Zitat von Saha: Ich brauche schon 2 bis 3 Tuben Antihistaminsalbe pro Woche.
Wie sieht es denn bzgl. Histamin mit Deiner Ernährung aus? Könnten da mit den Juckanfällen Zusammenhänge bestehen? Bestehen Nahrungsmittelunverträglichkeiten, Allergien?
Zitat von Saha: Ich frag mich dann fast jede Nacht ob die Täter auch Schlaftabletten brauchen oder nur ihre Opfer.
Diese Frage ist nachvollziehbar. Aber sie fördert die Beibehaltung des Fokus auf Täter und Opfer. Einerseits kann die bewusste Trennung von Täter und Opfer in
zwei unabhängige Entitäten therapeutisch eine Weile lang hilfreich sein. Andererseits kann es im Laufe der Zeit zu einer
Fixierung dieser Teilung kommen.
Dabei sollte man bedenken, dass Ängste stets eines
Subjekts und eines
Objekts bedürfen. Und je dominanter eine Grenze zwischen diesen beiden Polen etabliert wird, umso stabiler ermöglicht diese die Angstspirale (Angststörung).
Das bedeutet nun nicht, dass das Opfer mit dem Täter gut Freund werden muss. Aber das Wissen über die mitunter gefährliche Ambivalenz von Abgrenzung sollte man sich regelmäßig vergegenwärtigen.
Die strikte Unterscheidung in Opfer (Subjekt) und Täter (Objekt) kann überdies dazu führen, dass sich die Definition von Täter insofern
ausweitet, dass sie Menschen und generell
Bereiche umfasst, die eigentlich gar nichts im Sinne von Täterschaft darstellen. Man neigt dann u. U. irgendwann dazu, nahe alles z. B. Menschliche negativ bzw. bedrohlich wahrzunehmen.
Auch die kategorie-interne Definition von Täter bedarf m. E. einer näheren regelmäßigen Prüfung: Was zeichnet Täterschaft
aus meiner Sicht aus? Worauf beruht
meine Definition? usw.
Dasselbe gilt für das Opfer. Wenn man nicht aufpasst, neigt man dazu,
sich vollumfänglich
als Opfer zu begreifen. Man etabliert eine Opfer-Sicht auf die Welt. In Wahrheit war man ja kein
vollumfängliches Opfer, sondern
nur dieser konkrete - ggfs. äußerst scheußliche - Vorgang hatte sowohl einen Täter als auch ein Opfer. Weder machte dieser Vorgang den Täter zum vollumfänglichen Täter Sinn noch Dich zum vollumfänglichen Opfer -
im existenziellen Sinn.
Wenn ich versuche, den letzten Absatz mit Deinen Augen zu lesen, könnte ich mir vorstellen, dass mir das bauchmäßig zuwider ist. Denn es könnte bedeuten, dass die
Schuldfrage bzgl. des Täters und die
Berechtigung der Opferhaltung infrage gestellt wird. Das ist jedoch nicht der Fall. Es geht hier lediglich um die möglichen Folgen einer unverhältnismäßigen Täter-Opfer-(Welt-)Sicht.
Ich bin der Meinung dass es - insbesondere nach längerer therapeutischer Arbeit - einer Rekapitulation dieser Wahrnehmung bedarf. Das erfordert Mut und Ergebnisoffenheit, denn ein wesentlicher Schritt in diesem Prozess ist jener, der das (vermeintlich) sichere Terrain der etablierten dualen Sicht erst mal
verlässt.
Zitat von Saha: Das Schamgefühl wird nur kleiner, wenn die Verzweiflung so groß wird, dass sie alles andere in den Hintergrund drängt.
Lies mal diesen Satz testhalber vor dem Hintergrund des eben Gesagten. Ich denke, es wird erkennbar, dass das Schamgefühl (Opfer) einen
Nutzen liefert: es mindert die Verzweiflung insofern, als es überwältigend wirkt. Dieser Benefit-Effekt ist auch bei Zwangsstörungen und Süchten offensichtlich und v. a. systemerhaltend. Auch in der Angststörung wird er oft, nach längerer Beschäftigung mit dem Kreislauf, ersichtlich.
Aus meiner Sicht wählst Du gerade einen sehr notwendigen Schritt, indem Du
Dich - zumindest hier -
öffnest! Das öffnet auch ein Stück weit
Deine Begrenzung. Nutze die Anonymität des Forums für diesen - ersten - Schritt. Lerne,
auszuhalten, dass Andere u. U. unerfreut darauf reagieren. Aber: lerne auch,
anzunehmen dass Andere sehr ähnliches erlebt haben und Du a) nicht allein damit bist, und aber auch b) kein Sonderfall (Einzigartigkeit). Und - nicht zuletzt, dass viele Menschen
es gut mit Dir meinen und das auch ganz offen zum Ausdruck bringen! Jedes Wesen ist liebens-wert und genug wert, sich und die Welt zu lieben.
Das
Feedback ist generell für Menschen, die - wie Du es ausdrückst - bisher vorwiegend alles allein mit sich ausgemacht haben, enorm hilfreich. Zieh Dich bitte nicht zurück, wenn es unangenehm wird. Geh auch nicht unbedingt in Verteidigung oder gar Gegenangriff über, sondern
lerne, Ansichten Anderer nicht Deinen Meinungen über die Anderen zu vermischen.
Wir Menschen berühren uns im Laufe eines Lebens
ständig - direkt, indirekt, gesellschaftlich, kulturell, politisch und sogar klimatisch, wenn man so will. Aus dieser Symphonie von Kontakten
einen einzigen als Blaupause unseres Erlebens herauszustellen ist nicht angemessen. Und die Angemessenheit wieder herzustellen (vielleicht sogar erstmalig!?) ist letztlich der Sinn unserer Therapie. Das gilt übrigens auch für (noch) gesunde Menschen...