Also, ich sehe die Sache folgendermaßen: Die aktuelle Lage ist tatsächlich eine Schande, da hat Rainer absolut recht. Fakt ist, dass in zu vielen Fällen weder die Therapieansätze, noch die medikamentösen Ansätze, noch sonstige gesellschaftliche Maßnahmen eine effiziente Hilfe für Menschen mit psychischen Problemen darstellen.
Nichtsdestotrotz ist es so, dass bzgl. der vorhandenen Maßnahmen Psychopharmaka oftmals noch die beste Option sind, was aber in erster Linie nicht für die Medikamente, sondern eher gegen einen optimalen Umgang mit psychischen Problemen spricht. Ich selber bin ebenfalls mit etlichen Therapieformen und Medikamenten konfrontiert worden und mitunter führten einige Medikamente tatsächlich zeitweise zu substanziellen Besserungen, wobei dann auch wieder Nebenwirkungen und Langzeitprobleme auftraten.
Fakt ist jedenfalls, dass Diagnosen meistens im Grunde rein deskriptiv sind (siehe ICD bzw. DSM) und dass dann durch eine grobe Kategorisierung (Depression) eine ungefähre Schätzung darüber erfolgt, welche Therapie und welches Medikament dabei helfen könnte. Dabei liegen unter anderem zwei substanzielle Probleme vor: Erstens kann nicht gesagt werden, welche spezielle Neurotransmitter-Anomalie vorliegt, wenn eine Diagnose gestellt wird. Depressionen sind bspw. in der Regel mit einem Serotonin-und Katecholamin-Mangel verknüpft, es kann jedoch auch sein, dass Katecholamine in erhöhter Konzentration vorliegen. Ähnliche Ergebnisse lassen sich zu den körperlichen Auswirkungen von chronischem Stress finden etc. etc.. Darüber hinaus ist die spezifische Wirkung der Substanz auf den individuellen Patienten nicht bekannt und repräsentative Studien über Folgen einer Langzeiteinnahme, über Toleranzentwicklungen und über Absetzproblematiken existieren in der Regel nicht. Es wird also in der Tat ein Versuch gestartet. Durch diese Versuche können oftmals gewisse Verbesserungen erzielt werden, aber es treten auch häufig früher oder später Neben-und Folgewirkungen auf, die oftmals negativ, wenn nicht sogar vereinzelt fatal ausfallen.
Allerdings ist die moderne Psychologie im allgemeinen nicht in der Lage, Patienten, die wirklich intensive Probleme haben, ohne Medikamente effektiv zu helfen. Die kognitive Verhaltenstherapie gilt im allgemeinen als erfolgreichste Variante, aber es ist ein Fakt, dass hierdurch nur Veränderungen erzielt werden können, die der Patient durch sein eigenes Verhalten hervorrufen kann (überdies stehen oft nur 30 Therapiestunden zur Verfügung). Dies hilft zwar in weniger schweren Fällen (oftmals alleine durch die bloße Tatsache, dass überhaupt eine Intervention stattfindet), ist aber bei komplexeren Problemen häufig nur marginal hilfreich. Medikamente sind dann freilich oftmals gut geeignet, um kurzfristig Ergebnisse zu erzielen und die Therapieerfolgs-Statistiken zu beschönigen, während die langfristige Gesundheit des Patienten weiterhin fraglich bleibt.
Ich persönlich habe über mehrere Jahre Paroxetin und Trazodon genommen und mit beiden Medikamenten am Anfang beachtliche Verbesserungen meiner Situation erlebt. Im Laufe der Zeit manifestierten sich jedoch de facto immer problematischere Nebenwirkungen, während die Wirkungen abnahmen. Man muss letztlich einfach der Tatsache ins Auge sehen, dass in allzu vielen Fällen weder durch Therapien noch durch Medikamente langfristig Erfolge erzielt werden können, dass Medikamente jedoch in vielen Fällen eine fragwürdige Brücke darstellen können, die über einen gewissen Zeitraum vor einem kompletten Absturz schützt.
08.11.2011 00:36 •
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