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Ich weiß gar nicht so richtig, wo ich anfangen soll - vermutlich könnte ich einen Roman schreiben, versuche mal die Kurzfassung

Ende letzten Jahres starb sehr plötzlich und ohne Vorzeichen mein Vater, nur ein paar Tage nach einer Krebsdiagnose.
Meine Familie (mein Mann und 3 Kinder) wohnen seit vielen Jahren mit meinen Eltern zusammen.
Als mein Vater starb hatten wir schon ein sehr unruhiges Jahr mit vielen Veränderungen hinter uns. Da man die Erkrankung meines Vaters nicht erkannt hat, hat man seine Beschwerden auf die Psyche geschoben. Es gab viele Anzeichen für uns, die immer signalisiert haben, dass irgendetwas mit ihm nicht in Ordnung ist, es war aber nichts wirklich greifbar und eben auch immermit psychischen Ursachen erklärbar. Trotzdem haben wir alle sehr unter diesen Veränderungen gelitten. Letzten Endes wurde dann Krebs im Endstadium festgestellt. Sein ganzer Bauchraum war voller Metastasen, die auch schon Druck auf die Bauchaorta ausübten. Er wurde aus dem Krankenhaus entlassen, sollte montags wieder kommen, um eine palliative Chemotherapie zu beginnen. Man sprach von Zeit gewinnen ... vielleicht bis zum Sommer, vielleicht länger, man hat keine genauen Prognosen gewagt.
In der Nacht zu diesem Montag riefen meine Eltern mich rüber, weil er sich nicht gut fühlte. Ich hatte noch eine Diskussion mit ihm, weil ich wollte, dass ein Arzt gerufen wird, der sich ein Bild von seinen momentanen Beschwerden macht, mein Vater wollte das nicht und wollte mich wieder wegschicken mit den Worten Morgen früh bin ich eh im Krankenhaus, dann frag ich den Arzt mal, ich bin sicher nur sehr nervös.
Ich habe mich nicht abwimmeln lassen und hab den Notarzt gerufen, einfach ein dummes Bauchgefühl meinerseits. Als der Notarzt ankam hatte sich der Zustand meines Vaters schon dramatisch verschlechtert, er starb innerhalb einer halben Stunde nach Eintreffen des Arztes - vermutlich an einer Lungenembolie.

Die Situation hat mich völlig überrumpelt. Der Notarzt ging und ich blieb mit meinem toten Vater und meiner völlig überforderten Mutter zurück. Habe als erstes meine Geschwister informiert und war dann mehr oder weniger in den ersten Wochen völlig in einem Schockzustand. Ich werde nie die Bilder dieser Nacht vergessen. Das elende Warten auf seinen letzten Herzschlag als der Arzt verkündete, dass mein Vater in den letzten Zügen liegt.

Direkt nach dem Tod meines Vaters hat meine Schwester den Kontakt zu mir abgebrochen. Es gab Vorwürfe nach dem Motto, ich hätte sie zu spät informiert. Sie hätte dabei sein wollen als unser Vater starb. Persönlich ist mit mir seitdem nicht kommuniziert worden, das hat sie verweigert. Ich hatte weder die Möglichkeit zu erklären, dass ich nicht wusste, dass er sterben wird und dass alles so schnell ging, dass man alles gar nicht realisieren konnte. Dass sie telefonisch gar nicht erreichbar war und so schnell gar nicht hier gewesen wäre, zählt auch nicht (mein Mann ist zu ihr gefahren, um sie zu informieren, weil niemand ans Telefon ging). Wie hätte ich das alles innerhalb einer halben Stunde schaffen sollen, in der ich selber bemüht war, unsere Mutter aufzufangen und zu schauen, dass um meinen sterbenden Vater herum keine Panik ausbricht und er friedlich gehen konnte.
Kurz darauf hat meine Schwester dann den Kontakt zu unserer Mutter auch abgebrochen. Mein Bruder sitzt zwischen den Stühlen, möchte zu allen Seiten weiterhin Kontakt haben.
Wir hatten vorher alle ein sehr enges Verhältnis - konnten über alles reden, haben viel zusammen unternommen. Plötzlich war nicht nur mein Vater weg, die Familie war auch noch kaputt. Unsere Mutter bis heute verzweifelt.

In den nächsten Monaten habe ich mich um alles gekümmert, was nach einem Todesfall so zu regeln ist, habe Stunden mit unserer Mutter verbracht, damit sie wieder zurecht kommt und eine neue Perspektive findet. Wir mussten zuhause vieles neu organisieren. Um viele Dinge hier hat mein Vater sich gekümmert, weil er seit kurzem in Rente war, die Zeit hatte und Garten und Werkeln sein großes Hobby waren.
Zwei Wochen bevor er starb hatte ich gerade den Job gewechselt, habe also nebenbei noch versucht, mich im neuen Büro einzuarbeiten.
So habe ich brav nach allen Seiten funktioniert, geschaut , dass die Kinder weiter zurecht kommen, die auch sehr unter dem Verlust des Opas litten - sie waren ja nun mal zusammen aufgewachsen, hatten eine enge Bindung durch den alltäglichen Kontakt und das Zusammenleben.

