Hallo Virginia26,
eine ängstllich-vermeidende Persönlichkeitsstörung ist auch ein Persönlichkeitsmerkmal und das was dich aus macht.
Das ist natürlich nicht unbedingt das was man sich scheinbar erwünscht, insbesondere wenn man sich mit anderen vergleicht.
Aber das Leben hat auch viel mit sich selbst kennenlernen, akzeptieren und mit sich selbst gut umgehen lernen zu tun.
Es gibt sehr viele zurückhaltende Menschen. Es gibt viele Menschen die ähnliche oder auch ganz andere Probleme haben.
Oft sind zurückhaltendere Personen reflektierter, respektvoller, zuvorkommender, empathischer. Das sind alles sehr positive Eigenschaften!
Dass sich unsere Gesellschaft auch stark verändert hat und es für uns zurückhaltende oder ängstliche Menschen zunehmend schwerer fällt auch Kontakte zu knüpfen ist richtig.
Trotzdem gibt es viele Möglichkeiten Kontakte zu suchen, wenn man sich denn traut. (fast schon überwältigend viele, so dass man sich nicht entscheiden kann)
Sich selbst mit anderen zu vergleichen ist immer schwierig, beziehungsweise kann (für uns) nur negative Folgen haben.
Du bist jetzt an einem Punkt in deinem Leben in dem du dich selbst erst richtig kennen lernen musst, akzeptieren lernen musst, ausprobieren musst welche Rahmenbedingungen dir gut tun, und Mut fassen diese auch zu steuern. Das geht mitunter auch noch einige Jahre.
Deine Eltern, dein Umfeld und deine Erfahrungen haben dir direkt und indirekt bestimmte Grundannahmen beigebracht, nach denen du dich selbst, andere und die Gesellschaft jetzt bewertest.
Wenn du sagst du kannst mit deiner Familie nicht über psychische Krankheiten sprechen, dann Frage ich mich:
Hast du einen hohen Erwartungsdruck? Muss ein Mensch sich immer perfekt zeigen? Muss er immer viel leisten? Muss er immer 'funktionieren'?
All das sind Fragen die eine sensible und reflektierte Person zusätzlich belasten, auch weil sie im Widerspruch zur Menschlichkeit selbst und damit der eigenen Person stehen.
Ist deine Familie denn bereit über psychische Krankheiten etwas zu lernen? Wollen sie dich trotzdem unterstützen, auch wenn sie es nicht verstehen?
Dann kannst du es durchaus wagen dich und deine Gefühle zu äußern und dich zu erklären.
Wahrnehmung ist immer subjektiv, und das wird besonders bei psychischen Krankheiten deutlich.
Wenn du dagegen glaubst deine Familie ist dazu nicht fähig dann ist das natürlich sehr schade. Vielleicht kannst du dann andere Personen zur Kommunikation darüber finden.
Auch wenn es beispielsweise erstmal nur hier im Forum ist.
Der Vergleich deiner Leistungen zu anderer Leistungen ist niemals gut für dich, und auch unfair dir selbst gegenüber.
Du bist nicht die anderen. Du hast andere Vorbedingungen, Persönlichkeitsanteile, Umgebung, Belastungen und Fähigkeiten.
Du hast es 'nicht so einfach' wie andere. Aber daran kannst du auch wachsen.
Du kannst lernen dich und deine Persönlichkeitsanteile anzunehmen. Einiges ist daran dann auch noch änderbar. Und du kannst auch deinen Sinn, deine Fähigkeiten und dein Wohlbedingen noch finden. Deine Gedankenwelt ist größer und komplexer als die der anderen. Die musst du erst einmal verarbeiten und einordnen.
Und das braucht natürlich auch etwas Zeit.
Also vergleiche dich nicht mit den Erfolgreichen Schnellstartern. Akzeptiere dass es solche gibt, aber diese nichts mit dir zu tun haben. Man darf natürlich ein bisschen neidisch sein, aber sich deshalb nicht selbst fertig machen.
Für manche ist eine Diagnose ein Aha Erlebnis, also eher etwas positives. Man kann eher verstehen oder einordnen warum man so ist wie man ist, und dass es viele andere solcher Menschen gab und gibt, die ähnliche Erfahrungen und Probleme durchmachen.
Du sagst für dich sei eine Welt zusammen gebrochen. Aber vielleicht kannst du es ja lernen anders zu interpretieren? Nicht nur die Diagnose, sondern deine Gesamtsituation.
Ich hoffe ich kann dafür ein paar Anreize geben.
Du fragst wie ein Mensch mit einem ängstlich vermeidenden Persönlichkeitsnateil jemals glücklich werden kann.
Nun, da gibt es sicherlich viele Antworten drauf.
Dieser Persönlichkeitsanteil hat einige Vorteile, aber auch Nachteile die du momentan sehr stark erlebst.
Das heißt aber nicht dass diese Nachteile immer so viel Platz, Zeit und Raum in Anspruch nehmen werden wie momentan.
Auch mit Angst kann man Dinge 'trotzdem' oder 'gerade wegen der Angst' tun.
Man kann sich ein sicheres Umfeld schaffen. Man kann trotzdem gute und enge Freunde oder Beziehungen haben.
Diese zu knüpfen ist sicherlich nicht einfach, und man braucht vielleicht eine andere Qualität von Beziehungen (Rücksichtsvoll, Verständnisvoll, Ehrlich, Vertrauensvoll, ...).
Darüber hinaus lässt sich einiges was man sehr negativ und erdrückend und endlos und frustrierend empfindet auch weiter so empfunden werden.
