allesrai
Als Leidensgenosse will ich nun auch mal ein paar Worte von mir geben (schreiben ist ja 1000mal einfacher als reden).
Sobald ich vor mehreren Menschen etwas sagen muss, werde ich rot, mein Herz klopft dermaßen heftig, dass es an seiner Belastbarkeitsgrenze arbeitet, ich fange an zu stottern, mir fällt nichts mehr ein, ich bekomme kaum Luft usw. Bei machen Arten von Menschen (z.B. Vorgesetzte oder hübsche Mädchen) reicht auch schon eine Einzelperson dafür aus. Sobald ich Aufmerksamkeit errege, gerate ich in innere Panik. Über jede Peinlichkeit (für andere völlig banal, z.B. im Supermarkt an der Kasse, wenn ich nicht genug Geld hatte und einen Artikel stornieren musste), denke ich noch Tage danach darüber nach und denke mir 100000mal verdammt, verdammt schei. vergiss es, schei., mist, verdammt, vergiss es:..
Ich bin schon seit meiner Kindheit extrem Schüchtern und versuchte oft vergeblich, mich einigermaßen anzupassen, um akzeptiert zu werden. Klassenspaßvögel und Wichtigtuer sowie meinen extrovertierten Bruder hab ich immer so sehr beneidet, dass ich sie gehasst habe. Ich dachte mir immer ungefähr so: Ich wünschte, ich hätte nur ein bisschen von dieser Offenheit und Hemmungslosigkeit dieser Leute, aber bitte nichts von ihrer Primitivheit, Dummheit und Oberflächlichkeit). Ab einem gewissen Alter begann ich mich quasi selbst zu therapieren. (z.B. mit Alk. auf Partys, harte Musik und harte Optik). Will jetzt nicht zu sehr ins Detail gehen. Jedenfalls war und blieb ich immer ein zurückhaltender, verklemmter, ruhiger, ängstlicher Kerl und das hat mich voll angekotzt. Auf der anderen Seite hatten Manche (i.d.R. Ältere) sehr großen Respekt vor meiner Kreativität, vor meinem Können in vielen Dingen, vor meinen unkonventionellen Gedanken (die nur einigen Wenigen zuteil wurden). Aber was nützt das alles, wenn man das schüchterne Bubilein bleibt und z.B. nie eine Beziehung zu einem Mädchen hat und von Liebe, Zärtlichkeit, Geborgenheit, Wärme nur träumen kann, während sich die restliche Welt nur um das eine Thema Partnerschaft und Sex dreht.
Mit Suizidgedanken hab ich viel gespielt (ein paar mal auch definitiv geplant (natürlich so, dass es nicht nach Selbstmord aussieht, wäre ja viel zu peinlich)). Im Hinterkopf hatte ich aber immer den Gedanken, dass ich es irgendwann allen zeigen werde... ich werde ein berühmter Erfinder sein, ein Held der Nation auf den alle aufschauen, der seine Traumprinzessin aus der Knechtschaft einer bösen Hexe befreit und mit ihr (der Prinzessin, nicht der Hexe) glücklich lebt bis ans Ende der Welt oder so ähnlich. Außerdem wollte ich meinen Tod meinen Eltern und Geschwistern nicht zumuten. Andererseits behalte ich es als gewissen Trost immer im Hinterkopf, dass es zur Not, falls das mit dem Held und der Traumprinzessin usw. nichts wird und ich meine Einsamkeit nicht mehr ertrage, immer noch diesen Notausgang gibt. Mit anderen Worten: Wenn alle Stricke reißen, kann ich mich immer noch erhängen
