Hallo ihr!
Es ist echt unglaublich, wie gut ich mich hier wiedererkenne... Tut gut, zu wissen, dass man damit nicht alleine ist. Auch wenn bei mir noch ein paar andere Sachen dazu kamen bzw. kommen. Deshalb erzähle ich euch jetzt meine Geschichte, bevor ich mich zum Thema äußere. Vielleicht hilft es euch weiter...
Ich habe seit 8 Jahren Panikattacken und gehe inzwischen stramm auf die 30 zu. In der Schule habe ich super gerne vorne gestanden, Sachen erklärt, Referate gehalten und war super im Vorlesen. Wenn sich bei Gruppenarbeiten keiner getraut hat, das Ergebnis vorzustellen, hab ich mich freiwillig gemeldet.
In der Ausbildung nach dem Abi ging es dann auf einmal los, dass ich Kreislaufprobleme beim Autofahren auf der Autobahn bekam, dann im Gespräch mit Leuten - sogar mit meiner Familie (die Ausnahmen waren meine Eltern, mein Bruder und mein Freund) - und sowieso in der Berufsschule, wenn ich mich meldete oder dran genommen wurde. Ich hörte auf, mich zu melden, bekam beim Vorlesen einmal so Luftnot, dass ich mit der Entschuldigung Mir ist schlecht, ich muss mal raus. fluchtartig das Klassenzimmer verlassen habe. Ich ging zum Arzt und lies mich durchchecken. Nach einigen Untersuchungen (Blut, 24-Stunden-Blutdruckmessund, EEG usw.) stellte sich heraus, ich war kerngesund. Da hab ich erstmal ne Runde geheult. Denn das hieß ja, ich hatte was psychisches, das man nicht mal eben mit Eisentabletten oder Kreislauftropfen kurieren konnte. Ich hatte keine Hilfe von Seiten meiner Lieben. Keiner verstand mich (ich war ja auch auf einmal so ganz anders drauf) und bekam dann von meiner Mutter den unglaublich weisen Rat, ich würde mich da nur reinsteigern, das müsste man nur ignorieren, dann ginge es weg. Es ging natürlich nicht weg. Nach über einem Jahr wusste ich dann auch endlich, dass ich Angstattacken hatte.
Inzwischen habe ich eine Gesprächstherapie gemacht und eine Psychoanalyse über 2 Jahre, die ich dann abbrechen musste, weil die Kasse nur eine begrenzte Anzahl Stunden im Jahr bezahlt. Aber ich könnte mir ohnehin in den Hintern beißen, dass ich keine Verhaltenstherapie gemacht und mir eine Selbsthilfegruppe gesucht habe. Denn das ist wesentlich schneller effektiv. Ich habe zwar viel über mich und menschliches Verhalten im Allgemeinen gelernt, aber weg sind die Angstattacken auch heute noch nicht.
Jetzt stehe ich am Ende meines Medizinstudiums kurz vor dem Praktischen Jahr und schiebe Panik, weil ich da im OP helfen muss (da bekomme ich Angst, weil ich nicht einfach so weg kann) und Patienten vor der versammelten Ärzteschaft vorstellen darf. Und ich habe eben auch das Gefühl, als angehende Ärztin darf man sich keine Blöße geben, keine Schwäche zeigen. Vor allem sind viele Ärzte echte Raubeine (vor allem die Chirurgen) und könnten sofort durchschauen, was mit mir ist. Ich habe außerdem Angst vorm Fliegen und Bahnfahren (weil man da nicht ohne weiteres aussteigen kann und ich könnte mich ja wie eine Irre aufführen, wenn ich Panik habe). Ganz schlimm ist es, wenn es da voll ist. Aber im Großen und Ganzen habe ich mir echt viele Freiheiten wieder erkämpft, zahlreiche Referate überstanden, Seminare in viel zu kleinen Räumen mit viel zu vielen Leuten überlebt und Patientenvorstellungen gemacht. Die wichtigsten Erkenntnisse (für mich), die ich über die Jahre gemacht habe sind folgende:
*Wir sind nicht allein! Ich kann mich an keinen Student erinnern, der da vorne nicht Blut und Wasser geschwitzt hat, wenn er vor allen reden musste. (Und ich habe auch den einen oder anderen gefragt, der einen gelassenen Eindruck gemacht hat.) Ich habe Ärzte gesehen, die sich nervös am Schuh herumgefummelt haben und sich hinter ihrem Blatt verkrochen haben, wenn sie vorlesen mussten. Die einzigen, die echt ruhig waren, waren die alteingesessenen Ärzte. Und die machen das seit JAHREN. Ich habe Leute mit hektischen roten Flecken gesehen (ich kriege die wohl auch) und keiner hat sie ausgelacht oder blöd angemacht. - Mich auch nicht. ).
