Zitat von joe899:Ich dachte immer das SSRIs generell antriebssteigernd und aufputschend wirken, also dir erst recht Energie geben, damit dein Körper dann komplett in Stress versetzt wird, ist das nicht so? Wenn aber natürlich die Symptome von den Ängsten kommen, dann macht es schon Sinn von dieser Seite anzusetzen. Aber die Angst, dass es mir davon wieder schlechter geht ist enorm groß.
Du denkst da schon richtig. Antriebssteigernd wirken sie, die Müdigkeit aber, von der tatsächlich sehr viele Menschen berichten, ist dabei als Nebenwirkung zu betrachten. Sie verschwindet in den meisten Fällen irgendwann wieder.
Ich kann mich noch sehr gut erinnern, wie bei der Dosissteigerung von 25mg auf 50 mg eine Unruhe bei mir für die ersten Stunden einsetzte. Beim ersten Mal habe ich den halben Tag Kuchen gebacken und diese Antriebssteigerung positiv genutzt. Aber diese Unruhe nach der Medikamenteneinnahme war nach einigen Tagen deutlich abgeschwächt und irgendwann verschwunden. Ich konnte mich daher gut damit abfinden und hatte verstanden, dass Ablenkung/Aktivität kurz nach Einnahme sehr sinnvoll ist. Zwischendurch kam dann aber immer wieder diese Müdigkeit auf. Die hielt sich deutlich länger.
Zitat von joe899:Ich hatte ein Hormonscreening neulich gemacht und das hat gezeigt, dass mein Körper zu viel Cortisol produziert und meine Nebennieren erschöpft sind.
Jup, das ist eine gängige Erscheinung bei Stresserkrankungen, die die Ärzte auch lange vor einem Rätsel gestellt hatte. Irgendwann wurde dann die These aufgestellt, dass der Körper eigentlich nur logisch handelt. Da das produzierte Cortisol nie dort ankommt wo es ankommen sollte, produzieren die Nebennieren immer mehr, bis sie erschöpft sind. Es gibt natürlich noch andere Gründe fur hohe Cortisolwerte im Blut (zB endokrinologische Tumore). Die sind aber äußerst selten und werden bei abnormen Werten auch gleich in Betracht gezogen.
Zitat von joe899:Das heißt du bist trotz antriebssteigerndes Medikamente letztendlich ruhiger geworden?
Jup. Nach zwei bis drei Wochen besserten sich der Druck auf der Brust und der allseits bekannte Klos im Hals. Irgendwann traten diese Symptome nur noch für wenige Minuten, dann für wenige Sekunden auf, um wieder zu verschwinden. Aktuell habe ich sie gar nicht mehr und bin nun auf 25mg runter. Wir schleichen nach 8 Monaten so langsam aus.
Zitat von joe899:Kann es sein, dass ein anderes SSRI besser wirkt, wie Citalopram damals bei mir?
Das kann ich dir nicht sagen. Bei SSRIs gilt für alle ausprobieren. Generell gilt: bei SSRIs sollte eine Mindesteinanhme von 3-4 Wochen angesetzt werden, um sich ein Bild über die Wirkung machen zu können. Viele brechen ja schon nach wenigen Tagen ab, wobei ich wirklich sagen muss, je mehr man sich im Vorfeld informiert, umso besser ist man auf Nebenwirkungen vorbereitet und kann sich entsprechende Strategien überlegen. Bei aufkommender Unruhe steht die körperliche Aktivität im Vordergrund. SSRIs sind keine Placebos, auch wenn es oft genug hier im Forum noch vermittelt wird. Hirnscans zeigen schon seit langem, dass sie mehrere Stunden nach der Einnahme die Hirnaktivität beeinflussen. Ich kenne auch niemanden, der eine Tablette geschluckt hat und sich danach als geheilt gefühlt hat. Die einen fühlen sich erst mal noch beschissener, die anderen kommen besser mit den Nebenwirkungen klar, haben weiterhin aber die bekannte Angstsymptomatik, die sich erst mit der Zeit verbessert. Dass man SSRIs in ihrer Wirkungsweise nicht komplett versteht, ist eine andere Geschichte. Allerdings verstehe ich nicht, was gewisse Menschen hier erwarten. Die Wissenschaft ist bis heute nicht in der Lage die Funktionsweise des Gehirns bis ins Detail zu entschlüsseln. Wie kann man dann erwarten, dass es genaue Erklärungen für die Wirkungsweise von Substanzen gibt, die Einfluss auf die Hirnfunktion nehmen?
Klar ist, dass man den Stresshormonen wie Cortisol bei Angsterkrankungen und Depressionen heute viel mehr Beachtung schenkt als früher. Die Pille, die dem Gehirn sagt, hör auf den Nebennieren zu sagen, sie sollen weiterhin Cortisol produzieren, die gibt es einfach noch nicht. Das wäre nach aktuellem Forschungsstand noch das sinnvollste Medikament.
Umgekehrt ist übrigens auch anzumerken, dass wenn SSRIs wirken, der Arzt einen über eine Mindesteinnahme nach Besserung der Symptomatik aufklärt. Ich habe hier schon von Leuten gelesen, denen es nach ein paar Monaten wieder so gut ging, dass sie das Medikament wieder eingenständig abgesetzt haben. Am Ende waren sie am Boden zerstört, weil es nach kurzer Zeit genauso schlimm war wie am Anfang. Es gibt Gründe, warum SSRIs mindestens 6-9 Monate nach Besserung der Symptomatik noch eingenommen werden sollten. Auch hier wieder sind es die Veränderungen in der Stress-Hormon-Achse, anders augedrückt - im Nervensystem. Dieses System braucht nun mal seine Zeit, um sich zu erholen. Genauso wie Stresserkrankungen, die nicht einfach so vom Himmel fallen, sondern sich mit der Zeit entwickeln, braucht es für den Besserungsprozess ausreichend Zeit.
Zitat von joe899:Hast du ein paar Quellen zu dem was du geschrieben hast? Danke!
Wenn man sich für Angsterkrankungen und Depressionen interessiert, kann ich einem nur Fachliteraur ans Herz legen. Unter den Stichworten SSRI+HPA-Achse, findest du schon gute Einführungen. Ich selbst habe dieses Buch auf Englisch gewälzt, es gibt aber bestimmt auch deutsche Bücher in der Richtung. Der Autor gehort keiner Lobby an, hat sich aber die Mühe gemacht, Antidepressiva in ihrer einzelnen Funktion aufzuschlüsseln und den dabei neuesten Stand wiederzugeben.
https://www.amazon.de/Medications-Anxie ... op?ie=UTF8Nachdem ich mich in das Thema ausgiebig eingelesen habe, bin ich dann im Vorfeld, noch bevor ich zum Arzt bin, zu dem Entschluss gekommen, es mit Sertralin zu versuchen. Der Ärztin hatte ich nichts gesagt, aber anhand meiner Symptomatik fiel ihre erste Wahl tatsächlich auf ebendies. Wir haben uns damit blind und ohne Absprache verstanden.