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@ChristianeW Hallo Christiane. Mittlerweile hat sich so viel anderer psychosomatischer Müll bei mir angehäuft dass diese Thematik eher hinten ansteht. Vom Gefühl her würde ich aber sagen ich lebe damit. Es gibt Einschränkungen und das muss ich akzeptieren. Therapeutisch ist soweit alles ausgereizt. Besser wird es nicht.

Allen anderen die auf dieses Thema geantwortet haben möchte ich an dieser Stelle ein großes Dankeschön aussprechen. Es ist schön zu wissen, dass wir uns wenigstens gegenseitig Mut zusprechen können. Weitere Erfahrungswerte oder Lösungen sind gerne gewünscht

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Massiver Stuhldrang wenn keine Toilette in der Nähe

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Teil 1:
Aufgrund von persönlichem Leiden möchte ich nun auch kurz schildern wie es für mich war, ist und sein wird. In der Hoffnung, dass irgendjemandem hiermit auch geholfen wird. Ich habe ein zwei Mögichkeiten gefunden einigermaßen bis gut weiterzuleben.

Was habe ich? Das was hier viele auch haben - ohne verfügbare Toilette ist mein Leben stark eingeschränkt. Ich vermeide das Ausgehen, Verreisen und schränke meinen Lebensalltag mehr ein als mir lieb ist.

Vorgeschichte:
Bei mir kam dies vor ca. 15 Jahren im Alter von 14-15 auf, England Reise mit der Schule. In der Gastfamilie englisches Frühstück, dann hat einer meiner Klassenkameraden zu lang auf dem Pott gesessen, sodass ich nicht mehr durfte weil wir schon spät dran waren, als uns unser Gastvater zum Reisebus für den täglichen Ausflug bringen sollte. Ich saß dann in einem 3-türigen Nissan Micra hinten auf der Rückbank (ohne Türen und ohne Fluchtmöglichkeit) eingequetscht zwischen zwei etwas wohlgeformteren Klassenkameraden. Und ich musste auf Klo, dringend, weil ich war ja früh nicht. Schweißausbrüche und aufsteigende Panik wollten sich gegenseitig übertrumpfen. Bis ich irgendwann den Gastvater im Stop-and-Go-Verkehr angeherrscht habe Stop the car, I need to go out! Verloren durch die Londoner Vorstadthölle bin ich geirrt auf der Suche nach einer Möglichkeit, wo ich mich erleichtern konnte. Ende vom Lied: ich habe völlig aufeglöst irgendwo in einem Reihenhausblock geklingelt, eine nette schwarze Frau hat geöffnet nachdem ich ihr erzählt habe, dass ich aus Germany bin auf einem Classtrip und I need to go to your toilet, it´s very dringend (original Wortlaut!). Ich konnte mich dann zum Glück erleichtern und bin dann wieder in die Arme meines Gastvaters gelaufen.
Der Rest des London-Aufenthalts war noch in Ordnung. Die Probleme begannen dann in den kommenden Monaten bis Jahren und reichen teilweise bis heute, 15 Jahre später. Und das, obwohl mir nicht einmal ein Missgeschick passiert ist. Trotzdessen, massives Unwohlsein, Panik, Ängste vor Unternehmungen.

Um das Ausmaß meiner persönlichen Einschränkungen noch einmal darzulegen:
- Zuhause, Besuch und Bad/Klo besetzt - Panik und Stuhldrang!
- Zu Gast irgendwo und Bad/Klo besetzt - Panik und Stuhldrang!
- Einkaufen, Betreten des Ladens, wissen, dass man hier nicht so schnell wieder rauskommt mit den ganzen Waren - Panik und Stuhldrang!
- Öffentlichkeit, Plätze, Lange Schlangen, Staus, Verkehr allgemein (außer Motorrad, da Fluchtmöglichkeit gegeben (kein Kontrollverlust)), Bahn, Bus, Flugzeuge. Einkaufszentren/Ausstellungen, etc.
- Keine Urlaube/Reisen.
- keine einfachen Spaziergänge (auch nicht in Wäldern) - ich kann/will mir die Blöße vor meinen Gefährten nicht geben.
- Angst vor Scham und Peinlichkeiten. Vor dem Chef und Kollegen, den Freunden und Fremden.