Wer dabei auf der Strecke blieb, war ich selber. Heute sitze ich hier und frag mich, wo war ICH eigentlich im letzten Jahr? Wo war meine Trauer ... um meinen Vater, um meine kaputte Familie, meine Geschwister?
Nichts geht mehr. Der neue Job ist ein Kraftakt, der Kopf war so oft gar nicht aufnahmefähig, die Konzentration fehlte, ich fühle mich dort nicht wohl und könnte nicht einmal sagen, liegt es nur an den ganzen äußeren Umständen oder wäre es in einer normalen Situation auch so gewesen?
Meinen Vater sterben sehen, hat auch Ängste ausgelöst. Ich hatte vor einigen Jahren selber eine Krebserkrankung, gottseidank ganz früh entdeckt und es hieß, ich wäre mit einem blauen Auge davon gekommen. Aber man stellt sich natürlich viele Fragen ... was kommt noch alles im Leben, was man nicht beeinflussen kann ... man fragt sich, ob man sein Leben wirklich richtig nutzt.

Seit Montag bin ich nun krankgeschrieben ... Erschöpfungsdepression heißt es. Bin mit einer Überweisung zur Psychotherapie nach Hause gegangen, weil ich um eine Anlaufstelle gebeten habe, um auch mal reden zu können. Freunde verstehen es nicht, dass man plötzlich - fast 1 Jahr später - nicht mehr funktioniert.
Und in den letzten Tagen sitze ich nun zuhause und fange an, meinen Kopf zu sortieren - merke, wieviel da kreist und sich bemerkbar macht, wenn man nicht mehr funktionieren muss.
Und stelle dabei fest, dass alles in mir nach Neuanfang schreit. Der dringende Wunsch, das Leben neu zu sortieren, am liebsten den Job zu kündigen, eine Auszeit zu nehmen und dann irgendwas ganz anderes zu machen.

Warum schreib ich das hier? Rat geben kann mir sicher keiner, aber neutrale Einschätzungen wären schön, weil ich mich manchmal frage, ob das noch alles normal ist ... ob es berechtigt ist zu sagen, das alles hat mich so verändert, dass ich einfach nicht mehr so weitermachen kann wie vorher?

27.09.2017 07:35 • 27.09.2017 #1


2 Antworten ↓


Herzlich willkommen hier bei uns im Forum. Ich hoffe, du wirst dich bei uns wohlfühlen.

Zitat von Solenne:
Freunde verstehen es nicht, dass man plötzlich - fast 1 Jahr später - nicht mehr funktioniert.


Hier bei uns werden das sicher viele verstehen. Wir sind hier einige, die über ihre Grenzen gegangen sind, die eigenen Bedürfnisse hinten an gestellt haben und dann eben irgendwann zusammengeklappt sind. Eine Zeit lang kann man aus Reserven schöpfen, es irgendwie kompensieren, aber an einem gewissen Punkt ist dann eben das Maß voll.

Das war ja schon sehr existenziell, was euch da passiert ist. Manche Familien rücken dann enger zusammen, bei euch war es wohl so dass deine Schwester in ihrem Schmerz einen Schuldigen sucht (wo es keinen Schuldigen gibt) und das bist wohl leider du. Möglicherweise könnte ein neutraler Mediator da vermitteln, habt ihr an sowas schon mal gedacht?

Zitat von Solenne:
ob es berechtigt ist zu sagen, das alles hat mich so verändert, dass ich einfach nicht mehr so weitermachen kann wie vorher?


Ja natürlich ist es berechtigt. Keiner außer dir selbst kann dazu die Initiative ergreifen. Wenn du seit einem Jahr in diesem Job nicht glücklich bist, dann ist ja die Chance wohl nur noch gering dass sich das nochmal ändert. Das muss ja nicht unbedingt an dem Arbeitsplatz selbst liegen, sondern einfach daran dass es momentan nicht das richtige für dich ist. Nimm dir genug Zeit zum Nachdenken, wie es weitergehen kann. Dein Arzt wird sicher auch länger krank schreiben, das verschafft dir einen gewissen zeitlichen Puffer.

Danke Luna!
Ja, das Maß ist voll, das trifft es auf den Punkt.
Ich hatte über einen Mediator nachgedacht, hatte auch jemanden kontaktiert, um mich nach Möglichkeiten zu erkundigen. Meine Schwester blockt aber alles ab, was von meiner Seite kommt. Damit muss ich wohl leben. Im Moment versuche ich, innerlich Abstand zu dieser Thematik zu gewinnen und mich erst einmal auf alles andere zu konzentrieren.

Ich muss in zwei Wochen wieder zum Arzt. Bis dahin bin ich krankgeschrieben und ich hoffe, dass der Kopf bis dahin sortierter ist. Denke auch drüber nach, zu kündigen und erst einmal zuhause zu bleiben, um den Druck von der Seite los zu sein. Allerdings ist es schon ein Schritt, einen sicheren Job aufzugeben und einfach darauf zu vertrauen, dass man mit 45 noch mal einen Neuanfang schaffen kann, wenn man sich erholt hat. Der Arbeitsmarkt zählt mich ja fast schon zu denen, die zu alt sind und ich gehörte bisher zu den Perfektionisten in der Hinsicht und lerne mich selber da anscheinend von einer neuen Seite kennen




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