Mille grazie erstmal!
Ich bin immer noch an der Schuldfrage dran und so langsam finde ich wohl die halbwegs passende Analogie dafür: Das Bild von Adam und Eva, dem Apfel, dem Baum der Erkenntnis und die Rechnung für ihre
Vermessenheit: die Vertreibung aus dem Paradies.
Ich will nicht behaupten, dass früher paradiesisch gelebt wurde, aber zumindest wurde in irgendeiner Weise nach dem Paradies
gesucht. Das spiegelt z. B. die Musik vieler vergangener Epochen wider. Mein Thema Ist Musik eine Sprache? ging ja bereits in diese Richtung - das Unaussprechliche! Das Unsterbliche!
@superstes Als ich damals Hesses Werke las, war immer diese Sehnsucht
danach zu spüren. Es ging in seinen Büchern niemals um weniger als ums Ganze. Und wenn ich so drüber nachdenke, lebte ich mein Leben bis in die letzten 90er ziemlich genau so - volle Pulle. Die selbe Anziehungskraft übte später Zen und heute das Dhamma auf mich aus - die Ahnung, dass es eine Befreiung von diesem allem gäbe - durch Erkenntnis.
Bestimmt dutzende Male am Tag, wenn ich nach irgendeinem Weg metagere, etwas im Netz bestelle, mich vor einem Anruf in Form einer SMS oder E-Mail drücke, flackert die vertraute Scham der Verantwortungsübergabe, der Feigheit, des Rückzugs, der Resignation auf. Ich bediene mich eines Angebots, das als Preis nichts Geringeres als den allmählichen Verlust meiner geistigen Autonomie zur Folge hat.
Wissen ist heute zu einer Art
Fast Food verkommen und
wirkt schlechterdings ähnlich: Inhalt, Tiefe und Nutzen verlieren in unserer Wertschätzung zugunsten schneller Verfügbarkeit und Verdaubarkeit. Die Oberflächlichkeit erscheint uns nach und nach als ausreichend. Der Spirit fehlt und wird irgendwann auch gar nicht mehr als solcher gesucht, weil gar kein Bedürfnis mehr vorhanden ist. Es ist verloren gegangen. So lebt es sich praktischer.
Es gibt Augenblicke, da ist eine tiefe Zufriedenheit da: in der Meditation, bei guter Lektüre, beim Erkennen des Dhamma, bei gelebter Bescheidenheit, bei Demut und Dankbarkeit für kleine Dinge, für ein liebes Wort, für eine schmerzfreie Stunde, für die weitestgehende Abwesenheit von Leid. Diese Augenblicke haben nichts mit Informationen oder einer Selbstdarstellung zu tun. Sie finden vollumfänglich analog statt.
Eine freiwillige Beschränkung der Sinneseindrücke, der geistigen Ein- und Ausflüsse... Hier fehlt dann die Scham, hier fühle ich mich stets frei von Schuld.
Zitat von superstes: Obwohl - die Unschuld mit Blick auf die damalige Zeit, habe ich sicher sukzessiv verloren.
Magst Du näher erklären, wie
Du das meinst? Was genau hast Du verloren und kannst Du sagen, warum? Fühlst Du Dich
schuldig geworden oder kam Dir nur die
Unschuld abhanden?
Zitat von superstes: Zu deiner Frage, weil ich bedingt durch mein Alter diese Bewußtseinsentwicklung seit den 60'iger Jahre miterlebt habe, kann ich deiner Sicht und auch das deiner LP sehr gut verstehen oder nachfühlen, weil ich das ja selbst an mir über die Jahre um mich herum erkannt hatte.
Joan Baez sagte mal in einem Interview: Viele (Künstler), die damals nicht in Woodstock dabei waren, sagten viele Jahre später, dass der Spirit dieses Konzerts überbewertet wurde, dass es letztendlich nichts außergewöhnliches war. Ich bin heute mehr denn je überzeugt, dass es weniger besseres in meinem Leben gab als Woodstock und die Tatsache, dass ich an dieser Mind Change mitwirken durfte. Mir tun diese Kollegen leid, die heute nichts mehr von diesem Spirit in sich tragen.
Wir beide sprachen ja schon öfter über unsere Lieblingsbands und stets war mir bewusst, dass ich im Vergleich zu Dir lediglich die Konserve zu hören bekam. Du warst live dabei - und damit meine ich nicht nur die Konzerte sondern Dein vollumfängliches Lebensgefühl damals, was ja für Dich die vitale Gegenwart war. Und trotzdem sehe ich mich diesbezüglich nicht minder on tune, bin fest davon überzeugt, dass ich
auf meine Art, verstanden habe. Damit meine ich nicht etwas, das man kapieren, lernen kann.
Zitat von Angstmaschine: Sowas gab es früher natürlich auch, da waren die Themen aber gröber und somit auch die (Selbst-)darstellung des Einzelnen. In den 70er Jahren reichten - um bei dem Beispiel zu bleiben - 2 Aufkleber am richtigen Gefährt, um den Betreffenden als einen politisch links stehenden Lehrer mit einer Vorliebe für Pink Floyd oder einen Mittvierziger Buchhalter der CDU wählt zu identifizieren.
Richtig - und das genügte auch. Es musste nicht bis ins kleinste Fitzelchen ausdividiert und entsprechend kommuniziert werden. Man hatte so etwas wie einen Spürsinn, eine Witterung für das Gegenüber. Diese war weitgehend vom eigenen Ich-Gefühl durchwirkt. Unsere Wahrnehmung hatte
unseren Stallgeruch. Heute riecht gar nichts mehr - die Einflüsse sind beliebig, kommen aus allen Richtungen und werden nahezu ungefiltert, unbewusst in unsere Sicht integriert. Sogar unsere Fragen, unsere Sehnsüchte, so behaupte ich, sind - sofern überhaupt vorhanden - undefinierter, beliebiger, leichter zu befriedigen...um zeitnah ein nächstes search reach zu generieren. Wie bei einem Geldspielautomat - alle 45 Sekunden ein Adrenalin-Kick. Und irgendwann ist der Strom weg und wir schauen dumm.
Zitat von Angstmaschine: Heute haben dagegen viele panische Angst, in der Gesellschaft irgendwie und irgendwo falsch wahrgenommen zu werden und tragen (reden, schreien, brüllen) vorsichtshalber ein komplettes, fein ziseliertes Ich nach aussen. Sie vergessen aber manchmal, dass die Welt das teilweise gar nicht interessiert. Und manche eher zusätzlich verwirrt.
Sehr gut formuliert. Ich finde auch, dass immer mehr
gesendet wird und fast nicht mehr
empfangen. Und oft denke ich, es wird gar nicht mehr
vorausgesetzt, dass überhaupt jemand wirklich zuhört - denn man hört ja selber eher ungern zu...