Wahrnehmung ist immer Subjektiv. Belastungen müssen nicht erdrückend sein.
Und man kann sich selbst auch die Gewissheit geben dass es auch in schlechten Phasen irgendwann wieder besser wird.
Wenn man sich in guten Phasen einige Dinge bewusst macht und womöglich aufschreibt, dann kann einem das in schlechten Phasen helfen.
Das macht die schlechten Phasen nicht gut oder schön, aber erträglich und/oder mit Aussicht auf Besserung.
Neben dem was du persönlich positiv an der Persönlichkeit sehen kannst kann es auch helfen sich den evolutionären Nutzen, also den Grund warum ein solcher Persönlichkeitsanteil gesamtgesellschaftlich Sinn macht, helfen.
Denn Aktivität und Vorpreschen ist zwar eine evolutionäre Notwendigkeit, aber Vorsicht und Vorüberlegung und Kosten-Nutzen Überlegungen bieten auch einen klaren Vorteil gegenüber Gruppen die dies vielleicht nicht haben.
Das Gefühl der scheinbaren Ausweglosigkeit und des täglichen Kampfes kenne ich auch sehr gut.
Ich bin da auch noch nicht durch und wenn ich darüber nachdenke unzufrieden mit meinem Leben. Aber das heißt nicht dass man nicht weiter machen könnte oder sollte.
Ich habe noch Familie als gute und unterstützende Kontakte. Das ist für dich natürlich leider noch viel schwerer. Aber ich bin mir sicher auch du kannst gute Freunde finden
und Dinge finden die dir etwas Mut und Sinn geben. Etwas das dir gut tut, etwas das dir Spaß macht, etwas das du gerne tust.
Ich würde dir Zustimmen mit der lauten und extrovertierten Gesellschaft. Man darf aber dabei nicht dass man die die eher zurückgezogen Leben einfach nicht sichtbar sind.
Es gibt durchaus viele Menschen die eher zurückgezogen Leben, und das auch nicht unbedingt unglücklich.
Die sich ihr Leben selbst gestalten, und dies einfach weniger extrovertiert.
Zitat von Virginia26:Mal davon abgesehen, dass das stille und zurückgezogene ja die Angst ausmacht und nicht das was wir wirklich sind!
Das finde ich interessant.
Was würdest du denn sagen was du 'wirklich bist'?
An Ängsten kann man arbeiten. Ängste kann man annehmen und sich trotzdem Mut fassen und Dinge trotzdem tun.
Man kann Angstsituationen extra aufsuchen und aushalten, bis die Angst abklingt, und diese gedanklich Nacharbeiten.
Und der Angst und den Ängste damit ihre Macht nehmen und abschwächen.
Du sagst du hast keine Hobbies. Was würdest du denn gerne ausüben? Hindert dich wirklich die Angst daran, oder hast du noch nichts gefunden?
Würdest du gerne viel mehr unternehmen?
Oder bist du auch ein Mensch der sich gerne zurückzieht, auch gerne etwas alleine tut, lieber zu zweit etwas macht als in einer Gruppe?
Bezüglich Sucht (Alk., Dro., Fressattacken):
Suchtmittel bieten einen sofortigen Effekt, haben aber natürlich auch direkte negative Seiten.
In meiner Gruppentherapie das auf einem Borderline Handbuch basiert geht es auch um Skills, die man stattdessen anwendet um den gewohnten Handlungsimpuls zu ersetzen; Dinge tut die einem zwangsläufig nicht sofort und so stark helfen, aber keine negativen Folgen haben. (Spaziergang, Reize setzen zB Eiswürfel, spitze Kugeln, sich ablenken, heiß baden etc).
Ich schlage vor du machst dir eine Auflistung: Was bringt es dir sofort, positiv und was negativ, und was nach einer Zeit?
Was sind alternative Handlungen die du tun kannst?
Für Notsituationen kannst du dies noch verkürzen auf: problematisches Verhalten - negative Auswirkungen und alternative Handlungen.
Zitat von Virginia26:Ich weiß nicht ob es bei mir einfach ein Härtefall ist oder ob ander mit dieser Krankheit genauso große Schwierigkeiten haben?!?!? Bei mir betrifft es wirklich jede Lebenslage. Ich weiß nicht mal mehr wie ich mit Familien Mitgliedern umgehen soll. Als wäre ich in einem Dschungel aufgewachsen und soll jetzt in dieser Gesellschaft klar kommen. Entschuldigt, aber mich macht das alles sehr wütend.
Gerne kannst du hier (oder gerne mir auch per privater Nachricht) auch konkrete Probleme äußern. Was macht dir Schwierigkeiten?
Du listest sehr viele Lebensbereiche und schwierige Umstände auf. Es gibt viele Menschen mit solchen Persönlichkeitsanteilen, und (weniger aber) viele die auch Probleme damit haben. Man hätte es auch noch viel schlimmer treffen können. Wenn du ansonsten nichts hast hast du ja noch Handlungsspielraum. Dir steht nur dieser (natürlich sehr starke) psychische Aspekt im Wege, aber nicht etwa noch körperliche Behinderung oder andere psychische Krankheiten(?).
Wut ist natürlich keine zielführende Emotion. Auf wen oder was bist du wütend?
Deine Situation ist so wie sie ist, weil alles so geschah wie es geschah. Es konnte auch garnicht anders werden. Du hast dein bestes gegeben.
Die Frage ist, wie kannst du jetzt anders damit umgehen, und was kannst du für die Zukunft beeinflussen.
Ich wünsche dir alles Gute!