ABER:
Man muss sich bewusst machen: Es findet alles nur in meinem (und vielleicht auch nur in DEINEM) Kopf statt. Dort sitzt die Angst und dort muss man sie auch angehen. Ja, andere haben auch körperliche Ursachen. Diese möchte ich hier außer Acht lassen. Ich möchte meine Erfahrungen schildern die rein aus psychischer Belastung hervorgehen. Und man kann diese angehen!

Für extrem wichtig halte ich schonmal KOMMUNIKATION!
Ich habe meine liebe Frau sehr zeitnah, als wir uns vor 12 Jahren kennenlernten, darüber informiert, dass mir viele Sachen Unbehagen bereiten. Seitdem ist sie meine Stütze. Leider zum Leidwesen vieler Entbehrungen (Urlaube, Ausgehen,...). Ein Grund warum ich vor ca. einem Jahr angfangen habe nicht nur für mich eine Veränderung herbeizuführen sondern auch für sie, weil sie es verdient. So ein Faktor kann das Durchhaltevermögen steigern, wenn es nicht nur einem selbst mehr bringt sondern man so mehr für andere bringen/schaffen kann.

Teil 2:
Vor einem Jahr habe ich mich für eine Psychotherapie entschieden und glücklicherweise sehr schnell einen Therapeuten gefunden mit dem ich gut auskomme. Die Krankenkasse zahlt zum Glück alles, aber ich habe entschieden, dass wenn es nicht so kommen würde, ich diese Kosten gern selbst trage, eine Veränderung muss einfach her.

Informiert habe ich meine nähere Verwandschaft und enge Freunde über meine Lage und alle haben großes Verständnis geäußert und begrüßt, dass ich mich dessen nun annehme. Dies lindert auch den Druck für einen selbst, weil man so nun das Verständnis der Leute hat und sie einem nicht übel nehmen, dass man evtl. gerade nicht in großer Gesprächslaune ist, wenn man gerade dabei ist sich zu konzentrieren, dass kein Unglück geschieht.

In der Psychotherapie: Grob bis Fein alles abgeklopft, Familie, Kindheit, Elternsituation, Job, Pläne für die Zukunft, Ehe, Stress allgemein, Krankheiten. Falls ihr euch scheut vor einer Psychotherapie: ist alles harmlos, man redet und lacht auch ab und mal gut, je nachdem weswegen man da ist. Häufig geht es um aktuelles, wie man die Zeit seit der letzten Sitzung verbracht hat, analysiert das, baut darauf auf. Hin und wieder kommen Hinweise und neue Bewältigungswege ins Spiel. Irgendwann gibts bei mir auch noch Hypnose, darauf bin ich erstmal gespannt.

Nun zu den Möglichkeiten, die dem einen oder anderen Linderung verschaffen können:

1. Ernährung. Sicher wichtig, aber massiv komplex. Ich habe angefangen mich nicht mehr zu überfressen. Richtig Kauen ist sowieso gut. Kein scharfes Essen kann ich bestätigen - scharf ist der Teufel. Als ergänzende Nahrung habe ich vor der abendlichen Mahlzeit Flohsamen probiert. Die will ich nicht im Essen haben also kippe ich so ca. einen Esslöffel in ein Glas, fülle etwas Wasser ein und trinke die Pampe. Dann mit mehr Wasser nachspülen, das Zeug quillt schlussendich auf und vergrößert dass Stuhlvolumen, soll somit mehr zur Wurstbildung beitragen. Somit ist die Konsistenz schonmal besser und mir hilft das bisschen schon etwas. Hafer wurde mir auch empfohlen, hab ich noch nicht probiert.

