@Hotin
Ich habe es noch selten anders erlebt, als dass man dafür kritisiert worden wäre, wenn man ein offenes extravertiertes Verhalten hat. Aber ich bin so und kann das auch nur bremsen, aber ganz komplett mich ändern geht nicht.
Ich habe deswegen schon oft auf den Deckel bekommen und es macht mich traurig und macht mir das Leben schwer, dass ich immer die Komplexe von anderen Menschen ausbaden muss. Ich habe ja viele Geschwister und da ist alles dabei: laut, leise, mittendrin ist keiner, ich bin noch am ehesten in der Mitte zu finden. Ich kenne also alles, die Platzhirsche, die Profilneurotiker und diejenigen, die scheintot sind....
Ich kann letztlich nur meine Erfahrungswerte posten und nicht mehr. Und das wäre einmal mein Erleben und da finde ich extrem stille Menschen ganz schlimm. Die sind für mich unberechenbar. Du weißt nicht, was sie denken, Du weißt nicht, wie sie empfinden, man weiß nicht, ob man was richtig macht oder nicht, ob es ankommt oder nicht, ob es passt oder nicht oder wie denn jetzt. Die bleiben so konturenlos und bei mir löst es aus, dass ich denen null vertrauen kann. Man lernt sie doch gar nicht kennen, wie denn, wenn sie so dermaßen zurückhaltend sind und so zugeknöpft sind? Und ich erwarte von meinem Gegenüber auch, dass es mal verbindlich wird, dass es in die Verantwortung geht, dass klare Ansagen gemacht werden und man sich mal festlegt, einen Standpunkt einnimmt und Stellung bezieht.
Das kann sich vielleicht jemand, der zu den Stillen gehört gar nicht vorstellen, was das auf der anderen Seite auslösen kann? Und es hängt auch von der eigenen Erwartungshaltung ab. Ich kann mal erklären, was ich meine. Ich hatte einen Freund, wir waren erst kurz zusammen und man hatte sich halt erst kennengelernt und für ihn war das ganz schnell eine runde Sache. Und ich bin sehr schnell in einer Beziehung gelandet, weil er war attraktiv und nett und er war wirklich so lieb zu mir, war bereit, alles Mögliche für mich zu tun, ein wahrer Kümmerer und Geld hatte er auch noch. Es schien eine gute Zukunft möglich. Aber wenn wir zusammen waren, hat er kaum was gesagt. Immer war er in der Zuhörerposition und ich habe geredet und geredet... Und immer öfter habe ich gesagt:Sag' doch auch mal was, hm!?, weil ich ihn besser kennenlernen wollte und was von wissen wollte. Und alles, was kam, war :Das ist alles so interessant, was Du erzählst. Ich höre die ganze Zeit total interessiert zu!. Eigentlich ist das ein wunderschönes Kompliment gewesen. Aber mir hat das nicht gereicht. Ich habe einen Partner gewollt, der mitmacht, der sich zeigt, der sich öffnet, der mir Impulse gibt, der mir auch mal Kontra geben kann, der mir ehrlich seine Meinung sagt, wenn ich daneben liege. Ich wollte einen agilen Mann mit hellem Köpfchen und keinen Ja-Sager. Je mehr er mich angeschwiegen hat, desto einsamer und unglücklicher war ich mit ihm. Dann habe ich Schluss gemacht und er hat die Welt nicht mehr verstanden.
Und ich denke, dass viele stillen Menschen sich das gar nicht vorstellen kann, dass es auf der anderen Seite so viele Probleme machen kann.
Das ist sicherlich auch nicht bei jedem Menschen gleich. Wahrscheinlich gibt es Menschen, die die stillen Menschen sogar sehr mögen. Das hat sicher auch seine Fans. Aber ich denke, es kann schon sehr viele Schwierigkeiten auslösen. Gerade im Job finde ich es schwierig, wenn man mit jemandem zusammen arbeiten soll, der so undefinierbar ist und nur sachlich. Das ist doch kein schönes Arbeitsklima. Natürlich geht es schlimmer, fiese, laute Kollegen, die einen mobben sind klar viel schlimmer. Dann dann lieber brave Stille. Aber ich finde die goldene Mitte immer noch am Besten.
Stillsein kommt halt auch sehr nahe an Mit jemandem nicht reden oder Jemanden ignorieren....
Ich habe z.B. auch viele Leute kennengelernt, die eisern Schweigen, um andere unter Druck zu setzen, zu strafen, zu quälen, wo der Abbruch von Kommunikation als psychische Gewalt eingestuft werden muss. Und in diese Richtung geht das Stillsein schon etwas. Wenn man das selbst macht, dann sieht man darin womöglich kein Problem. Derjenige selbst, der es macht, der erlebt es vielleicht ganz anders. Aber auf der gegenüberliegenden Seite würde ich es sehr problematisch sehen.
