Zitat von moo: Unbedingt! Wenn Du mal Zeit und Muße hast.
Danke, ist auch für mich gut das immer wieder neu zu ordnen und tiefer zu durchdringen, ich glaube sogar, dass, wenn das breiter verstanden wird, klar werden kann, was bei uns gerade schief läuft, dass es das tut, leugnen ja inzwischen immer weniger.
Psychologisch folge ich gerne Otto Kernberg, der von Organisationsebenen der Persönlichkeit spricht, also einer Variante der Stufentheorien. Die mag man bei uns oft nicht, weil man skeptisch gegenüber Hierarchien eingestellt ist und gerne pluralistisch sein möchte, aber dieser Pluralismus strotzt nur so von Selbstwidersprüchen und in schönster Klarheit hat Ken Wilber das vor einem Viertel Jahrhundert dargestellt, in „Eros Kosmos Logos“, nur wird Wilber in der Regel wenig beachtet, weil Spiritualität bei uns irgendwie suspekt ist. Wilber ist auch Stufenfetischist.
Genau damit sind wir also schon mitten in den Stufentheorien, denn diese reduzierende, szientistische Lesart hat sich durchgesetzt und ist inzwischen in einigen Bereichen an ihrem Ende angekommen. Es erklärt einfach nichts mehr. Der kühle Funktionalismus, in dem Anpassung alles ist und primärer Zweck der Systemerhalt, kommt m.E. aus dem Naturalismus und befeuert dann auch den heute so oft kritisierten Kapitalismus, ich glaube nur, dass Letzterer eine Konsequenz des Ersteren ist.
Signifikant ist auf jeden Fall der großzügige Verzicht auf alle Arten der Innerlichkeit, die allenfalls noch privates Spiel sind und der Hang, so gut wie alles, auch Innerlichkeit, über äußere Ursachen, von Armut bis Neurotransmitter erklären zu wollen.
Der Pluralismus ist in seiner besten Variante einen Schritt weiter, weil er die Frage danach stellt, wie man sich dabei eigentlich fühlt, wenn man funktionieren muss und marginalisierte Gruppen in den Blick nimmt (Innerlichkeit spielt also wieder eine Rolle), aber leider dominiert oft die reine Opferperspektive und die Formulierung 'alte weiße Männer' ist der uneingestandene Ausdruck all dessen, was auch bei unterstellt guter Absicht schief gehen kann, eine flotte Dreifachdiskriminierung einer Bewegung, die genau das explizit aufweichen will, so viel Betriebsblindheit muss man erst mal hinbekommen.
Zeigt aber, in Wilbers Worten, dass es keine an sich guten und schlechten Stufen gibt (wie Pluralisten in der Regel glauben), sondern, dass jede Stufe gute und schlechte Formen, Pathologien, Übertreibungen hat.
Unterhalb der rationalen oder wissenschaftlich-technisch-funktionalen-('kapitalistischen') Gesellschaft liegt, da ist man sich relativ einig, die mythische Gesellschaft, die vollgestopft mit Sinn und Orientierung ist. Reckwitz (populärer Soziologe, der mit den Singularitäten) sagt zwar, auch die rationale Gesellschaft sei voll mit Sinnangeboten (und die mythische oft sehr rational), was in gewisser Weise stimmt, aber der Sinn unserer Gesellschaft ist die Vereinzelung, das singuläre Ereignis, was vor allem ich miterlebt habe, weshalb ich so einzigartig bin.
Ich habe neulich eine Philosophin im Radio gehört, die die interessante These aufstellte, dass wir uns als Gesellschaft erstmalig nicht mehr dem Über-Ich (moralischen Normen, die für alle gelten) unterwerfen, sondern dem Ich-Ideal, das sich durch Einzigartigkeit und den Zwang zur Konkurrenz auszeichnet.
