Hallo Levent,
ich kann Dich gut verstehen, ich habe ebenfalls die Diagnose ängstlich-vermeidende PS und weiß, was für ein quälender Begleiter diese Diagnose ist. Ich kann sie auch nicht gut leiden und stehe ziemlich auf Kriegsfuß mit ihr, da sie mein Leben so sehr einschränkt. Ich habe noch zwei weitere Persönlichkeitsstörungen, aber diese greift gefühlt am meisten in meinen Alltag ein.
Ich bin sehr, sehr froh, dass Du auf Icefalkis warnende Worte gehört hast und nicht weiter versuchst, im Alleingang ohne therapeutische Hilfe an Dir tiefergehend zu arbeiten, als ich das gelesen habe, war auch mein erster Gedanke: Das klingt so gar nicht nach einer guten Idee.
Das ist sehr gefährlich. Darum freue ich mich umso mehr, dass Du Dir jetzt Hilfe holst.
Da Du Deine Diagnosen schon länger hast, weiß ich jetzt nicht, wie therapieerfahren Du bist, du hast aktuell keinen Therapeuten, aber Diagnosen, wer hat die denn damals gestellt? Warst Du da in Therapie oder einer Klinik? (Bitte entschuldige, falls du das schon irgendwo geschrieben hast, ich bin noch neu hier im Forum und bin noch nicht vollständig orientiert.)
Ganz zu Beginn meiner Therapie habe ich auch eher zu den Themen Hochsensibilität, Hypersensitivität etc. gelesen, da stand die Diagnose noch nicht und es hat mich persönlich leider null weitergebracht. Erst als ich zu einem Therapeuten kam, der Klartext gesprochen hat, konnte ich diese Schiene wieder verlassen. Dieser sagte ganz klar, dass ich den Fokus in Richtung Persönlichkeitsstörung verschieben muss, und die Bücher zu diesem Thema haben mich sehr viel weiter gebracht, weil sie die Kern der Problematik besser packen, denn im Wesentlichen sind ja so gut alle Persönlichkeitsstörungen Emotionskontrollstörungen, die ängstlich-vermeidende PS auf jeden Fall. Worauf ich hinaus möchte: Ich bin auch ein sehr großer Freund von Literaturrecherche und lese auch viel, ich empfinde das als hilfreich und habe zum Glück auch Therapeuten, die dieses eher wissenschaftliche Interesse an meinen Erkrankungen unterstützen und mich mit guten Literaturempfehlungen füttern, z.B. Oldham/Morris: Ihr Persönlichkeitsportrait oder Fiedler/Herpertz: Persönlichkeitsstörungen, das wären zwei Bücher, die ich hilfreich fand und die mich wirklich weitergebracht haben (ergänzend zur Therapie).
Und nach allem, was ich in all den Jahren ambulant und stationär gelernt habe, würde ich Dir gerne Folgendes raten, wenn ich darf:
Persönlichkeitsstörungen gehören mit zu den schwersten psychischen Erkrankungen, die man haben kann, weil sie so schwer therapierbar sind. Die gedanklichen Muster sind sehr tief eingegraben, sie sind sehr rigide und nur ganz schwer zugänglich bzw. veränderbar. Darum gehören da in der Behandlung wirklich erfahrene Therapeuten ans Steuer, und im Alleingang kann man das nicht schaffen. Das Gute ist, dass sie behandelbar sind (auch wenn man immer wieder Gegenteiliges hört), man wird sie zwar nie ganz wegkriegen können, dafür sind sie zu sehr integraler Teil der Persönlichkeit, aber man kann lernen, die symptomatische Belastung zu reduzieren, sich mit der Erkrankung zu arrangieren und den Leidensdruck, von dem Du ja auch sprachst, zu reduzieren. Radikale Akzeptanz gehört leider auch dazu.
Ich bin kein Mensch, der Symptome über die Maßen pathologisiert, aber in Deinem Fall könnte ich mir gut vorstellen, dass ein Klinikaufenthalt Dir helfen könnte. Die Suche nach einem ambulanten Therapeuten ist trotzdem ganz, ganz wichtig und sollte auf jeden Fall Priorität haben, aber die Suche kann dauern und einen auch ziemlich demoralisieren. Darum würde ich zweigleisig fahren und mir zusätzlich eine Klinikeinweisung holen. Bei Deiner Symptomatik und dem Leidensdruck kann es ein guter Weg sein, die Behandlung ein gutes Stück voranzubringen, da Du in einer Klinik ein allumfassendes Therapieprogramm bekommst, dass an vielen Stellen ansetzt und viele Deiner geschilderten Symptome behandeln wird.
Ich war damals sehr froh, dass stationär gleich eine entsprechende Therapie eingeleitet werden konnte, ich habe einen richtigen Crash-Kurs bekommen, der mir dann geholfen hat, die anschließende ambulante Therapie besser für mich nutzen zu können, als das zuvor der Fall war (z.B. habe ich von Tiefen- auf Verhaltenstherapie gewechselt). Und wenn ich mir Deine Beiträge jetzt durchlese, bin ich voller Mitgefühl für Dich und Deine Situation und kann gleichzeitig sehen, dass die Jahre der Therapie mich doch sehr weit gebracht haben auf meinem Weg, mit der Erkrankung Frieden zu schließen. Was ich damit sagen möchte: Es gibt einen Weg, das Leiden zu reduzieren, es ist möglich! Es erfordert viel harte therapeutische Arbeit mit erfahrenen Therapeuten, aber es lohnt sich!
Darum wäre mein Tipp: Nimm' Deine Erkrankung ernst und gehe die Behandlung mit der entsprechenden Ernsthaftigkeit an, das hast Du mehr als verdient! Suche Dir erfahrene Helfer und kehre nicht wieder dahin zurück, es alleine schaffen zu wollen. Wir waren in meinen letzten Klinikaufenthalten jedes Mal mehrer Patienten mit ängstlich-vermeidender PS, und alle haben sehr profitiert.
Ich wünsche Dir viel Erfolg!
LG Silver
23.08.2019 00:43 •
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