Ich habe auch beide Diagnosen, ÄVPS und Sozialphobie, und finde ich mich in beiden stark wieder, vor allem jedoch in der ÄVPS. Aus dieser persönlichen Erfahrung heraus und auf der Basis von Internetrecherchen kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass man dieses ''Krankheitsbild'' haben und sich gleichzeitig damit einigermaßen wohlfühlen kann! Sorry, ich will da nicht meine Meinung zur absoluten Warheit erheben, aber für mich passt da etwas grundsätzlich nicht zusammen...
So wie ich sie empfinde und sie meines Wissens prototypisch in der Psychologie definiert wird, ist eine ''krankhaft'' selbstunsicher-vermeidende Persönlichkeit verbunden mit ständigem Zweifel, quälender Sorgen in Situationen zu geraten, denen man nicht gewachsen ist, mit einem generellen Unzulänglichkeitsgefühl und dauerhafter Angespanntheit, starken Einschränkungen jeglicher Art in seinem Alltagsleben und der Lebensplanung, und natürlich mit extremer Unsicherheit, die das ganze Handeln, Fühlen und Denken bestimmt!
Ich will keinem zu nahe treten, und ich weiß auch nicht, wie es sich anfühlen muss, wenn man z.B. schwere Krebserkrankungen, Shizophrenie, Mukoviszidose usw. hat, aber für mich ist die ÄVPS alles andere als okay, sie ist eine Qual. Es gehört zwar zum eigenen Selbst dazu, aber deswegen leidet man nicht weniger darunter! Der Rückzug ist ein notwendig empfundenes Übel, man kann aber eigentlich nicht das Leben führen, das man will! Selbst wenn man mit dem größten Teil der Leute eigentlich sowieso nichts anfangen könnte und sich wie ein Fremdkörper in der Masse fühlt...
Es irritiert mich also hier bei einigen zu lesen, sie kämen ganz gut damit zurecht. Ich stimme @GrumpyHedgehog zu. Also wenn kein Leiden da ist, dann würde ich gar nicht von einer Störung sprechen wollen! Ich tippe eher darauf, dass bei den Betroffenen dann entweder noch schizoide Persönlichkeitsanteile vorhanden sind, weswegen man mit der Zurückgezogenheit und dem Alleinsein generell nicht unzufrieden ist oder man ist quasi total austherapiert, sodass man seine Erwartungen vom Leben aufs absolute Minimum reduzieren konnte, weil man sein Schicksal irgendwann akzeptiert hat.
Aber dann liegt ja kein pathlogisches Leiden mehr vor. Die Normalos, die Mehrheitsgesellschaft und der Psychiatriesektor werden zwar immer probieren, Sonderlinge und Abweichler aus Prinzip in diverse Schubladen zu stecken und als krank oder abnorm zu stigmatisieren, aber solang kein Beteiligter wirklich Schaden nimmt, besteht meiner Meinung nach gar kein Anlass dazu.
Aus eigener Erfahrung kann ich übrigens berichten, dass man zumindest vorübergehend Veränderungen/Verbesserungen bei ÄVPS herbeiführen kann, selbst wenn das sehr schwierig und mit vielen aversiven Gefühlen verbunden ist. Klar, die Unsicherheit verschwindet niemals wirklich, aber zum Beispiel habe ich bis zu meinem 22. Lebensjahr keine einzige Party in meinem Leben besucht, zwei Jahre später war ich dann mehrmals sogar freiwillig bei Hausparties, Kneipen und der Disko, ohne die Krise zu kriegen! Etwas, dass ich mir vorher nicht für möglich gehalten hätte! Natürlich ist der Weg dorthin verdammt hart und brutal gewesen. Und in der ersten Stunde hieß es trotzdem immer nur: Augen zu und durchhalten, aber wenn genug Bekannte dabei waren, die ich als ungefährlich eingestuft habe und auch ein gewisser Alk. (keine Werbung dafür an dieser Stelle!) vorlag, dann ging es. Ich habe auch eine Freundin gehabt, nachdem ich vorher nie Annäherungsversuche/Bindungen unternommen hatte wegen der Angst vor Bloßstellung und Unzuglänglichkeit usw. Zwar ist die Beziehung für mich sehr unglücklich verlaufen und nach einiger Zeit leider zerbrochen, aber unmöglich war es nicht, obwohl ich das bis dahin im Grunde für ein Naturgesetz gehalten habe. Es kann aber leider auch wieder schnell in die andere Richtung gehen, das will ich gar nicht unterschlagen.
30.04.2019 15:27 •
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