Hallo Cloudsinthesky,
ich kann, ähnlich wie @Krieger, meine Erfahrungen als Komplextraumatisierte mit Dir teilen.
Zunächst einmal tut es mir sehr leid, dass Du eine so schlimme Erfahrung machen musstest!
Und ich möchte Dir Mut machen: Auch, wenn es schlimm war, was Dir passiert ist (es ist mir ganz wichtig, das zu betonen, damit Du mich gleich nicht vielleicht missverstehst), hast Du als monotraumatisierter Patient (trotz aller Retraumatisierungen) sehr gute Aussichten darauf, gute Heilungserfolge zu erzielen.
Das liegt so ein bisschen am Wesen der spezifischen Traumatherapieformen: Je gezielter man ein bestimmtes Ereignis ins Visier nehmen kann, umso besser kann man es behandeln, auch wenn es sehr schlimm war.
Und ja, es ist imho total normal, dass es während der Therapie erstmal schlimmer wird, bevor es besser wird. Völlig normal. Ich kenne das von so gut wie allen Mitpatienten und von mir selber auch, gerade im letzten Klinikaufenthalt hatte ich eine so schwere Exposition-Phase, das es mich fast vollständig zerlegt hat, aber auch das wurde wieder besser mit der Zeit. Nicht gut, aber besser.
(Nur ganz allgemein: Ich gehöre zu den Leuten, die mehrere Gutachter als zu krank, nicht heilbar, zu schwer geschädigt eingestuft haben, bei mir ist eine Heilung in dem Sinne ausgeschlossen, aber trotzdem kann sich mein Leidensdruck und meine symptomatische Last bessern, dafür kämpfe ich. Ich bin seit über 10 Jahren in Therapie, ambulant und auch immer wieder über mehrere Monate vollstationär, und gerade habe ich wieder in einem Bericht lesen müssen, dass mein Weg immer noch sehr, sehr lang sein wird).
Vielleicht ist es also gerade die zeitliche Dimension, die ich etwas in Perspektive rücken wollen würde: Es dauert viel Zeit. Die Prozesse, die das Gehirn bei der Traumaverarbeitung (sei es mono oder komplex) durchlaufen muss, lassen sich nicht beschleunigen.
Und ich weiß sehr gut, wie sehr einem der Zeitdruck zu schaffen macht, der durch die Stundenbegrenzung da ist, aber davon muss man sich frei machen, auch wenn es schwer fällt. Man kann diese Prozesse nicht beschleunigen.
Gerade zu Beginn der Traumatherapie ist man ja oftmals emotional sehr an seinen Therapeuten gebunden, aber man muss sich mit dem Gedanken anfreunden, dass man den ganzen Weg vielleicht nicht mit diesem einen Therapeuten wird gehen können, wenn man die Stunden nicht aus eigener Tasche zahlen kann. Denn leider ist halt irgendwann Ende mit der Kostenübernahme. Aber: Das heißt noch lange nicht, dass es das Ende des therapeutischen Weges sein muss. Aber als Hoffnungsschimmer: Gerade die speziellen Tarumaverfahren wie EMDR sind oftmals erstaunlich effektiv, gerade bei Monotraumata (bei Komplextraumata funktionieren diese Verfahren ja leider deutlich weniger gut), das ist echt faszinierend manchmal.
Du wirst aus dem Strudel herausfinden, bestimmt!
Es wird vielleicht nur länger dauern als Du dachtest. Arbeite ohne Druck in Deiner Therapie weiter. Am Ende der 100 oder 120 Stunden kann dann überlegt werden, wie es weitergeht. Für die meisten Patienten, die dann noch nicht fertig sind, bedeutet das einen Wechsel der Therapieform (in Deinem Fall also auf Verhaltenstherapie (oder Analyse, aber das machen nicht viele)) und des Therapeuten. Das ist oftmals hart, aber unumgänglich und bietet auch neue Impulse. Du kannst Dir auch überlegen, härtere Expositionen in einer Klinik zu machen, diese Stunden gehen nicht von Deinem Kontingent ab, also während der Therapie eine Traumatherapie in einer Klinik machen und dann die Aufarbeitung des Aufenthalts in Deiner ambulanten Therapie fortsetzen. Oder Du gehst am Ende der ambulanten Therapie intervallweise in eine Klinik. Klassischerweise wechseln aber viele Patienten erstmal nur die Therapieform, wenn sie grundsätzlich so stabil sind, dass ambulante Therapie ausreicht.
Was auch eine Möglichkeit ist: Du kannst Dir zusätzlich zur ambulanten Therapie eine ambulante psychiatrische Pflege verschreiben lassen, dann bekommst Du einen Pfleger, der zu Dir nach Hause kommt und nach Dir schaut, die haben auch eine 24h-Notrufnummer. Damit wäre es vielleicht möglich, intensiver in die ambulante Trauma-Therapie einzusteigen, weil Du dann flankierende Hilfe und Unterstützung hättest.
Ich möchte Dir wirklich Mut machen: Der Weg ist hart und lang, aber es lohnt ich, ihn zu gehen. Man merkt irgendwann die entlastende Wirkung der Traumatherapie, auch wenn es erstmal schlimmer wird, es dauert nur seine Zeit. Bei mir sind es jetzt über 10 Jahre, und auch, wenn die Gutachter das anders sehen: ich habe sehr wohl Fortschritte gemacht, meine Behandler bestätigen mir das immer wieder und ich selber merke es auch.
Es ist hart und tut richtig weh, immer tiefer in die tiefsten Tiefen des Kaninchenbaus vorzudringen (wenn Du verstehst, was ich meine), aber die symptomatische Entlastung ist aller Mühen wert. Die Alternative wäre, ein Leben lang in seinen Symptomen gefangen zu sein, und das ist, finde ich zumindest, keine schöne Alternative.
Ich wünsche Dir ganz viel Kraft!
LG Silver
19.03.2022 03:06 •
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