleme, überaktives oder reduziertes Immunsystem, Kälteempfindlichkeit oder Hitze.
Gefühle: Brainfog, Derealisation, Depersonalisation, Schwere, Leere, Depression, Taubheit, Erschöpfung, Energielosigkeit.
Verhalten: Inaktivität, Entscheidungsschwierigkeiten, Handlungsunfähigkeit, übermäßiger Medienkonsum, Verlangen nach süßen Lebensmitteln oder stimulierenden Substanzen.
Auf uns Menschen wirken externe Stressoren, wie:
• Anforderungen auf der Arbeit,
• politische Themen,
• die eigene Gesundheit,
• existenzielle Faktoren,
• enge Bindungen (z.B. Konflikte),
und interne Stressoren, wie:
• eigene Ziele und Bedürfnisse (kann ich diese erreichen/mir erfüllen),
• interne Selbstdialoge (innere Kritiker/Antreiber),
• Sorgen,
• Gedankenschleifen,
• Gefühle (wenn ich diese noch nicht gut regulieren kann).
Dies kann dazu führen, dass wir das Toleranzfenster (grün) verlassen und entweder in Übererregung (wir kommen nicht mehr runter/rot) oder Untererregung (wir kommen nicht mehr hoch/blau) geraten.
Das Ziel ist es, durch verschiedene Techniken (wie Achtsamkeit, Atemübungen oder Therapie) die eigene Fähigkeit zu stärken, innerhalb des Stress-Toleranz-Fensters zu bleiben, auch wenn man herausfordernde oder stressige Situationen erlebt.
Toleranzfenster erweitern:
Das Toleranzfenster bleibt nicht immer gleich, sondern ist in verschiedenen Lebensphasen mal größer und mal kleiner. Das Stress-Toleranz-Fenster kann aber auch an Tageszeiten gekoppelt sein, oder an Müdigkeit oder Krankheit.
Die Erweiterung des Toleranzfensters kann man vor allem steuern durch vermehrte Selbstfürsorge. In der Körpertherapie werden sieben Stufen identifiziert, die das Toleranzfenster schrittweise erweitern, darunter Innehalten, tiefes Atmen, bewusstes Wahrnehmen von Emotionen, Akzeptanz von Erfahrungen und Emotionen, Selbstliebe, Loslassen von Emotionen und die Entscheidung zum Handeln. Durch die Integration dieser Schritte in den Alltag entsteht eine Routine, die es erleichtert, sie auch in herausfordernden Situationen anzuwenden.
Techniken, um das Nervensystem aus einer hohen Anspannung herunterzuregulieren:
- Körper ausschütteln / ausstreichen
- ruhige Musik hören
- Stretching oder Yoga
- Stressball kneten
- 54321 Erdungsübung
- Atemtechniken
- Warmes Bad oder Dusche
- Progressive Muskelentspannung
- Flotter Spaziergang, Ausdauertraining
- Meditation
Techniken, um das Nervensystem aus einer niedrigen Anspannung hochzuregulieren:
- Sinne stimulieren
- Flotte Musik hören, tanzen
- Zeichnen oder malen
- Stressball kneten
- 54321 Erdungsübung
- An stark riechenden Gewürzen oder Aromaölen riechen
- Kalt duschen / Wechselduschen
- Mathe- oder Knobelaufgaben lösen
- Schaukeln
- Hüpfen oder sprinten
Techniken zu Vergrößerung des Stress-Toleranz-Fensters:
Gesunder Lebensstil: ausreichend Schlaf, ausgewogene Ernährung, Balance zwischen Aktivität und Ruhe, Bewegung und körperliche Betätigung
Therapeutische Techniken: Achtsamkeitsverfahren, Meditation, Yoga, PMR, Autogenes Training (oder ähnliche Verfahren), Verbesserte Wahrnehmung von Gefühlen, Umstrukturieren dysfunktionaler Gedanken,
Die Komfortzone verlassen: Mutig sein üben, Herausforderungen meistern, Unsicherheiten überwinden, neue Bewältigungsverfahren erlernen/machen.
Wichtig ist auch, die obigen Symptome und Techniken einmal aufzuschreiben, und um die persönlichen Aspekte zu erweitern. Bei mir kommt z.B. bei der Übererregung Durchfall, Blasendruck, verkrampfter Kiefer, verschwommenes Sehen und Schwindel dazu. Und vor allem auch – wie fühlt es sich an, wenn ich in der optimalen Zone bin? Was gelingt mir dann leichter? Auf diese Weise gelingt es einem nach und nach schneller zu erkennen, wenn ich gerade wieder oben oder unten rausfalle. Und auch zu sehen: wie groß ist mein Fenster gerade? Dann kann/sollte ich meine aktuelle Situation darauf anpassen.
Und noch ganz wichtig: jeder hat ein individuelles Fenster! Es kann zwar sein, dass ich das Fenster von Horst oder Ilse schöner finde. Das nützt mir aber nix, weil ich in MEINEM Fenster lebe und die Grenzen akzeptieren muss.
Heute 10:40 • • 19.12.2024
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