ich kann ja auch mal über meine Paroxetin-Erfahrungen, insbesondere über das Absetzen berichten, vielleicht macht das dem einen oder anderen hier etwas Mut.
Die Medikation kam zustande nach Beratung mit meiner Therapeutin und dem Neurologen, mit dem sie zusammen arbeitet. Ziel war, mich in meinem Rückfall der Panikstörung erstmal so zu beruhigen, dass wir verhaltenstherapeutisch wieder einen Fuß in die Tür bekommen.
Also: Ende März angefangen mit 10mg/Tag, das hats noch nicht gebracht (nach 14 Tagen). Erneut mit dem Neurologen gesprochen: Nun 20mg/Tag (jeweils 10 morgens, 10 abends).
Erfolg war sensationell: Nach drei weiteren Tagen keine einzige Panikattacke mehr, und nach und nach bekam ich auch wieder Zutrauen, dass ich die Krankheit in den Griff bekomme (und vor allem: körperlich gesund bin). Während dieser Phase habe ich wieder Sachen gemacht, an die vorher kaum zu denken war, auch nicht in der Phase, in der ich zwar keine Attacken hatte, aber ständig ängstliche Gedanken und mulmige Gefühle (2004-2010):
Rennradfahren 200KM
Schwimmen im Baggersee bei *beep* (kein anderer da)
Seilbahnfahren (Ski und Wandern)
alleine Auto und Bahn fahren
Vorträge halten
Business-Besprechungen gut gelaunt erleben.
Insgesamt war ich auch viel, viel cooler und unaufgeregter bei Alltagsproblemchen (Bürostreß, Straßenverkehr, Paarkleinigkeiten ...). Nebenwirkungen hatte ich keine.
Während der ganzen Zeit unter Paro (vier Monate) habe ich mit der Therapeutin kognitiv-verhaltenstherapeutisch gearbeitet und auch bereits Situationen aufgesucht, vor denen ich besonderen Schiss habe/hatte (s.o.). Ging alles ohne Panikattacken, wohl wissend, dass die nur chemisch abgeschaltet waren.
Da nun der Neurologe, die Therapeutin und ich Ende Juni gleichzeitig im Urlaub waren, besprachen wir, die Chance zu nutzen, dass Paroxetin wieder los zu werden: zwei Wochen lang 10mg/Tag, wenn es dabei keine besonderen Vorkommnisse gibt, danach auch die restlichen 10mg weglassen.
Von der Reduktion 20 auf 10mg habe ich rein gar nix gemerkt (vlt. hätte ich mich bei voller Dosis zweimal weniger mit meiner Frau gekabbelt). Seit letztem Mi. habe ich das Paro. nun ganz abgesetzt. In den ersten zwei Tagen überhaupt keine Symptome, danach nun electric head: Wenn ich die Augen schnell bewege, fühlt sich das an, als ob der AutoFokus erst elektisch nachgestellt werden muss, wie bei einer Digicam. Das ganze summt kurz in der Birne. Das ist unangenehm, aber absolut aushaltbar. Am wenigsten spüre ich das, wenn ich abgelenkt bin, also in Gesellschaft, beim Sport oder aber ganz in Ruhe. Am stärksten merke ich das vorm PC, also beim Arbeiten.
Darüber hinaus träume ich derzeit total intensiv und sehr realistisch. Das find ich aber eher interessant als ängstigend, stört mich also nicht.
Meine zwei mächtigsten Instrumente sind derzeit offenbar Sport und Entspannung:
Sport: (insg. 5x pro Woche)
Schwimmen 1000m
Rennradfahren 70-150KM
Laufen 30-45 Minuten.
Entspannung:
Jacobsen mit Audiounterstützung mind. 1x täglich
früh pennen gehen (22:00 Uhr)
Für absolut wesentlich halte ich die Zusammenarbeit mit Therapeutin und Neurologen. Von beiden halte ich sehr viel und beide geben mir immer das Gefühl, das nicht sie etwas an meiner Krankheit rumdoktern, sondern das sie mich dabei unterstützen, dass ich an meiner Krankheit arbeite. Ich weiß, das ich damit großes Glück habe und das es auch sehr schwierig sein kann, die richtigen Begleiter zu finden.
Mal sehen, wie es weitergeht. Zur Zeit habe ich das Gefühl, Riesenschritte nach vorn zu machen. Wichtig wird sein, wie ich die Konfrontationen in der nächsten Zeit angehe. Motto: heute mal wieder die Amygdala ein bißchen kitzeln ...
Ich wünsche allen, die besonders mit dem Absetzen nicht so gut zurechtkommen viel Ausdauer und Erfolg.
*Klugshice-Modus an*: Ein Wort noch zu Beiträgen, die mich hier manchmal etwas irritieren: Zahlreiche Autoren geben direkte Tipps oder aber Verteufelungen zu Medikamenten, die auf ihren individuellen Erfahrungen beruhen. Das halte ich für brandgefährlich. Die Wirkung von Antidepressiva ist dafür m. E. viel zu individuell und von extrem vielen Faktoren abhängig. *Klugshice-Modus aus.*
Mein Neuro hat mich vor der Medikation total ausgequetscht, bis er Paroxetin ausgewählt hat: Tagesablauf, Familie, Freunde, wieviel Sport, wann ins Bett, wieviel TV, wieviel Musik, Genussmittel, ...
Lasst Euch durch Beiträge hier nicht stärker ängstigen, also ihr es ja ohnehin schon tut. Das ist knifflig, gerade bei Angstkranken, weiß ich selbst. Ich habe jahrelang zu Herzrhythmusstörungen gegoogelt und keinem Kardiologen geglaubt, dass ich gesund bin. Schließlich habe ich einen (mittlerweile ein Sportkumpel von mir) so ausgequetscht, bis er mir tatsächlich erklärt hat, warum er 1) mich für gesund hält und 2) keine weiteren Untersuchungen machen muss, von denen ich mich fragte, ob es die nicht eigentlich auch noch braucht. Fazit: Er weiß viel, erklärt aber wenig, wenn ich nicht frage. Der geht ja auch davon aus, das die Antwort: Alles ok mich zufriedenstellt.
Viele Grüße,
P
02.08.2011 11:33 • • 21.07.2014 x 1 #1