Ich glaube, ein bisschen positives Feedback braucht jeder, um sich wohl zu fühlen. Und wenn nicht mal das käme, dann würde ich mich schon fragen, ob ich dort sein will, wo ich so ignoriert werde. In einem Kontakt müssen sich beide Seiten wohl fühlen. Wenn sich nur eine Seite kuschelig fühlt, dann hat das Ganze keine Zukunft.
Und nein: Erwachsene Menschen werden nicht abgeholt. Das muss man selbst machen.
Ich bin z.B. bei meiner ersten beruflichen Tätigkeit im Ferienjob in einem Betrieb für Monatagearbeit gewesen. Für 4 Wochen habe ich da gearbeitet und wusste gar nicht, wie man sich in einer Firma, an einem Arbeitsplatz verhält. Dann bin ich da reingekommen, lauter wesentlich ältere Mitarbeiter als ich, alles Männer, teilweise mit multikulti Hintergrund. Und ich war total unschlüssig, was ich machen soll. Und statt einfach nur zu grüßen bin ich dann da mit meinen 16 Jahren zu jedem Mitarbeiter hingegangen und habe ihm die Hand hingeschreckt und habe gesagt: Guten Tag! und habe freundlich gelächelt. Und die haben alle die Augen aufgerissen und sich gefreut, dass sie so persönlich begrüßt wurden. Das war ein sehr guter Start und die waren supernett zu mir. Es ist auch eine Frage der Höflichkeit und des Auf-andere-Zugehens. Es ist wichtig, zu zeigen, dass man den anderen sieht, dass man ihn miteinbezieht, dass man ihm Wertschätzung entgegen bringt. Das ist ein Teil der sozialen Grundregeln. Wenn ich in einer Stadt bin, werfe ich meinen Abfall auch nicht auf die Straße, sondern in den nächsten Mülleimer. Wenn mir jemand im Weg steht, dann sage ich.Entschuldigung, würden Sie mich bitte durchlassen?! und lächle die Person dabei an, geh' in den Augenkontakt und sagen Danke!, wenn die Person zur Seite geht. Und das gehört dazu, dass man mit Menschen kommuniziert. Wenn Sprechen schwer fällt, dann kann man ja auch den anderen anschauen, Blickkontakt zulassen, man kann seine Körperhaltung öffnen, sich mit dem Oberkörper in seine Richtung drehen, Interesse signalisieren, Nicken, Lächeln, einen Stuhl zur Seite schieben und der anderen Person Platz machen und mit der Hand auf den freien Platz verweisen, jemanden so einladen, teilzunehmen.
Manche Menschen wollen halt grundsätzlich keinen Kontakt oder niemanden in der Nähe. Das kann ich verstehen, wenn jemand einfach Angst hat, weil schon viel in seinem Leben passiert ist, wo es gefährlich wurde.
Aber hat trotzdem auch eine eigene Verantwortung, wengistens so viel zu machen und zu versuchen, wie man kann. Und ich finde, da lehnen sich manche Leute schon sehr bequem zurück und schieben die komplette Verantwortung auf den anderen ab. Ich habe gestern z.B. wieder mal mich mehr ins Konfliktmanagement eingelesen und es wurde wieder klar, wie sehr man kommunikative Fähigkeiten und Sozialkompetenz erarbeiten und professionell aufbauen muss.
Auch wenn viele Leute meinen, es würde alles vom Himmel fallen, und alle anderen Menschen wären so geboren worden, dass sie vor Hallen mit 1000 Leuten Reden halten könnten:
NEIN!
Alle diese Fähigkeiten müssen erarbeitet werden, kosten Mut, Probeläufe und Überwindung. Natürlich sind manche Menschen da von Natur aus besser aufgestellt. Aber es ist auch Trainingssache und Wille. Und vor allem darf man eine Sache machen:
Man muss ein positives Menschenbild haben. Man muss davon ausgehen, dass da ganz tolle Menschen und ein paar Deppen vor einem sitzen.
Das Bild, dass man sich von sich selbst macht, muss ein gutes sein. Und das Bild, dass ich von den anderen Menschen habe, muss ein gutes sein. Nur wenn die zwei Bedingungen erfüllt sind, kann ich wirklich auf gute Kontakte und gute Beziehungen hoffen. Wenn eins dieser Bilder gestört ist, wird man krank werden. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche.
04.04.2023 11:23 •
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