ich habe den Zwang entwickelt, dass ich jeden Tag Auto fahren "muss".
Da das natürlich seltsam klingt, muss ich ein wenig ausholen und versuche, alles Wichtige zu erwähnen:
Ich bin 26 Jahre alt und hab meinen Führerschein mit 19 Jahren innerhalb eines Sommerferienkurses gemacht. Dort hatte ich wohl wie die meisten Fahrschüler meine Probleme mit dem Anfahren, hab das mit der Zeit aber gelernt und meine Prüfung auch beim ersten Mal geschafft.
Danach bin ich sporadisch immer mal mit meinem Vater in seinem Auto gefahren. Das Anfahren hatte ich in der Fahrschule nur mit dem Schleifpunkt gelernt und ohne Gas. Mein Vater hat mir dann gezeigt, dass ich Gas geben soll, damit das Anfahren schneller von statten geht. Das hat auch am Anfang geklappt und ich hab mir die Fußbewegung eingeprägt. Als ich dann an einem anderen Tag gefahren bin, hat es plötzlich nicht mehr geklappt, so als hätte ich das Anfahren plötzlich verlernt, obwohl ich augenscheinlich alles gleich gemacht habe wie sonst auch. Hier fing es an, dass ich mir zu Hause dann Gedanken gemacht habe und ich hatte "Angst" davor, dass es das nächste mal wieder nicht klappen würde. Da ich nur sporadisch ca. alle 1-2 Wochen die Gelegenheit hatte das Auto zu nutzten, war das Warten eine richtige Qual. Ich habe dann regelmäßig jede Woche eine Gelegenheit erfunden, weshalb ich fahren müsste, damit ich mir selbst beweisen konnte, dass alles klappt. Da fing es mit dem Zwang glaube ich an.
Irgendwann habe ich angefangen zu studieren und bin nur noch Bahn gefahren, sodass mein Vater die Versicherung gekündigt hat. Da ich nun wusste, dass ich nicht fahren kann selbst wenn ich wollte, hat sich der Zwang und meine ständigen Gedanken über das Anfahren in Luft aufgelöst.
Letztes Jahr habe ich mir und meiner Freundin einen eigenen Neuwagen gekauft und die Probleme kamen zurück. Insbesondere am Anfang habe ich zu viel Gas gegeben oder bin nur langsam angefahren, sodass ich mir wieder stets Gedanken gemacht habe. Die schlimmste Zeit waren 6 Monate, in denen meine Freundin zur Arbeit gefahren ist und ich Homeoffice hatte. Ich bin dann teilweise mit ihr eine Stunde früher aufgestanden, damit ich sie zur Arbeit fahren konnte, nur damit ich fahren konnte. Teilweise "musste" ich mich auch in der Mittagspause nochmal ins Auto setzen und wenn meine Freundin abends heimkam, bin ich nochmal unter dem Vorwand etwas einzukaufen gefahren. Wenn ich mehrere Tage nicht gefahren bin, haben mich meine Gedanken fertig gemacht. Ich hatte nie Angst davor, dass das Anfahren an sich nicht klappt, sondern davor, dass es nicht klappt und meine Gedanken und Sorgen sich dadurch verstärken. Es war dahingehend eine Erleichterung für mich, als meine Freundin seit diesem Sommer einen Doktor im Ausland macht und ich wusste, dass ich das Auto jeden Tag nutzen kann, wann ich mag.
Wirklich besser wurde es nicht, zwar klappt das Anfahren gut aber sobald das Anfahren einmal nicht "perfekt" klappt, kommen die Gedanken zurück, dass ich irgendwas falsch mache. Mittlerweile fahre ich jeden Tag mindestens einmal, auch wenn ich keinen Anlass habe und ich denke jeden Tag daran. Ich habe jetzt mal reflektiert und festgestellt, dass meine Lebensqualität damals und jetzt seit 1 Jahr wieder darunter massiv leidet.
Es scheint ein stark verwurzeltes psychologisches Problem zu sein, allerdings bin ich mir ziemlich sicher, dass sich das Problem verflüchtigen würde, wenn ich zB ein Automatikauto fahren würde. Das ist allerdings aktuell keine Option.
Ich bin mir auch bewusst, dass das Problem irgendwie Perfektionismus ist und eigentlich keine Sache ist, weshalb man sich Gedanken machen sollte, ich kann die ständigen Gedanken und den Zwang aber nicht abstellen. Wenn ich mich zwinge nicht zu fahren, denke ich permanent über das Anfahren nach und mache zuhause "Luftübungen" mit den Füßen - also die Anfahrbewegung.
Vielen Dank schonmal im Voraus.
16.12.2021 16:04 • • 03.01.2022 x 1 #1