Meine Tiefpunkte, und besonders der schlimmste Tiefpunkt, hatten bei mir weniger mit Ängsten oder Vermeidung zu tun, weil ich dies ja sowieso schon mein Leben lang gewohnt war. Vor allem aber war ich es gewohnt immer darauf zu achten, dass niemand davon etwas mitbekommen könnte. So habe ich durchaus mit anderen Menschen gesprochen, aber eben nur sehr wenig, und das aller nötigste. Dadurch bekam ich dann Schwierigkeiten mit dem Sprechtempo, verhaspelte mich oft oder hatte Wortfindungsprobleme. Mich in einem Kleiderschrank zu verstecken, wäre nicht möglich gewesen, weil ich damals gar keinen hatte. Außerdem reichte es mir völlig einfach nur im verdunkelten Raum zu sitzen, wo die Tür einfach verschlossen war.
Vor die Tür gehen konnte ich auch während der schlimmsten Tiefpunkte, schon alleine weil ich die Zeitungen bei uns im Dorf ausbringen musste, um überhaupt etwas Geld zu verdienen. Außerdem hatte ich ja auch meine Hunde zu versorgen und mit ihnen Raus zu gehen, solche Verpflichtungen haben mich damals noch einiges tun lassen.
Während der schlimmsten Tiefphase war ich allerdings wie ein Zombie, wirklich gefühlt habe ich eigentlich nichts mehr. Ich war nur noch müde, habe viel geschlafen oder wurde von starken Angstattacken heimgesucht, die nicht mehr an eine auslösende Situation gebunden waren. Meine Gedanken drehten sich damals fast nur noch um den Suizid, um endlich meine Ruhe zu haben. Ich fühlte mich nur noch leer und hilflos, alles war sinnlos, und oft überkam mich die Panik, dass jemand dies bemerken würde, und mich dann zwangseinweisen lassen würde, was für mich der letzte Kontrollverlust gewesen wäre, da mein Suizid für mich so etwas wie die letzte Kontrolle, das goldene Tor, der letzte Ausweg, waren, was mir tatsächlich noch etwa Halt gab.
Als ich mich dann wirklich dazu entschieden hatte, da wurde alles ganz leicht, alles fühlte sich richtig an. Seltsamerweise fühlte sich da alles ganz weiß an, ich kann es nicht anders beschreiben.
Irgendwie kam mir in dieser weißen Phase die Einsicht, dass ich trotz allem ja eigentlich LEBEN möchte, eine sehr seltsame Einsicht, wenn man seit Jahren unter immer extremeren Suizidgedanken leidet, die immer so richtig und wahr erschienen. Es lag vermutlich an der Leichtigkeit dieses Zustandes, da nun jeder ängstliche und depressive Druck weg waren.
Der wirklich tiefste Tiefpunkt kam dann mit dieser Einsicht, die an sich rein gar nichts änderte, außer dass das goldne Tor Suizid sich für mich wieder geschlossen hat.
Um diesen Zustand überhaupt zuverstehen hat es mir geholfen mir vorzustellen, dass ich nun ganz unten in dem Loch, in dass ich so viele Jahre zu vor hineingefallen war, nun wirklich auf dem Boden aufgeschlagen war. Ich hatte schon oft gedacht, dass ich nun endlich auf dem Boden des Lochs wäre, aber immer war es nur eine Art Klippe, wo es daneben immer noch tiefer runter ging, nun war ich aber wirklich ganz unten. Und dieser Zustand fühlte sich eben auch so an als ob man tief unten in einem dunklen Loch mit zerschmetterten Gliedern liegt, so dass man sich nicht mehr rühren kann.
Das seltsamste daran ist, dass dieser Zustand mehrere Tage an gedauert haben muss. Ich weiß nicht, warum dies niemand bemerkt hat? Ich kann mich selbst auch nur an diesen inneren Zustand erinnern, aber nicht daran, ob und was ich in dieser Zeit sonst gemacht habe? Ich muss in eine Art absoluten Automatikmodus gewesen sein.
Psychisch war dies für mich eine sehr extreme Zeit, weil ich nun war die Einsicht hatte, dass ich trotz allem leben möchte, aber dies änderte ansonsten nichts. Für mich war es schon ein winziger Erfolg jeden einzelnen Tag zu überleben, weil die gewohnten Suizdigedanken immer noch extrem waren.
Es dauerte Wochen, bis ich endlich durch Versuch und Irrtum einen ersten kleinen Ansatz gefunden hatte, der mir das Gefühl wieder gab auf meine eigene Psyche doch irgendwie noch einwirken zu können. Dieses Gefühl hatte ich schon seit Jahren verloren, aber es half mir in ganz kleinen Schritten einen Weg für mich zu finden, um aus diesen Zustand trotz allem wieder raus zu kommen.