Hallo Sarahx,
ich würde einige negative Beispiele nicht repräsentativ für ein ganzes medizinisches Fach halten. Wenn du konkrete Aussagen zu Hypochondrie/Krankheitsangst und der Wirksamkeit von Psychopharmaka lesen möchtest, bietet sich das Hinzuziehen aktueller Fachliteratur zu dem Thema an, statt Meinungen zu konsultieren. Es kann auch sein, dass aufgrund deiner sensiblen Wahrnehmung, bewusst oder unbewusst, ein verlagerter Fokus auf negative Aussagen besteht. Ich habe mir die geringe Mühe gemacht und dir aus einem medizinischen Fachbuch (Stand von 2019) abgekupfert:
Auszug aus dem klinischen Arbeitsbuch Kognitive Verhaltenstherapie bei Hypochondrie von Dr. Gaby Bleichhardt und Prof. Dr. Florian Weck, Kapitel 4: Manualisierte Einzeltherapie, 4.4 Weitere Therapie und Therapieabschluss, 4.4.3 Pharmakotherapie:
Zitation-Anfang
Bisher liegen erst einige wenige Studien vor, die sich mit der Wirkung von Psychopharmaka bei Hypochondrie befassen. Aufgrund der Studien lässt sich leider auch kaum schlussfolgern, welches Medikament das Beste ist, sondern vielmehr, für welches überhaupt Wirksamkeitsnachweise vorliegen. Alle der getesteten Psychopharmaka sind Antidepressiva, und davon am besten untersucht wurden die selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI). Primäres Behandlungsziel aller im Folgenden berichteten Studien war die Reduktion der hypochondrischen Symptomatik.
Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI)
Mehr oder minder kleine Studien wurden bisher für die Wirkstoffe Fluoxetin, Fluvoxamin und Clomipramin publiziert. Eine größere randomisiert-kontrollierte Studie liegt für Paroxetin vor.
Fluoxetin
Für Fluoxetin liegt eine randomisiert- kontrollierte Doppelblind-Studie vor: Fallon et al. (1996) nahmen 25 Patienten in die Studie auf, von denen 5 wegen Erfolgen in einer zweiwöchigen Placebo-Vorphase oder wegen mangelnder Compliance ausgeschlossen werden mussten. Fünf weitere Patienten fielen während der 12-wöchigen Behandlungsphase aus, so dass die folgenden Aussagen nur für die verbleibenden 15 Patienten (60 %) gelten. Am Ende der Behandlung wurden 8 von 10 Patienten (80 %) mit Fluoxetin als deutlich verbessert eingeschätzt, jedoch galt dies auch für 3 von 5 Patienten (60 %) mit Placebo. Bei strengeren Erfolgskriterien verändern sich die Erfolgsraten auf 50 % vs. 16 %. Darüber hinaus berichten eine unkontrollierte Studie mit 10 von 14 Respondern (16 Patienten waren in die Studie aufgenommen worden) (Fallon et al. 1993) sowie zwei Veröffentlichungen über drei Kasuistiken über Erfolge mit Fluoxetin.
Fluvoxamin
Belege für Fluvoxamin finden sich bei Fallon (2001). In diese unkontrollierte Studie wurden 18 Patienten eingeschlossen. Nach der 6-wöchigen Behandlungsphase befanden sich noch 11 Patienten in der Untersuchung, von denen 8 (73 %) als Responder eingeschätzt wurden. Außer dieser Veröffentlichung findet sich eine weitere Kasuistik, in der über den Erfolg mit Fluvoxamin berichtet wird.
Paroxetin
Paroxetin wurde in einer unkontrollierten Studie von Oosterbaan et al. (2001) verwendet. Dieses Medikament erhielten zu Beginn 11 Patienten, und 8 von 9 Patienten, die die Studie beendeten, waren klinisch signifikant verbessert. Fünf Patienten lagen zum Abschluss mit ihren Fragebogenwerten im Bereich der Normalpopulation. In der bisher größten randomisierten kontrollierten Studie zur Wirksamkeit von Psychopharmakotherapie wurden 112 Patienten mit Hypochondrie der Behandlung mit Paroxetin oder kognitiver Verhaltenstherapie oder einer Wartekontrollgruppe zugewiesen (Greeven et al. 2007). Sowohl die kognitive Verhaltenstherapie als auch die Behandlung mit Paroxetin erwiesen sich als effektiv im Vergleich zur Wartezeit. Keine Unterschiede fanden sich allerdings zwischen den beiden aktiven Behandlungsbedingungen. Die beiden Behandlungsformen zeigten sich auch noch nach einem Katamnesezeitraum von 1,5 Jahren effektiv, die überwiegende Mehrzahl der Patienten der Medikamentenbedingung nahm zum Follow-Up- Zeitpunkt noch Antidepressiva ein (Greeven et al. 2009). Für den Erfolg mit Clomipramin finden sich zwei Kasuistiken.
Selektive Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SNRI)
Nefazodon
Eine erste Studie von Kjernisted et al. (2002) testete den Erfolg von Nefazodon. Es beendeten 9 von 11 Patienten die Therapie, und von diesen wurden 5 (56 %) als deutlich verbessert eingeschätzt. Fragebogenwerte für die Gesamtgruppe verändern sich im Verlauf der Behandlung für die Illness Attitude Scale signifikant, für den Whiteley-Index tendenziell.
Trizyklische Antidepressiva
Imipramin
In einer Studie mit Imipramin (Wesner und Noyes 1991) zeigten alle 8 über mindestens 4 Wochen behandelte Patienten mindestens moderate Veränderungen, ein Patient war danach symptomfrei. Zwei Patienten hatten die Behandlung abgebrochen. Darüber hinaus finden sich drei Kasuistiken, die über Erfolge von Imipramin berichten.
Zusammenfassung zur Pharmakotherapie
Im Vergleich zur Evaluation der kognitiven Verhaltenstherapie liegen erst wenige hochwertige Studien vor, die die Wirksamkeit einer Psychopharmakotherapie untersuchen. Üblicherweise kommen Antidepressiva zur Anwendung. Dabei wurden vor allem die selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer überprüft. Am besten untersucht ist Paroxetin, das sich vergleichbar effektiv zur kognitiven Verhaltenstherapie erwies. Allerdings ist hinsichtlich der Gabe einer pharmakotherapeutischen Behandlung bei krankheitsängstlichen Patienten zu bedenken, dass Medikamente das organmedizinisch ausgerichtete Modell der Patienten verstärken könnten. Bei Patienten, bei denen keine Erfolge durch eine Psychotherapie erzielt werden konnten, ist eine Pharmakotherapie zu erwägen. Einige der o. g. Untersuchungen berichten über einzelne Erfolge bei sog. Psychotherapie-Versagern.
Zitation-Ende
Für die Untersuchung der Wirkung von SSRI und anderen psychischen Störungen wie Panikstörung, generalisierte Angststörung und Depression gibt es sehr viel mehr Studien und Metaanalysen als lediglich zu Hypochondrie. Statistische Aussagekraft ist dennoch beachtlich und ein persönlicher Misserfolg mit dem einen Medikament sollte weder bedeuten, dass das Feld Medikamente für einen selber tot ist, noch, dass das ganze Fach Psychopharmaka wirkungslos ist. Kleine Info: Die Crème de la Crème im Studienbetrieb ist die so genannte randomisierte Doppelblindstudie und diese ist sehr aufwendig und kostspielig.
Viele Grüße
Matthias
09.08.2022 09:28 •
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