vor 1 Tag
Roswitha Müller-Schenkenbrink, M.A. Chefredakteurin von Psychologie aktuell
Von Psychologie aktuell Autorin Judith Nixon.
Das Aufjaulen in den psychotherapeutischen Fachverbänden hallt noch über das Land. Denn Forschungsberichte haben ein desaströses Bild hinsichtlich der Wirksamkeit von Psychotherapie bei Depression ergeben.
Über jeden Verdacht erhabene niederländische Forscher der Universitäten Vanderbilt, Amsterdam und Groningen haben dafür gesorgt, das eine Erkenntnis nun offiziell ist, die jeder ehrliche Therapeut ohnehin schon aus der Praxis kannte: Psychotherapie wirkt zwar, aber keineswegs so zuverlässig und tiefgreifend wie bisher angenommen.
Diese Erkenntnisse beschreiben die Forscher in der Zeitschrift Plos One.
Dasselbe Drama wie bei den Antidepressiva?
Vor einer Weile erregte eine Studie Aufsehen, welche die Wirksamkeit einiger Antidepressiva in Zweifel zog. Die Industrie hatte damals einfach nur jene Studien eingereicht, bei denen die Medikamente gut wegkamen - die anderen wanderten in den Müll.
Dieses Grundproblem zeigt sich jetzt also auch bei der Psychotherapie. Die Wirksamkeit wurde nach oben verschätzt, weil klinische Studien über die Behandlungen von Depression mit positiven Ergebnissen eher publiziert werden als Studien mit negativen Resultaten. So entsteht ein gewolltes Bild und kein reales.
Es sei wie wenn man beim Münzenwerfen nur diejenigen behält, welche die gewünschte Seite zeigen, meint Studienautor Steven Hollon.
Ist das noch Wissenschaft oder eher Murks?
Das niederländische Wissenschaftsteam durchforstete akribisch alle vom renommierten National Institutes of Health geförderten klinischen Studien. In diesen ging es um die Effekte von psychotherapeutischen Depressionsbehandlungen von 1972 bis 2008.
Dabei fanden sie heraus, dass ein gutes Viertel dieser Studien ihre Versuchsergebnisse (Daten) nicht herausgerückt hatten.
Eigentlich ziemlich erschreckend!
So wurden die Forscher zu Detektiven und besorgten sich die unveröffentlichten Daten und forderten die Resultate aller Studien an. Die unveröffentlichten Datensätze zeigten, dass Psychotherapie zwar wirksam ist, doch ihre Wirksamkeit ist weitaus geringer als vorher zurechtgebogen worden war.
Es liegt wohl eine klassische Publikationsverzerrung vor. Die Gesamtwirkung von Psychotherapie wurde durch die neue - und diesmal ehrliche - Analyse um satte 37% reduziert!
Also doch das gleiche Problem?
Die neue Studie zeigt also, dass Publikationsverzerrungen (Unterschlagen nicht gewünschter Studiendaten) wohl auch in der Psychotherapie auftritt und keineswegs nur ein Problem der Pharmaindustrie ist. Und trotz allem sind sowohl Psychopharmaka und Psychotherapien wirksame Hilfen. Nur eben nicht die Heilmachwunder als die sie sich gerne darstellen.
06.10.2015 09:07 • • 12.11.2015 #1