Bunbury
Bei mir war das, wie oben erwähnt, im März vor 23 Jahren. Wir haben uns im Internet kennengelernt und nach einigen Monaten in meiner Stadt getroffen. Wir wohnten 600 km auseinander und hatten zunächst eine Fernbeziehung. Nach zwei Jahren wollten wir zusammenziehen. Allerdings sagte er sofort, er würde niemals in meine Stadt ziehen, wenn dann müsse ich zu ihm in dem hohen Norden kommen. Ich habe das akzeptiert und bin 2002 aus meinem Heimatort weggezogen. Habe dort meine Mutter und Freunde zurückgelassen.
In der neuen Stadt gefiel es mir sehr gut, wir hatten eine sehr gemütliche Wohnung. Nach gerade mal 1,5 Jahren hieß es, wir müssen wegziehen, aus beruflichen Gründen seinerseits. Er war mit dem Studium fertig und seinen Traumjob gab es dort nicht (was man natürlich nicht vorher hätte klären können).
Natürlich bin ich also wieder mit weggezogen, obwohl es mir sehr schwer fiel. Wir wohnten dann in Niedersachsen in mehren Orten und Wohnungen/Häusern zur Miete. Zweimal mussten wir jeweils nach fünf Jahren wegen Eigenbedarf wieder umziehen. Beim letzten Mal hat sich mein Freund dann in den Kopf gesetzt, nun ein Haus zu kaufen. Da, wo wir wohnten, hätte er es sich nicht leisten können. Ich fand es von Anfang an eine schlechte Idee, da mein Freund null Interesse an Haus- und Gartenarbeit hat und das schon von Anfang ein Streitthema war. Deshalb habe ich auch gleich gesagt, dass ich mich an dem Kauf nicht beteilige, sondern meinen Teil als Miete zahle. Zudem wusste mein Freund seit Jahren, dass ich sehr gerne noch einmal in die Großstadt wollte, weil das Leben in der Provinz nicht wirklich für mich ist. Ich wurde aber immer nur auf „später mal“ vertröstet.
Nun ja, er kaufte dann vor knapp fünf Jahren ein Haus in einem 6000 Seelen-Ort und mir geht es hier immer schlechter. Ich bin total vereinsamt, man lernt hier auch niemanden kennen und es gibt einfach nichts zu erleben hier. Außer man möchte entweder wandern oder Fahrrad fahren. Es gibt keine kulturellen Angebote, man kann nicht mal abends ausgehen, man kann keinen Shoppingbummrl machen, null. Die nächstgrößere Stadt ist eine halbe Stunde entfernt, aber auch das ist nur eine kleine Kreisstadt mit knapp 50.000 Einwohnern. Und zwischen jedem Ort fährt man erst mal nur durchs Nirgendwo und Wald, Wald, Wald.
Vor drei Jahren wurde bei mir Brustkrebs diagnostiziert und dann ging es erst richtig los. Ich fühle mich hier lebendig begraben. In den drei Jahren seitdem habe ich nichts schönes erlebt, weil es hier einfach nichts zu erleben gibt. Dabei sehne ich mich so sehr nach Leben, nach Gesellschaft,von Menschen, nach Ablenkung…alle paar Wochen fahre ich zu meinem besten Freund, der in der nächsten Großstadt lebt (1,5 Stunden mit dem Auto von hier) und jedesmal, wenn ich wieder hier her muss, fühle ich, wie mich die Depression wieder packt und die ersten Tage wieder hier bin ich ständig am heulen. Ich fühle mich jedes Mal, als hätte man mir die Gefängnistür aufgemacht, mich mal sehen lassen, wie schön das Leben sein könnte, und dann fällt sie wieder für Wochen hinter mir ins Schloß.
Das schlimme ist, dass mein Partner null Verständnis dafür hat. Man muss noch dazu sagen, dass er mich mit einer starken Agoraphobie kennengelernt hat, die im Laufe der Jahre auch viel besser geworden ist. Ich frage mich aber, wieso die ganze Quälerei, wenn es hier eh nichts zu unternehmen gibt. In der Großstadt schaffte ich es zuletzt, fast eineinhalb Stunden allein durch die Innenstadt zu gehen. Hier habe ich mittlerweile schon Angst allein zu Hause, weil es hier so einsam ist. Nach Sonnenuntergang ist es stockfinster, kaum Straßenbeleuchtung. Und ich bin hier oft nachts allein, weil mein Freund Nachtdienste hat.
Mt ihm ist wie gesagt nicht zu reden, er wird dann laut und aggressiv und wirft mir vor, ich sei eine Narzisstin, nach deren Willen es immer gehen müsse. Dabei habe ich mich ja immer nach ihm gerichtet, es ist jetzt das erste mal, dass ich an einem Wohnort und in einem Haus so unglücklich bin, dass ich oft nicht weiß, wie ich es noch lange ertragen soll. Und ansonsten könnte ich ja allein wegziehen …… genau, nach 23 Jahren, wo ich nun nicht mehr so funktioniere wie früher durch die Nebenwirkungen der Brustkrebsbehandlung, kann ich gehen.
Gerade vorhin gab es darüber wieder einen riesigen Streit, ich kann echt nicht mehr. Soll es das jetzt gewesen sein? Mit 58 kriegt man vom Partner den Ar***schtritt, weil der Partner das erste mal mir zuliebe einmal umziehen müsste? Das Haus ist wichtiger als alles andere?
Verlange ich wirklich zu viel, dass man jetzt einmal auch für mich mal wohin zieht, wo es ihm vielleicht nicht ganz so gut gefällt? Nachdem ich das ohne Murren 23 Jahre lang gemacht habe? Wie lange soll ich warten? Bis das Rezidiv kommt oder Metastasen? Ohne davor wenigstens noch ein paar schöne Jahre gehabt zu haben, wo zur Abwechslung ich mich einmal richtig wohlfühle? Die Diagnose hat mir so knallhart gezeugt, wie ich die letzten Jahre eigentlich nur verplempert habe hier am Ar. der Welt und mein Leben wirklich genau nach ihm gerichtet habe.
Bei meinem Psychiater hatte ich es beim letzten Mal kurz angerissen und er meinte zu mir „Sie weinen und trauern über viele Jahre ungelebtes Leben“ und genau so ist es. Und ich habe keine Ahnung, ob und wie ich noch einmal richtig leben kann…..
18.09.2023 02:11 • • 21.09.2023 x 2 #1