Zitat von Coru:Wieso ist man seiner Familie denn nichts schuldig?
Andersrum gefragt: Was denkst du denn, das du deiner Familie schuldig
bist? Ich verstehe aber wirklich sehr gut, dass einen das verwirrt und dieses
Ich bin dir nix schuldig! klingt auch zunächst einmal fürchterlich abstrakt.
Fakt ist doch aber, dass wir
alle das Recht haben, uns von Leuten zu lösen, die uns in irgendeiner Art und Weise schaden. Dies gilt für Bekannte, Freunde und es gilt auch für die eigene Familie!
Dass deine Eltern dich vielleicht aufopfernd aufgezogen haben, gibt ihnen
nicht das Recht, dich schlecht zu behandeln. Dass du möglicherweise alles von ihnen bekommen hast, so dass es dir in deiner Kindheit an nichts gefehlt hat, ist
kein Freibrief dafür, irgendwann Dinge von dir zu verlangen, die du nicht bereit bist zu geben. Dass man Familie ist, heißt nicht, dass man sich alles gefallen lassen muss oder Dinge über sich ergehen lassen muss, die man aus tiefster Überzeugung nicht über sich ergehen lassen
will. Verstehst du, worauf ich hinaus will?
Du bist ein eigenständiger Mensch mit Charakter! Und ich persönlich bin der festen Überzeugung, dass es im Leben unsere Aufgabe ist, nach bester Manier für uns zu sorgen und sicherzustellen, dass es uns selbst gut geht. Dazu gehört eben auch, dass wir darauf achten, wen wir in unser Leben lassen und wen nicht. Uns immer wieder Fragen stellen, wie zum Beispiel: Wer zehrt an meiner Energie? Wer bereichert mein Leben? Diese Fragen kommen im Laufe des Lebens immer wieder auf, völlig automatisch, und wir müssen sie immer wieder neu für uns selbst beantworten. Beziehungen sind nicht statisch, weil wir Menschen auch nicht statisch sind. Dass man sich heute gut versteht, bedeutet nicht, dass das in zehn Jahren auch noch so ist.
Dass deine Familie deine Familie ist, macht sie nicht automatisch zu einfachen Menschen. Auch deine Eltern/deine Geschwister haben ihre Macken, genauso wie du im Laufe der Jahre deine ganz eigenen Macken entwickelt hast. Manchmal passt man damit über Jahrzehnte zusammen, manchmal nicht. Und manchmal ist einfach der Punkt erreicht, an dem man sich zwar nach wie vor bedingungslos liebt, aber getrennte Wege gehen muss, um sich selbst zu schützen.
Vielleicht mal ein Beispiel: Mein älterer Bruder ist im Grunde ein herzensguter Mensch. Das weiß ich. Leider ist er aber auch extrem jähzornig. Im Sommer 2017 hat er mich, als ich zu Hause zu Besuch war, in einem extrem heftigen Wutanfall (wegen einer Nichtigkeit) aus dem Haus meiner Mutter(!) geworfen (in dem er immer noch lebt). Hat mich angeschrien und mich beleidigt. Das war für mich ein ultimativer Tritt in die Magengrube, das hat mir
so wehgetan, so dass ich wochenlang zu nichts zu gebrauchen war. Das war auch tatsächlich der Moment, in dem ich die Leitung zur Familie entgültig gekappt habe (bis auf gelegentliche Nachrichten und Telefonate). Denn wenn ich ehrlich bin: Hätte das ein einfacher Freund oder Bekannter mit mir gemacht... dieser Mensch wäre nach so einer Nummer sofort aus meinem Leben geflogen.
Und es ist tatsächlich so, dass mein Bruder es (vermutlich unbewusst) erwartet, dass man um ihn herumschleicht und ihn bei Laune hält. Das sehe ich aber nicht ein. Er ist 40 Jahre alt und muss in der Lage sein, sein Verhalten zu reflektieren und ggf. zu ändern, wenn er merkt, dass er anderen damit immer wieder vor den Kopf stößt (was er definitiv tut). Diese Einsicht kommt bei ihm aber einfach nicht. Stattdessen tut er nach 3, 4 Tagen so, als sei nichts gewesen und bombardiert einen manchmal sogar mit Aufmerksamkeiten. Erwartet, dass man das dann halt einfach schluckt.
Das sind aber ja Entscheidungen, die
er trifft. Ich sage bestimmt
nicht Kauf mir dies und das, dann ist alles wieder supi! .
Meine Frage nun an dich: Denkst du, dass ich es ihm schuldig bin, wieder nachzugeben? Um des Friedens Willen zu verzeihen? Nur weil er Familie ist und mir ja auch immer mal wieder was schenkt? Diese Wutanfälle kommen immer wieder vor. Muss ich das nun immer wieder mitmachen, weil er mein Bruder ist? Habe ich diese Behandlung verdient? Liegt es an
mir, die Wogen zu glätten, um der Familie willen?
Ich persönlich denke das nicht. Ich habe
lange gebraucht, um das zu begreifen. Und ich sage auch nicht, dass es nicht schwer ist. Gerade jetzt zur Weihnachtszeit würde ich mir
so sehr wünschen, dass die Dinge anders wären. Es macht mir wirklich
keinen Spaß, Anrufe und Nachrichten weitgehend unbeantwortet zu lassen. Es muss aber sein, weil ich sonst daran zugrunde gehe. Ich bin verantwortlich für mich und mein Leben und ich muss zusehen, dass es mir gut geht. Wenn das nur über diesen Weg führt, dann muss es eben so sein. Es tut jeden Tag weh, mal mehr, mal weniger, denn trotz allem liebe ich meine Meute ja.
Meine Entscheidung, dauerhaft auf Abstand zu gehen, bereue ich dennoch kein bißchen. Im Gegenteil. Hätte ich das mal eher getan, wäre mir in den letzten Jahren so manches Leid erspart geblieben. Vielleicht ist es auch nicht für immer so. Das weiß ich zu diesem Zeitpunkt ja gar nicht. Da ich aber keinen Einfluss darauf habe, wie sich meine Familienmitglieder über die Jahre verändern, kann ich nicht immer wieder voller Hoffnung darauf warten, dass es passiert, denn möglicherweise passiert es niemals. Den Kontakt massiv einschränken ist das Einzige, das ich zu diesem Zeitpunkt für mich tun kann. Darauf
habe ich Einfluss. Und im Moment bzw bis auf weiteres geht es nur so.