Lieber Markus,
mir geht es wirklich ähnlich. vielleicht tröstet dich der gedanke, nicht allein zu sein. vielleicht auch nicht. manchmal tröstet es mich. manchmal nicht. ich will auch endlich, dass es klappt.
du, ich hab nicht alles zu lesen geschafft. deshalb die preisfrage: machst du eigentlich therapie? ich kann nur sagen, ohne die käme ich wohl gar nicht weiter. oder nur so langsam, dass man es nur unter`m mikroskop sehen würde.
der schlüssel ist unser popeliger selbstwert! da bin ich mir auch bei dir ziemlich sicher? um den aufzumöbeln, können verschiedene verhaltenstherapeutische und alternative tipps helfen. aber - so ist es zumindest bei mir - in manchen hartnäckigen fällen (sorry, ich denke, das könnte bei dir auch sein), reicht es nicht immer nur am symptom (selbstwert) zu arbeiten. mir geht es erst wirklich etwas besser, seitdem ich auch tiefenpsychologisch die gründe für meinen mini-selbstwert angucke und verarbeiten lerne. na gut, und am symptom wurde bei mir mittels medikamente nachgeholfen. ich hatte halt so starke chronische schmerzen, dass ich gar nicht klar denken konnte, um gescheit therapie zu machen. das medikament senkte die schmerzen, stärkte meine psyche etwas und dann ging auch therapie.
meine geschichte - sorry, sehr lang, aber vielleicht kannst du was für dich da rausziehen?
die ausbildung bei mir ging auch noch. das erste berufsjahr auch. dann machte erste große liebe schluss, familie trennung/scheidung , ich wurde sexuell übergriffig belästigt, wurde dann in einem neuen job noch gemobbt und: wurde krank. damals (ich bin 31, also vor 11 jahren) war mir gar nicht klar, dass da so einige dinge passiert waren, als die chronischen schmerzen kamen. beziehungsweise, ich hätte es mir damals nie damit erklärt. körper wird krank wegen psyche? kenn isch net. dass in kindheit und jugend auch schon viel war, sah ich auch nicht.
also: am körper-symptom rummachen. 1000 ärzte aufsuchen, nix hilft. dann bin ich halt doch mal zur psycho-therapie. aber: da habe ich fast nur über die schmerzen geredet und mich über meinen aktuellen freund beschwert. fazit: schmerzen null besser. ich kapierte es immer noch nicht. versuchte weiter zu funktionieren, besuchte eine fachschule um mich weiterzubilden, dachte das wäre eine gute idee (redete ich mir ein, weil ich vor`m arbeiten viel zu viel schiss hatte, wegen den schmerzen. da hätte jeder sofort gesehen, wie oft ich leistungseinbrüche habe. auf der schulbank sieht man´s weniger).
dachte ich! aber: kurz vor schluss ging nix mehr. da wollte mich keiner im abschlussprojekt haben, weil man sich auf meine arbeitsmoral nicht verlassen könnte (weil ich halt öfter mal krank war. aber hatte immer alle referate pünktlich und fast immer überall gute noten). ich brach ab und jobbte erstmal jahre lang in einem kleine laden von einem freund. das tat gut. wenig anspruch, alleine im laden, keiner beobachtet mich. aber: irgendwann wurde mir langweilig, mir fehlte eine herausforderung. da ich keinen job hatte, für den man etwas können muss, versank mein selbstwert in der sinnlosigkeit.
also dachte ich: studieren! ich dachte zwar, ich schaffe das nie, aber der laden machte eh dicht und normal und bei fremden arbeiten: niemals, panik! das ging ja mal gar nicht.
wegen meiner schmerzen (die von chronisch trockenen augen her kommen), studierte ich aber nicht das, was ich mag (z.b. archäologie oder etwas mit tieren - wegen dem staub, dreck: leider ganz schlecht für die augen), sondern dass, was am einfachsten ist: sozialpädagogik (bitte nicht lachen, das ist ein ehrenwerter beruf!). ich dachte, das ginge auch, weil es wenigstens nicht so oberflächlich ist wie die werbung, in der ich vorher war. durch meine eigenen problemen wurde mir mehr und mehr wichtig, etwas sinnvolleres im leben zu tun.
dann war ich letztes jahr fertig mit dem studium. und fertig mit den nerven. dadurch, dass ich jahrelang versucht hatte, weiterhin zu funktionieren, als wäre nichts mit mir los und ich nicht wirklich an meine innerlichen probleme dran kam bzw. sie wohl verdrängt hatte, hatte sich nun auch noch eine depression eingeschlichen. nach der letzten mündlichen prüfung, kamen mir zuhause die tränen und ich dachte: und jetzt komm ICH! hier geht grad mal gar nichts mehr!. ich wollte mich um meine gesundheit kümmern. alles vorher, yoga, ayurveda, zwei ambulante therapien, all das hatte nicht ausreichend geholfen.
klar, kam mir diese idee, jetzt an meiner gesundheit zu arbeiten (ich dachte an eine klinik) auch ganz recht: dann müsste ich ja nicht arbeiten gehen. aber es war nicht nur das. vorher war vieles wirklich nur die vermeidung davon wirklich zu arbeiten und wirklich anzufangen zu leben und verantwortung für mich selbst zu übernehmen. diesmal war es wenigstens eine konstruktive vermeidung, die sinn gab, wenn ich irgendwann mal arbeiten können will.
oje, voll lange. noch das ende: drei monate psychosomatische klinik, nach 10 jahren erstmals jemand, der mir sagte, meine schmerzen sind rein psychisch bedingt (somatoforme störung). vorher gab es da nur so sätze wie: ist bestimmt auch bisl psychisch und rauchen sie mal weniger. mein immer schlimmer werdendes befinden während 4 jahren studium, entpuppte sich dann als diagnose: mittelschwere depression. puh, schei.. aber passte.
die klinik tat sau gut, endlich mal kam ich an die ursachen. seither weiterhin therapie und langsam geht es voran. ich machte im mai ein praktikum und das lief besser, als jeder job, den ich vorher gemacht hatte. natürlich gibt es auch rückfälle. ein praktikum anfang august musste ich abbrechen. war aber halt auch eine doofe idee mit psychisch kranken zu arbeiten, wenn ich es selbst bin. jetzt weiß ich das wenigstens. und so geht es schritt für schritt voran.
zusammengefasst würde ich dir erstmal gern ein paar gedanken mit auf den weg geben:
- welche dinge in deinem leben, haben dich belastet, gedemütigt, geprägt oder traumatisiert?
- auch dinge, die dir auf die schnelle nicht auffallen (war bei mir z.b. so = verdrängung!).
- wie denkst du, hat dich das seither beeinflusst?
- kannst du dir auch vorstellen, dass es dinge gibt, die nicht an dir liegen oder lagen, sich das eben nur so anfühlt? weil sich durch prägung denk- und verhaltensmuster in dir einnisten.
- kannst du dir vorstellen, dass es sinn machen würde, sich damit auseinander zu setzen? um sich dessen noch mehr bewusst zu werden und zu lernen sich davon zu befreien, sich selbst wieder kennen und mögen zu lernen und seinen weg gehen zu üben.
so, jetzt lasse ich dich mal in ruhe. tschuldigung, falls es klugscheissernd wirkt, soll es nicht, ich weiß ja nicht viel. war impulsiv und ausführlich, weil das thema mich halt auch beschäftigt.
alles alles gute!! kiwi
21.08.2010 14:20 •
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