2. Entspannung: In der Therapie wurde als erstes die progressive Muskelentspannung (als Alternative zum autogenen Training, welches bei vielen nicht gut funktioniert) genannt. Frau Almut Lippert hat hierüber ein Buch geschrieben Immer schön locker bleiben - Effektiv entspannen mit der Jacobson-Methode. Hier wird erklärt wie man über kontrollierte An- und Entspannung einzelner Körperbereiche in eine tiefere Entspannung fallen kann. Mit etwas Übung soll es dann schon genügen (laut Aussage meines Therapeuten) dass das bloße Anspannen der Faust dem Körper das Signal vermittelt: gut, jetzt geht ja die Entspannung wieder los - ich muss mich also garnicht verrückt machen. An diesem Punkt bin ich leider noch nicht. Anbei gibt es eine CD mit einer Audio-Anleitung zum Mitmachen - ist ganz nett. Dies sollte man einmal am Tag machen, Dauer ca. 20-25 min. Diese Zeit sollte man sich nehmen! Je öfter der Zustand der Entspannung trainiert wird desto besser sind wir auch in der Lage, dies in unentspannten Situationen zu erreichen. Es erfordert Übung und Zeit, die man wie immer nicht hat, aber Leute, durchhalten ist die Devise. Man wird belohnt mit Lebensqualität, dafür lohnt sich der Aufwand.

Teil 3:
3. Ablenkung: Vor der Therapie habe ich bereits eine Möglichkeit gehabt, wenn ich in einer unangenehmen Situation war, mir damit zu helfen: die Atmung. Diese hat mir schon mehrfach den Ar. gerettet - im wahrsten Sinne. Und zwar kann ich die aufkommende Panik in den Griff kriegen wenn ich weiß, ich habe kein Klo, ich kann nirgendwo hin und ich bin gleich richtig gef., wenn ich hier (aus dieser Situation) nicht schnellstmöglich rauskomme. Zum Beispiel in der Bahn. Es empfiehlt sich eine sitzende Haltung, leicht nach vorn gebeugt, die Ellbogen/Unterarme auf Oberschenkeln wie bei einem Kutscher. Augen schließen.
Einmal tief und ruhig in den Bauch einatmen, befreiend ausatmen. Wieder tief einatmen und ab hier die Luft anhalten und in Gedanken langsamer als im Sekundentakt von 1 bis 10 zählen. Dazu nicke ich ganz leicht, unmerklich für andere, quasi jede vorgestellte Ziffer mit dem Kopf ab. Wichtig ist, auch wenn man gerade am liebsten nur wegrennen möchte, RUHE bewahren, den Atem weiterhin anhalten, auch wenn es schwerfällt weil man den Sauerstoff braucht, weiter konzentrieren auf die Zahlen. Dann am Ende der Zehn kann man super befriedigend ausatmen, gern auch gepresst (je nach Umfeld). Dann wieder tief einatmen und von vorn. Dieses Ausarmen fühlt sich an als würde man den Stress bewusst hinausblasen. Nicht umsonst macht man mit Schwangeren Atemübungen und Vorbereitungskurse. Es hilft. Ich hatte Situation wo ich vor Unruhe und Panik beinahe explodiert wäre, jedoch hatte ich die Oberhand behalten und konnte mich zur Ruhe zwingen, nach zwei mal der Zehnerfolge bin ich wieder als wäre nichts geschehen durch den Laden gewandert.

Die Panik findet im Kopf statt. Es gibt keine reale Gefahr, man steht sich nur selbst im Weg. Dies gilt es zu erkennen und zu überwinden. Und mit etwas Übung kann dies jeder schaffen. Atmen kann jeder - nur das man hier seinen Fokus auf eine sehr kontrollierte Atmung legt. Geht auch im Stehen und sogar laufen, sogar während des Autofahrens (wobei man es hier vermeiden sollte sich zu sehr abzulenken).

4. Körperwahrnehmung:
Bei meiner aufsteigenden Panik muss ich mir immer die Frage stellen: muss ich wirklich (auf Klo)? - ich war doch gerade erst. Durch den Stress werden Blase und Darm angeregt, daher kann es sein, dass etwas da ist, was raus will. Aber: das Fassungsvermögen von Darm und Blase ist größer als das, was da im Moment rauswill (wenn man vorher schonmal auf Klo war). Ich sage mir: das halte ich aus. Ich war gerade, so dringend ist es nicht. Es ist quasi Selbstberuhigung. Was uns auch schon zu Punkt 5 bringt:

