@liebernormal Ebenfalls danke ,
Nein, diese gesellschaftlich-angelernte Scham meinte ich nicht - auch nicht die darin enthaltene Kollektivschuld- und -scham. Ich meine etwas viel persönlicheres, was nur uns selber betrifft. Etwas, das wir mit uns selber ausmachen. Ich hatte das von klein auf, ohne zu wissen, woher es rührt und gerade deshalb war es so schwierig, damit umzugehen.
Im Endeffekt habe ich im Laufe meines Lebens herausgefunden, dass es keine Scham war, sondern ein grundlegender Konflikt, den ich jedoch nicht wahrhaben wollte. Diese Lage erzeugte die Emotion von Scham. Das ist ein bedeutsamer Untschied...:
1. Konventionelle Scham:
In der Regel schämt man sich für etwas und das impliziert, dass es ein Objekt (Tat, Ansicht, Denkweise) gibt, wofür das Subjekt (idR Ich) sich schämt. Die Scham ensteht hier dadurch, dass das Objekt nicht mit den etablierten Moralvorstellungen konform geht. Somit stellt die Scham einen gewissen emotionalen Ausgleich dar. Sie entsteht in Abhängigkeit, hat einen direkten, erkennbaren Bezug.
Ihr ist relativ einfach beizukommen, indem man für die sie bedingende Tat, Ansicht oder Denkweise entweder offen einsteht (= sich zu ihr bekennt - inkl. den sich daraus ergebenden Konsequenzen) oder sich dafür entschuldigt. Damit ist sozusagen die Luft aus dem Kessel und die Kompensation in Form der Scham nicht mehr notwendig.
2. Ursprüngliche Scham:
Dies ist die oben bereits genannte Emotion Scham, die aus einem idR unbewussten Konflikt herrührt. Für den Betroffenen besteht sie für sich, singulär und scheinbar selbsterhaltend, ohne dass ein direkter Bezug erkennbar wäre. Es fühlt sich an, als gehöre sie zu uns wie z. B. unsere Haare oder unsere Augenfarbe - sie ist da und man hat deshalb auch nie gefragt: Warum?
Irgendwann im Leben spüren wir sie jedoch ganz klar als eine Emotion. Da wir diese Emotion inzwischen aus anderen Lebenssituationen in sichtbar bedingter Form (siehe 1.) kennen, schließen wir daraus, dass es auch für sie eine berechtigte, also ableitbar (un-)moralische Ursache geben muss. Diese ist jedoch nicht ersichtlich! Das Resultat: wir schämen uns und wissen nicht, warum.
Anstatt sich nun zu fragen, ob es überhaupt eine Ursache (im Sinne von 1.) dafür gibt, akzeptieren wir - meist unbewusst - dass die Emotion Scham irgendwie berechtigt ist. Die Folgen sind mitunter fatal: geringes Selbstwertgefühl, Sozialphobie, Entscheidungsunfähigkeit, Ängste, Sucht, Isolation, Depression, Paranoia etc. Darüber hinaus wirken wir u. U. für narzistisch veranlagte Menschen anziehend.
Der Lösungsweg ist grundsätzlich einfach, aber nicht leicht . Einfach insofern, als es keine umfangreiche und intensive Therapie dafür braucht. Nicht leicht jedoch deshalb, weil den ersten Schritt eben das Suchen nach dem grundlegenden Konflikt (s. o.) darstellt. Ich habe festgestellt, dass sich bereits mit dem Aufdecken des Konfliktes ca. 90% der Ursprünglichen Scham auflösen. Die restlichen 10% bedürfen einer gewissen Achtsamkeit im Alltag und benötigen ihre Zeit.
Wenn Du nun den Eindruck hast, dass Du Dich hier irgendwie erkennst, beginne mit der zunächst vorentscheidenden Frage:
Wofür schäme ich mich? Varianten wären: Was habe ich mir wirklich vorzuwerfen? Wo habe ich eindeutig Schuld auf mich geladen? etc.
Solltest Du eine oder mehrere Antworten darauf finden, gehe zu 1. (s. o.) und versuche, die Sache(n) entsprechend zu erledigen. Findest Du jedoch keine klare(n) (!) Ursache(n), stelle Dir ganz existenziell die Frage:
Welchen Grundkonflikt gibt es in meinem Leben?
Wie bereits aus dem unter 2. Gesagten ersichtlich, geht es hier nicht um einen banalen Schuld-/Scham-Konflikt, sondern um einen sprichwörtlich existenziellen Grundkonflikt in Deinem Leben. Die Antwort auf diese Frage kann schon längere Zeit in Anspruch nehmen und das ist ja auch nur folgerichtig, sonst hättest Du sie schon viel länger auf dem Schirm. Gehe davon aus, dass es schwierig ist, sie zu erkennen aber vertraue darauf, dass es NICHTS mit Schuld oder Scham zu tun hat!
Ich kann Dir, wenn es als Beispiel dient, meinen Grundkonflikt gerne skizzieren, aber letztendlich muss man wirklich selber draufkommen, um eine echte Verwandlung durchzumachen. Gehe ruhig mit dieser Frage eine Weile lang schwanger und stelle sie Dir immer und immer wieder - ohne Druck, sondern mit Interesse.
Dass Du Deine richtige Antwort (es können auch mehrere sein) gefunden hast, wirst Du daran erkennen, dass eine immense Last von Deinen Schultern fällt - eine sprichwörtliche Erleichterung, die auch tatsächlich anhält. Es fühlt sich ein wenig an, wie neu geboren...
Abschließend möchte ich daran erinnern, dass Du Dich bei der Antwortsuche nicht zu stark bei anderen Personen und was sie Dir evtl. angetan haben, aufhalten solltest. Vertraue auf die Tatsache, dass letztendlich der Geist Dich und wie Du die Welt siehst, erschafft.
06.01.2022 10:05 •
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