Oberhalb des Pluralismus sieht Wilber eine integrale Bewusstseinsstufe, die ihre notorische Hierarchiefeindlichkeit verliert und die erste Stufe ist, die nicht will, dass sich alle auf ihr versammeln sollen, sondern anerkennt, dass die Menschen verschieden und verschieden weit entwickelt sind – mit Schwerpunkten auf ganz unterschiedlichen Entwicklungslinien: Intelligenz, Empathiefähiglkeit, Ästhetik, inneres Wertesystem – und die besten Seiten der jeweiligen Stufen bergen, bewahren und integrieren will und die Übertreibungen hinter sich lassen.
Daraus folgt, dass es nicht sonderlich entscheidend ist, daraus eine Massenbewegung zu machen, sondern viel mehr, einzelne Menschen weiter zu führen, die mit einem integralen Bewusstsein dann schon von selbst Motive entwickeln helfen zu wollen und auch Wege finden, es auf ihre Weise zu tun.
Die Musik und was für eine Rolle sie in unserem und anderen Leben spielt, legt ihre Spur vermutlich sehr früh in der Menschheitsgeschichte und ist daher vermutlich von fundamentaler Bedeutung, bis heute. Die Versuche sie Entwicklungsstufen zuzuordnen, finde ich, besonders auf den höheren Stufen nicht so überzeugend, aber vielleicht kommen wir hier bei dieser Betrachtung ja weiter.
Die gemeinsame Wurzel der Kunst und Religion oder des Sakralen sieht Habermas gegeben und immer wieder wurde ja auch versucht, die Ästhetik religiös zu überfrachten. Was beiden jedoch gemeinsam ist, ist das außeralltägliche Element, Kunst und Sakrales entziehen sich recht beharrlich der (m.E. schaurig verkürzten) Perspektive der Nutzenorientierung der heutigen Zeit. Das passt auch zu den Erkenntnissen der Objektbeziehungstheoretiker (der modernen Psychoanalyse), die eine Ausdifferenzierung der Psyche in der Individualentwicklung beschreibt, in der die Quelle zu Religion, Kunst, Liebe, Wissenschaft und Werten zur gleichen Zeit erscheinen. Wir müssen die Innerlichkeit in all Komplexität – das sind jeweils eigene Kosmen – wieder entdecken und vor allem wieder verbindende und verbindliche Praktiken des 'Wir' einführen. Dieses exklusive Charakter wird zwar gefürchtet, aber wenn man diesen Weg weiter geht, kommt man, bspw. auf den Wegen der Spiritualität ja auch zu Erfahrungen die über schnöde Nationalismen und dergleichen hinaus reichen und über Verschmelzungen und Einheitserfahrungen lohnt es sich nicht zu diskutieren, man muss sie erleben.
Die auf Unverständnis und Ressentiments beruhende Aversion vieler, die sich als links ansehen, gegenüber Praktiken der Innerlichkeit und ihrer Interpretation, ist ein tiefer Fehler, der überwunden werden muss. Der Linken weht heute m.E. zurecht ein scharfer Wind ins Gesicht, aber leider ist die Kritik oft von so erbärmlicher Qualität, dass man sich mit den rechten Theoretikern und ihren fast durchweg regressiven Angeboten, bishin zum offenen Faschismus, nun erst recht nicht ins Boot setzen will. Aber das große Versäumnis der Linken, alles am Kapitalismus fest zu machen und Innerlichkeit unbeachtet zu lassen und ihre fast pathologische Hierarchiefeindlichkeit müssen wir hinter uns lassen. Und offenbar müssen eben buchstäblich wir das machen und zwar jetzt. Dass die Rolle des Individuums (war ja auch mal die Idee der Aufklärung) wieder unterstrichen werden muss, ergibt sich daraus. Das 'Lied' was heute gesungen wird, klingt aber oft nach: Ach, ich alleine, was kann ich denn schon ausrichten, selbst wenn ich wollte? Nicht mal mehr am eigenen Leben oder eigenen Entscheidungen scheint man beteiligt und dann wundert man sich, warum so viele Angst haben.