Eigentlich wusste ich schon immer, dass ich nicht nur schüchtern bin, sondern dass das bei mir krankhaft ist. Ich habe niemals mit jemandem darüber geredet, weil das ja ultrapeinlich wäre, wenn jemand wüsste, dass ich an Sozialphobie leide. Jeder meinte (und meint) also, ich sei so wie ich sein will. Mein Verhalten wird auch von vielen als Aroganz fehlinterpretiert. Natürlich war ich noch nie bei einem Arzt (auch nicht wegen anderer Leiden). Konnte mich nie dazu überwinden. Angst also, die ich wiederum durch meine arogante Haltung verdränge : ich stehe doch über der Sache und weiß viel besser über mein eigenes Problem und dessen Lösung bescheid als irgendsoein Arzt. Ich krieg mein Leben auch alleine auf die Reihe. Wäre ja schlimm, wenn ich auf die Hilfe anderer angewiesen wäre und noch schlimmer, wenn das irgendjemand mitbekäme. Außerdem bin ich normal. Die anderen sind aufgedreht, ruhelos, oberflächlich, stressig. Ich bin halt ein Alien, der mal dringend nach Haus telefonieren sollte. Außerdem war ich mir immer sicher, dass ich vor einem Doc kein Wort rausbringen würde. Ich schiebe es also schon seit vielen vielen Jahren vor mir her, zu einem Psychologe zu gehen. Nachdem mir jedoch kürzlich durch übermäßige Selbstmedikation mal wieder etwas sehr schlimmes passiert ist, hab ich mir geschworen nun endlich über meinen Schatten zu springen und ärztliche Hilfe anzunehmen. Ich denke, mein erster positiver Schritt ist schon mal, hier im Forum ein bisschen über mein Problem zu schreiben.
Ich vereinsame immer mehr. Die wenigen Freunde, die ich im Leben hatte, hab ich längst verloren. Außer in der Arbeit hab ich so gut wie keinen Kontakt zu Menschen. Außer zu meiner Mutter, die manchmal anruft (NA WIE GEHT'S ? -gut. WAS GIBT'S NEUES IN MÜNCHEN? -nichts. WAS MACHST DU DENN DAS GANZE WOCHENENDE ÜBER? -ausruhen, Internet, wie immer. GEH DOCH MAL RAUS; TRIFF LEUTE, GEH IN EINEN SPORTVEREIN, DU WARST DOCH FRÜHER IMMER SO SPORTLICH... -jaja usw...) Wenn ich mich ab und zu mal überwinde, unter die Leute zu gehen, in Discos zu gehen, dann nur wenn ich mich vorher mit Alk. therapiert habe. Ab einer gewissen Dosis fühle ich mich dann plötzlich auch so hemmungslos wie die anderen und werde von Dr. Jeckyll zu Mr. Hyde. Ich erhoffe mir dann, Leute kennenzulernen, und endlich mal eine Freundin kennenzulernen, was natürlich grundsätzlich scheitert. Bekanntschaften gibt es so nur für den Augenblick. Mehr geht nicht, denn das Gegenüber lernt ja nicht mich, sondern Mr.Hyde kennen. Außerdem führt so eine Nacht bei mir grundsätzlich zu einem Totalabsturz, da Mr. Hyde sich dann so wohl fühlt, endlich mal wieder atmen zu können, dass er nicht genug von der enthemmenden, angstzerschmetternden Flüssigkeit kriegen kann. Und dann passiert wieder irgenwas Schreckliches. Damit will mir das Schicksal / Gott / meine Seele sagen: WACH AUF! Hör endlich auf mit Deiner Dich-selbst-therapieren-Lüge mit der du dir dein Leben immer mehr ruinierst. Sei endlich ehrlich zu dir selbst und deiner Umwelt und tu was sinnvolles gegen Deine Einsamkeit. Nimm professionelle Hilfe in Anspruch. Noch ist es nicht zu spät...
So jetzt reicht's aber erst mal!
Ich hoffe, mein Beitrag hat irgendwas gebracht. Mich hat es jedenfalls mal ein wenig befreit, darüber zu schreiben.
Stärkende Grüße euch allen
Dave
21.01.2005 23:47 • • 02.02.2005 #1