Es geht mir jetzt doch ein ganzes Stück besser. Vor acht Tagen hatte ich eine sehr schlimme Angstattacke und so ein Gefühl, und ich konnte nicht anders, ich bin zu seiner Wohnung gefahren und habe geklingelt. Ich wusste, dass ich direkt danach zu meiner Selbsthilfegruppe muss und eigentlich null Zeit mehr hatte, also direkt würde weiterfahren müssen mit dem Rad. Er machte erstaunlicherweise auf, ich war noch nie in dieser Wohnung. Es war sehr klein, ca 30 m², eine Kellerwohnung, kein Licht an, es roch unangenehm, verwahrlost, ich sah eine Dose Alk., sprach ihn darauf an, er sagte, ja ich trinke Alk.. Aus dem Affekt habe ich den Kühlschrank geöffnet, 2 weitere Rum-Cola, 1 Vodka Lemon. Ich bin quasi sofort wieder gefahren. Er war 6.5 Jahre trocken.
Ich bin dann zu meiner Gruppe und habe so schlimm geweint, weil das Gefühl kam, diesen Menschen kannst Du nun wirklich abschreiben. Eine der großen Dinge, die er wirklich geschafft hat, ist nun auch hinüber. Ich dachte, jetzt kapituliere ich bei allem. Es war ein furchtbares Gefühl. Ich habe geweint, geweint, geweint, kaum noch etwas aufgenommen.
Zwei Tage später kam er dann zu mir, ich habe es geschafft, eine Deeskalation zu erreichen. Das hat mir schonmal geholfen. Er war so dermaßen instabil. Er hat sein Medikament abgesetzt, findet nicht die Kraft zur Psychiaterin zu gehen, sagt, Alk. sei das einzige, mit dem er zur Zeit abends ein paar Stunden abschalten könne.
Vorgestern kam er wieder und wir hatten ein sehr gutes Gespräch. Ich war auch zuvor bei der Psychotherapie gewesen und die Therapeutin hat mir unglaublich geholfen. Mich zu sortieren, bei mir zu bleiben, mich zu schützen, in meinem Sinne zu denken. Mich von seinen Angriffen zu distanzieren. Dann das Treffen, es war wirklich nur ruhig und friedlich. Er hat viel geweint. Sein größtes Motiv ist es, die Arbeit zu behalten. Immer wenn er frei habe, läge er im Bett und versuche, Ruhe zu finden, nichts helfe mehr, seit acht Wochen schlafe er keine Nacht mehr als vier Stunden. Er hat sich bei mir entschuldigt und von sich erzählt, warum er sich immer so zurück zieht, alles mit sich abmachen will, seine Gefühle wegdrückt, und deshalb auch mir gegenüber keine Empathie mehr hat. Wie allein er als Kind war, dass er schon mit 10 allein gekocht hat, keiner da war, er sich selbst überlassen, dass er immer gelernt hat, den Überlebensmodus einzuschalten. Er würde dann seine Gefühle sozusagen ausschalten und kaum mehr spüren. Wenn er die zulassen würde, auch jetzt, hätte er Angst, komplett zusammen zu brechen und gar nichts mehr hinzubekommen. Er hat sich auch entschuldigt, dass er mich nicht in den Arm nehmen würde. Es hätte nichts mit mir zu tun, er könne im Moment keine Nähe ertragen, er könne sich selbst nicht ertragen. Genauso würde er zur Zeit nur funktionieren und immer heilfroh sein, wenn er nach der Arbeit die Tür in seiner Whg schließen könne. Wir haben auch offen und ohne Wertúng über den Alk. gesprochen. Er sagte, ganz wenig wirkt schon, weil er so lange abstinent war und sein Medikament hat nicht mehr geholfen dabei, dass er zur Ruhe käme, nichts hätte mehr geholfen.
Zumindest bin ich nun ruhiger. Wir haben erstmal Frieden geschlossen.
27.11.2021 18:17 •
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