Hallo ich selbst und liebe Mitleser,
wow, schon wieder fast 10 Monate vergangen seit meinem letzten Beitrag. Wie schön es für mich ist, ihn jetzt zu lesen und wieder zu spüren, wie stolz ich nach der Prüfung war.
Ich bin nach den 2 Monaten an der anderen Schule wieder an meiner Ausbildungsschule gelandet. Ich habe unsere (manchmal etwas schwierigen, aber extrem selbstbewussten und witzigen) Schüler vermisst und erkannt, dass das Schulleben auf dem Land doch nicht ganz das Richtige für mich ist. Außerdem haben mir meine Kollegen gefehlt und tatsächlich auch meine Schulleiter.
Seit Anfang Mai habe ich eine feste Stelle und Mitte Mai stand mein Amtsarzttermin an. Ich muss zugeben, dass mir davor nochmal so richtig das Herz in die Hose gerutscht ist. Überflüssigerweise, da ich tatsächlich verbeamtet wurde. Und das, obwohl ich meine Krankenvorgeschichte offengelegt habe und auch meine Medikation angegeben habe. Mit dem Gutachten meines (jetzt seit einem Jahr ehemaligen) Therapeuten hat der Amtsarzt anerkannt, dass ich mir in einer schweren Phase Hilfe gesucht habe, sie angenommen habe und die Therapie erfolgreich abgeschlossen habe. Und dass ich dank dieser Hilfe nicht mehr krankheitsbedingt ausgefallen bin.
Und jetzt bin ich angekommen. Ganz realisiert habe ich es irgendwie noch nicht. Dieses Ziel war für mich so lange so utopisch... aber jetzt bin ich verbeamtet und habe eigene Referendare, die ich bei ihrer Ausbildung unterstützen kann. Und selbstverständlich versuche ich, ihnen ihre Ängste zu nehmen und so wenig Druck wie möglich auszuüben und ein offenes Ohr zu haben.
Es ist toll! Ich bin nach wie vor jeden Tag glücklich darüber, dass ich diesen Job machen darf. Klar, wenn es gerade wieder extrem stressig ist, ich viel korrigieren muss und sich nachmittags noch eine Arbeitsgruppe an einen Haufen Konferenzen anschließt, relativiert sich die Euphorie etwas - aber dankbar bin ich selbst dann noch.
Die Jugendlichen geben mir soviel Kraft und Power. Wenn ich morgens noch denke, dass ich mich nicht gut fühle und keine 2 Stunden durchhalten werde, stehe ich nach einer Unterrichtsstunde schon wieder lachend im Klassenraum und habe vergessen, dass ich nicht der härteste Mensch der Welt bin. Sie lenken mich einfach so phantastisch von mir selbst ab. Ich glaube nicht, dass ein anderer Beruf das auf diese Art schaffen würde.
Das, was ich in den letzten Jahren gelernt habe, kann ich jetzt an einzelne Schülern weitergeben. Sie ziehen mich immer wieder ins Vertrauen und gerade Schüler mit Angststörungen oder Depressionen scheine ich magisch anzuziehen - obwohl sie natürlich nichts von meiner Vergangenheit wissen. Aber sie merken offensichtlich, dass ich sensibel für Veränderungen in diese Richtung bin. Und dass ich ihnen zuhöre und ihre Sorgen ernst nehme. Ich begegne ihnen wann immer es geht mit Zuspruch und versuche, ihnen nicht noch mehr Druck zu machen. Ich erkläre ihnen auch, dass unglaublich viele Menschen an solchen Problemen leiden, leider aber nur wenige offen darüber sprechen und dass es ein großer Schritt ist, dass sie sich Hilfe suchen und bereit sind, sich zu öffnen. Ich versuche, sie darin zu bestärken und in vielen Fällen trauen sie sich nach so einem Gespräch auch den nächsten Schritt zur Beratungslehrerin und in eine Therapie zu.
Das macht mich unheimlich glücklich.
Nach den Sommerferien werde ich zum ersten Mal Klassenlehrerin und dann beginne ich auch schon mit der ersten langen Fortbildung im Bereich konfrontative Pädagogik. Von Kollegen weiß ich, dass man während dieser Fortbildung oft an seine eigenen Belastungsgrenzen geführt wird - und gerade deshalb freue ich mich darauf.
Das Sertralin setze ich gerade ab. Beziehungsweise - ich habe es gerade abgesetzt. So ganz durch ist der Absatzprozess aber noch nicht. Ich habe eine Woche von 50 auf ca. 37mg reduziert, danach habe ich etwa 3 Wochen lang 25mg genommen. Als ich mich wieder so entspannt wie vorher gefühlt habe, ging ich für 14 Tage auf ca. 12mg runter und nun bin ich seit 4 Tagen clean.
Wie nach jedem bisherigen Reduktionsschritt fühle ich mich körperlich nicht optimal. Mir ist etwas schummrig im Kopf und wenn ich ihn schnell drehe, wird mir kurz schwindlig. Und ich kann unheimlich schlecht schlafen. Obwohl ich wirklich k.o. bin, schlafe ich abends erst nach ewigem Herumwälzen ein und bin innerlich total unruhig und angespannt. Etwas flau im Magen ist mir auch, aber das ist nach den 4 Tagen schon wieder so gut wie weg.
ABER: Seelisch geht es mir gut. Ich habe wieder Gefühle! Natürlich hatte ich die auch in den 2 Jahren mit dem Medikament, aber in der letzten Zeit merke ich schon, dass sie sehr abgeschwächt waren. Ich muss schneller weinen und empfinde in schönen Situationen größeres Glück. Das ist echt verrückt. Ich spüre richtig, wie ich jetzt wieder lernen muss, mit diesen ganzen Gefühlen umzugehen. Aber ich genieße es.
Ich bin sehr gespannt, was ich in meinem nächsten Beitrag schreiben werde. Das Absetzen ist jetzt echt der Endgegner. Und 3 von 4 Schritten habe ich schon hinter mir. Den letzten werde ich jetzt auch noch packen.
Liebe Grüße an alle, die noch mit sich kämpfen oder bereits wissen, wovon ich schreibe. Ich wünsche euch von Herzen ganz viel Kraft und dass ihr bald nicht mehr soviel über euch selbst nachdenkt. Das ist und bleibt einfach das Verheerendste an dieser Erkrankung!
KeWa
10.07.2017 22:17 •
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