5. Beruhigung durch Talking Down:
Auch aus der Therapie: bewusstes, inneres zu sich selbst sprechen, beruhigen. Wiederholung der Worte:
Ich kann das!
Ich bin stark!
Ich halte das aus!
Ich bin sicher!
Ich habe die Kontrolle!
Mein Körper gehorcht mir!
Mein Herz schlägt immer ruhiger!
Allein das denken dieser Wortreihen bewirkt einen positiven Effekt und sorgt für Beruhigung. Auch dies hat mich schon mehrfach wieder auf den Boden der Tatsachen geholt (im positiven Sinn). Vermeiden muss man Negierungen, das Wort nicht, keine, ... oder negativ besetzte Wörer wie z.B. in: ich habe KEINE Angst! - keine wird hier sofort wieder negativ gewertet und das Wort Angst ist ja gerade das, woran wir gerade nicht denken wollen. Also immer alles positiv halten. Probiert es aus, es ist garnicht so einfach aber dennoch zielführend.

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Ich hatte durch meine ungesunde Toilettennutzung (mehrfach gehen, kräftig drücken, sodass auch das letzte rauskommt) schon mehrfach mit Hämorrhoiden zu kämpfen (blutiger Stuhl, Nässen, Jucken). Alles sehr unschön. Mehrere Proktologenbesuch zur Folge. Daher Tipp, auch wenns schwer fällt. Wenn es nicht rauswill und man es sich leisten kann nicht mehr drücken. Falsche Ernährung und dadurch mehr Drücken fördert Hämorrhoiden ungemein. Dies ist auch wieder eine krasse Lebenseinschränkung. Sport treiben! Aber auch vor einem Proktologenbesuch sollte man sich nicht scheuen, wenn man diese Sorgen hat. Es ist nur ein Frauenarztstuhl und ein Arzt der einem mit Finger und kleinen Apparturen den Hintern abtastet. Etwas unangenehm aber die Linderung der Probleme ist es allemal wert. Denkt dran: das sind Ärzte, die haben schon Schlimmeres gesehen und sehen sowas täglich. Ich habe diesbezüglich meine Scham verloren und kann damit offen umgehen (aber gern geh auch ich nicht hin - nur wenn es wieder an der Zeit sein sollte, werde ich es nicht aufschieben).

Teil 4:
Ich bin nun auf dem Weg in ein besseres Leben und sehe daher die Notwendigkeit meine Erfahrungen mit anderen Leidenden zu teilen. Profitiert von den Erlebnissen Anderer und lernt euer Leben selbstbestimmt zu leben. Jeder hat das verdient. Führt euch immer vor Augen, dass auch ihr das könnt und dass ihr dies mit etwas Mut und Übung auch schafft. Niemand ist schwach weil er Hilfe annimmt. Das hier ist das echte Leben mit echten Problemen, die nicht verschwinden wenn man sie aufschiebt oder ignoriert. Nehmt euer Leben wieder in die Hand und ebnet mit kleinen Schritten den Weg in eine bessere, lebenswertere Zukunft. Und das nicht nur für euch, sondern auch für eure Lieben.

Wenn ihr Fragen habt schreibt in das Forum oder eine PN zu mir. Ich hoffe, dass dies wenigstens einem zu einem besseren Leben verhilft. Ich hätte diese Hilfe gern früher gehabt, daher biete ich sie hier nun an.

Bleibt tapfer!
mist

Super! Vielen Dank für die ausführliche Auflistung der guten Tipps. Genauso habe ich es in Therapien gelernt. 1 Punkt kam noch hinzu: Aushalten! Nur bedingt. Mein Problem war, dass ich zu lange aushielt bis es dann eben zu spät war. Schmerzen kamen zb. Aus Scham bin ich nicht auf Toi gegangen bzw sinnlos diversen anderen Gründen. Die Kontrolle darüber zu erlangen ist verdammt wichtig. Sprich: Ich MUSS gar nix aushalten! Wenn ich muss, muss ich und das ist völlig ok so. Jeder muss früher oder später. Das ist normal (natürlich ohne Übertreibungen).
Es gibt für alles Lösungen und Wege, Mittel und Hilfsmittel, die ich gern auch benutzen/anwenden darf! Das ist super wichtig...




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