Ich möchte heute gern mal ein „Wünsch-Dir-Was“-Thema aufmachen. Irgendwie bin ich gerade wieder etwas gefrustet, was das Behandlungsangebot in dem angeblich besten medizinischen Behandlungssystem der Welt angeht.
Im letzten Jahr sind zwei Kolleginnen aus meiner Abteilung an Krebs erkrankt, einmal Darm, einmal Brust, beides Zufallsbefunde im Frühstadium und noch gut behandelbar (zum Glück!). Was ich zm Behandlungsablauf mitbekommen habe, war folgendes:
- Beide wurden sofort stationär aufgenommen und innerhalb von einer Woche operiert.
- Beiden wurde sofort gesagt, dass sie sich jetzt komplett auf ihre Genesung konzentrieren müssen und dafür mind. 1 Jahr einplanen sollen. Die AU erfolgt in dieser Zeit automatisch und ohne weitere Rückfrage.
- Beide wurden sofort automatisch vom Psycho-Onkologischen Dienst besucht und bekamen das Angebot, während dieser Zeit unterstützende, psychologische Gespräche wahrzunehmen.
- Beide bekamen Kontaktdaten für einen Service, der sich um finanzielle Fragen rund ums Thema Krankengeld kümmert.
- Während der Chemo- bzw. Strahlenbehandlung gab es immer und zu jeder Zeit eine Stelle, an die sie sich bzgl. auftretender Nebenwirkungen wenden konnten und sofort entsprechende Medikamente etc. bekamen.
- Der Transfer zu den ambulanten Behandlungen erfolgte automatisch per Taxi – beide mussten sich nie um eine Fahrmöglichkeit kümmern, wenn es ihnen nicht gut genug ging, um selbst zu fahren.
- Die Kollegin mit dem Darmkrebs bekam eine Ernährungsberaterin zur Seite gestellt, die sie beim Thema Ernährungsumstellung unterstützt hat.
- Die Kollegin mit dem Brustkrebs bekommt seit Monaten umfangreiche Physiotherapie, Lymphdrainage und Mass. und Rehasport.
- Bei beiden wurde sofort und automatisch eine stationäre Reha-Anschlussbehandlung in einer Rehaklinik eingeleitet.
Jetzt bitte nicht falsch verstehen – ich finde das SUPER, und genau so sollte es laufen. Man ist schwer erkrankt und kann sich komplett auf die Genesung konzentrieren, weil es ein unterstützendes Gerüst gibt, das einen auffängt.
Dann bin ich mal in mich gegangen und habe das mit den Behandlungsangeboten verglichen, die man bekommt, wenn man an einer psychischen Erkrankung erkrankt. Ich habe mich da auf meine eigenen Erfahrungen bezogen plus das, was ich hier so im Forum lese. Und ganz ehrlich – auf so ganz viel bin ich da nicht gekommen. Vielleicht hat hier ja auch jemand gute Erfahrungen gemacht, dann wäre es klasse, wenn er/sie das hier mal schreiben würde.
Ich fühle mich eigentlich seit Beginn meiner Erkrankung im Jahr 2019 ziemlich allein gelassen. Von meiner Hausärztin und verschiedenen Psychiatern bekam ich kaum Unterstützung, vom Zugang zu Psychotherapie wollen wir mal gar nicht reden und alles, was mir irgendwie weitergeholfen hat, waren Dinge, die ich privat bezahlt habe. Ich finde, dass psychische Erkrankungen in unserem Gesundheitssystem immer noch nicht ernst genug genommen werden und das Ausmaß des Leids, dass man ertragen muss, immer noch unterschätzt wird. Es ist immer noch nicht in den Köpfen angekommen, dass viele Suizide verhindert werden könnten. Oder dass eine unbehandelte Angsterkrankung die Lebenszeit um bis zu 10 Jahre verkürzen kann. Dass nur ein Bruchteil der psychisch erkrankten Personen sich überhaupt Hilfe sucht. Dass man sich immer noch für eine psychische Erkrankung rechtfertigen muss.
