Ich stimme Dubist da vollkommen zu. Ich habe auch die Erfahrung gemacht, dass das nahe Umfeld, vor allem aber die Familie da eine große Rolle spielt, vor allem, weil man seine gesamte Kindheit mit diesen Menschen verbringt.
Mein Vater beispielsweise war schon immer ein verdammt engstirniger, konservativer und leider auch sehr cholerischer Mann mit sehr hohen Anforderungen an mich, die ich nicht erfüllte. Was er mich leider auch von kleinauf spüren ließ. Besonders von ihm wurde mir oft gesagt, ich sei nicht gut genug, nicht intelligent genug, peinlich, völlig verzogen, manchmal wurde er sogar handgreiflich. Meine Mutter, eine eigentlich herzensgute Frau, sagte damals nie etwas dagegen, war immer sehr verschüchtert gewesen. Das Witzige an der Sache: Vaters Lieblingsspruch war der Satz Sag einem Mann 100 Mal, dass er ein Schwein ist, und beim 101. Mal grunzt er. Und das trifft vermutlich auf genau diese Situation zu. Man verbot mir den Mund, wollte meine Meinung nicht hören, wenn sie nicht mit der meines Vaters übereinstimmte, denn sonst wurde er laut, griff zu unfairen Mitteln. Einmal steckte mein Vater meine 2 Schwestern und mich in ein 12m² großes Zimmer und wir mussten über Wochen (!) hinweg auf einfachen Matratzen ohne Bettgestell auf dem Boden schlafen, weil unsere Zimmer nicht aufgeräumt waren, hielt uns wie Tiere auf engstem Raum zusammen. Wenn wir uns stritten, sagten meine Schwestern immer Dinge wie Kein Wunder, dass du keine Freunde hast!, Menschen, denen man eigentlich vertraute, denen man eigene Schwachpunkte offenbarte, nutzen dieses Wissen schamlos aus. Mein Vater sagte immer, gibt es ein Problem in der Familie, dann sprecht es an! Doch wenn ich es tat, dann wurde er aggressiv, dann stritt er alles ab und gab mir die Schuld an allem.
Irgendwann glaubt man an was, was einem gesagt und gezeigt wird. Warum sagen sie das?, fragt man sich erst. Später denkt man, haben sie vielleicht Recht? Und irgendwann glaubt man zu wissen: Ja, das haben sie. Es müssen nicht einmal Worte sein - einfache (evtl. nicht durchgeführte) Handlungen reichen aus. Warum zeigen sie mir ihre Liebe nicht? Lieben sie mich etwa nicht? Nein, sie lieben mich nicht. Warum nicht? Kann man mich nicht lieben? Nein, das kann man nicht. Und das schlimmste ist leider: Viele dieser Gedanken überträgt man auf andere Lebensbereiche. So konnte ich auch außerhalb der Familie nicht meine eigene Meinung sagen, über meine Probleme reden, sein wie ich war, weil ich immer Angst hatte, man würde mich nicht ernst nehmen, auslachen, sich für mich schämen. Blut ist dicker als Wasser, heißt es, und die Familie ist immer für einen da, egal was passiert. Diesen Satz bekam ich immer wieder zu hören, doch niemals zu spüren - umso mehr fragte ich mich irgendwann, was stimmt nicht mit mir, dass sie für mich da wären und zu mir hielten, würde ich eine Bank ausrauben, aber nicht, weil ich bin wie ich bin? Bin ich so schlecht? Und: Wenn nicht einmal meine Familie mich so liebt wie ich bin, wie können es dann erst fremde Menschen tun?
Ich sehnte mich nach menschlichen Kontakten, hielt andere aber stets auf Abstand, weil ich so auf der sicheren Seite war - denn wenn ich keinen Kontakt zu anderen Menschen habe, kann mir auch niemand sagen, dass ich falsch, nicht gut genug bin.
Das Paradoxe an der Sache: Obwohl mein Vater immer der Mensch gewesen war, von dem ich die meiste Ablehnung erhalten habe, ist er auch heute immer noch der Mensch, dessen Meinung mir am wichtigsten ist - wenn er wieder etwas sagt, was mich verletzt, dann wirkt sich das automatisch auf mein gesamtes Verhalten aus, nicht nur ihm gegenüber, sondern in nahezu allen Lebensbereichen, sogar denen, die im Grunde gar nichts mit ihm oder seiner Aussage zu tun haben. Mehr Selbstzerstörung geht nicht.
Ich habe damals nie so ganz verstanden, warum Familien zu Therapiesitzungen eingeladen wurden, wenn es doch um den Patienten selbst ging, bis mir klar wurde, dass sehr viele Probleme erst in der Familie entstehen, manchmal sogar, ohne dass man das bewusst mitbekommt. Es ist gar nicht so verkehrt, die eigene Familiengeschichte deshalb noch einmal zu durchdenken und zu gucken, ob man da nicht vielleicht doch die Ursache(n) allen Übels findet.
13.06.2013 23:18 •
#23