*Unser persönlicher Freiraum ist wie eine Gummiblase: wenn wir unseren Freiraum so einschränken, dass wir nur noch zu Hause sind, weil wir uns nicht raustrauen, dann liegt die Blase ganz eng am Körper. Um sie wieder auszudehnen, müssen wir sie dehnen und jedes dehnen macht Angst/unsicher/nervös (auch bei denen, die schon richtig große Gummiblasen haben). Aber die Angst vergeht, wenn wir oft genug dagegen anrennen. Und dieses Kämpfen kann auch manchmal so aussehen, dass wir uns einfach in unser Schicksal fügen: Wir halten das Referat trotzdem und wenn uns die Angst übermannt, dann tut sie das. Was kann schlimmsten Falls passieren? Wir werden rot, wir stammeln, wir kriegen keine Luft und müssen eine Pause machen (s. auch unten), wir verlieren den Faden, alle sehen, dass wir nervös sind, wir fallen vielleicht sogar in Ohnmacht oder fliehen aufs Klo... aber wir überleben. Wir sind nie in Lebensgefahr und die Leute, die uns wirklich wichtig sind, lieben uns auch mit unserer Angst (Sch... auf unsensible Arbeitsamtsangestellte!). Das Leben geht weiter und wir können wieder ein bisschen stolzer auf uns sein.
*Schwächen machen Menschen sympathischer. Klingt seltsam, aber das habe ich von einer Freundin, die auch Angst hat. Und wenn man mal selbst überlegt: Wenn wir uns einen Vortrag anhören und der arme Mensch da vorne rot wird, stottert oder sogar stockt, möchten wir ihm doch am liebsten sagen, dass er ganz ruhig sein kann, dass wir ihm das nicht übel nehmen. Jemand, der nicht perfekt ist, wird menschlicher und somit einer von uns. Und weil jeder Angst und Aufregung kennt, steht das uns für alle Menschen. - Klar, nicht jeder hat gleich viel Angst, nicht jedem merkt man es an, aber alle kenne sie. (Und die, die vergessen haben, wie es sich anfühlt, tun mir leid, weil sie einen Teil von sich verloren haben und wahrscheinlich auch nicht mehr wissen, wie sich echte Freude anfühlt.) - Übrigens hatte Heinz Ehrhard vor jedem Auftritt so schlimm Panik, dass er nicht rausgehen wollte. Er hat es trotzdem getan. Und das Publikum hat ihn geliebt, weil er so knuffig war.
Sicher würde niemand einen gestandenen Professor, Manager oder Anwalt als knuffig bezeichnen wollen, aber die haben schließlich auch mal klein angefangen, bevor sie da waren, wo sie jetzt sind...
So... und jetzt nochmal zum Lesen und Referate halten: Bei mir ist der Knoten geplatzt, als ich gemerkt habe, dass meine Mit-Studenten auch aufgeregt sind, wenn sie da vorne stehen. Da war es mir auf einmal egal, wenn sie merken, dass ich es auch bin. Und wenn ich vor Aufregung keine Luft mehr bekam, dann habe ich eine kurze Pause gemacht und durchgeatmet - und wenn es nach jedem Satz war! Das ist nämlich nicht die ganze Zeit so mit der Puste. Wenn man erstmal eine Weile da vorne steht und noch nicht gestorben ist, dann fängt man an, sich ein kleines bisschen zu entspannen und konzentriert sich auf das, was man da tut, nämlich den anderen etwas erzählen. Und wenn man mittendrin nochmal so aufgeregt wird, dann macht man es einfach wieder so. - Und das Beste: es merkt (fast) keiner. Ich habe nachgefragt.
Bei Ärzten, also Höhergestellten (bei euch wären das wohl Lehrer oder Vorgesetzte oder so) funktioniert das bei mir nicht so gut. Aber auch da habe ich eine wichtige Erfahrung gemacht. Mein schlimmstes Referat habe ich diesen Sommer gehalten. Der Arzt war ein schlimmer Zyniker und sehr bissig in seinen Kommentaren. Ich musste ein Kurzreferat halten und ich hatte in meinem ganzen Leben noch keine schlimmere Angst als in dem Moment: mein Herz hat gehämmert, dass ich meine eigene Stimme kaum hören konnte und dachte, es sprengt gleich den Brustkorb (gleichzeitig war ich ein bisschen fasziniert, was es so kann... , aber es geht alles vorbei. Das muss ich mir auch selbst immer wieder sagen, weil ich es dauernd vergesse und dann wieder Angst habe, was wohl auf mich zukommt.
So, das war erstmal erschlagend genug, aber ich hoffe, das kann wenigstens einem von euch helfen. Ich wünschte, ich könnte mehr tun...
Viele liebe Grüße
Svenja
28.11.2008 22:35 •
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