Daher habe ich mir heute Nacht, als ich nicht schlafen konnte, mal überlegt, wie so mein Wunschtraum für einen Behandlungskonzept für psychisch Erkrankte im Idealfall aussehen könnte.
- Konsequente, verpflichtende Weiterbildung der Hausärzte bei den Themen psychische Erkrankungen, Nährstoffe, Vitamine und Hormone.
- Erweiterung der kassenzugelassenen Therapieverfahren um körperorientierte Ansätze sowie Ansätze zur Behandlung von Traumata.
- Konsequente Aufstockung der Kassensitze für Psychotherapeuten.
- Aufhebung der Beschränkungen in der Psychotherapie – keine Beschränkungen der Stunden, die ich maximal in Anspruch nehmen darf, keine Wartezeiten nach Beendigung einer Therapie, bis ich eine neue beginnen darf.
- Bei Verdacht auf eine psychische Erkrankung Erstkontakt über den Hausarzt. Dieser macht UNAUFGEFORDERT einen kompletten körperlichen Check inkl. Schilddrüse, Vitamine, Nährstoffe und Hormone und erstellt einen ersten medizinischen Behandlungsplan zum Auffüllen eventueller Defizite.
- Überweisung des Patienten innerhalb von 4 Wochen an eine Art Coach, der auf psychische Erkrankungen spezialisiert ist und der einen umfassenden Einblick in folgende Themen gibt: welche Psychotherapieverfahren gibt es, welche sind wofür geeignet, welchen Einfluss hat Sport und Ernährung, welche Entspannungsverfahren können helfen, was kann ich selbst dazu beitragen, dass es mir besser geht, Schlafhygiene etc.
- Vermittlung des Patienten innerhalb von 4 Wochen durch eine zentrale Stelle an ein Erstgespräch bei einem Psychotherapeuten, um auszuloten, ob eine psychotherapeutische Behandlung sinnvoll ist und wenn ja, welche Therapierichtung. Anschließend erfolgt aufgrund dieser Empfehlung eine Vermittlung durch die zentrale Stelle an einen festen Therapeuten.
-Automatische Weitervermittlung an einen Kurs zum Erlernen von Entspannungstechniken sowie an Sportgruppen, um den Patienten „in Bewegung“ zu halten.
- Check-up und Behandlung bei einem Physiotherapeuten, um ggf. muskuläre Verspannungen, Verklebungen etc. zu behandeln, die oft Missempfindungen verursachen, die als Herzinfarkt, Schlaganfall oder ähnliches interpretiert werden.
- Unterstützung durch eine Ernährungsberatung, um den Prozess durch eine gesunde Ernährung zu begleiten.
- Durch die Krankenkasse vermitteltes Beratungsgespräch bei einem Psychiater – was können Medikamente leisten, welche gibt es, umfassende Risiko-Nutzen-Anlyse. Und natürlich eine entsprechende Weiterbehandlung, sollte sich der Patient pro Medikament entscheiden. Dieser Schritt sollte in meinen Augen allerdings wirklich als letztes erfolgen, wenn alle anderen Schritte schon eingeleitet wurden. Ich denke, dass mit den anderen Maßnahmen schon viel abgefangen werden könnte, so dass die Anzahl an Medikamentenverschreibungen von Psychopharmaka enorm reduziert werden könnte.
- Bei längerer Krankschreibung ebenfalls Unterstützung durch eine Stelle, die den Patienten bei Fragen rund um das Krankengeld, finanziellen Engp#ssen etc. berät
- Und als letzter Schritt – falls die vorherigen nicht ausreichen: Unterstützung durch eine zentrale Stelle bei der Vermittlung eines Klinikplatzes – stationär oder Tagesklinik.
Ergänzt doch mal, welche Ideen Ihr noch habt. Es wird zwar nichts ändern – aber ich finde, man darf auch mal träumen
10.03.2024 10:21 • • 12.03.2024
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