Ja, der Begriff Käfig ist leider negativ besetzt, ich sollte ihn vielleicht
gegen das Wort Burg austauschen.
Es ist eine winzige 23 qm Dachwohnung, in der ich nun seit über 22 Jahren
lebe, und die ich mir meinen Bedürfnisen und Vorstellungen entsprechend
selbst ausgebaut und funktionsperfekt eingerichtet habe.
Diese Käfig-Burg ist der einzige feste Halt und Fixpunkt in meinem Leben
geworden, sie ist nicht nur akzeptiert, sondern unaufgebbar für mich. Ein
Wechsel/Umzug wäre wohl mein Ende, der Verlust jeglicher Restsicherheit.
Freunde oder Bekannte gibt es keine mehr in meinem Leben, nur zu meiner
Halbschwester besteht noch gelegentlich Kontakt. Ausser mir selber hat also
seit vielen Jahren niemand mehr meine Wohnung betreten.
Selber verlassen tue ich diese Wohnung nur noch etwa alle 10 Tage zum not-
wendigen Lebensmitteleinkauf. Das wird aber nun auch zunehmend schwerer,
ich schiebe es oft bis zum Letzten auf, und muss mich mental darauf vorbereiten.
In meiner Jugendzeit war das allerdings noch anders, grosser Freundeskreis,
jedes Wochenende unterwegs. Habe sogar bis vor 25 Jahren noch in Wohn-
gemeinschaften gelebt.
Akzeptiert habe ich heute alles, also das komplette Paket (Wohnung, keinerlei
Sozialkontakte/Beziehungen und auch nie wieder Erwerbs- oder Berufsleben).
Sorgen (Ängste) habe ich nur noch wenn ich an eine mögliche spätere Zukunft
denke. Extreme Altersarmut, Hilflosigkeit/Abhängigkeit durch mögliche Krankheit,
Unfälle, Altersschwäche etc. Dies wäre dann, ab einem für mich klar definierten
Punkt, nicht mehr akzeptabel. Aber auch dafür habe ich, zur Angstreduzierung,
Vorbereitungen getroffen und für mich klare Vorgehensweisen vereinbart.
Bücherlesen (früher sehr viel) geht heute nicht mehr, wie du schon geahnt hast,
zu viel Gedankenabwanderung und daher zu wenig Konzentration.
Ich beobachte aber mit grösstem Interesse alles in der Gesellschaft/Welt sehr
genau und aufmerksam (Politik, Wirtschaft, Umwelt etc.). Will herausfinden, was
passieren wird, wie und warum (geschichtlich, biologisch) die Dinge so sind wie
sie heute sind. Darüber hinaus interessiert mich Technik/Physik, und ich versuche
elektronische Musik zu machen (Hobby, aber auch Ausdrucks- und Verarbeitungs-
möglichkeit).
Rituale (ich nenne sie bei mir Zwänge) bestimmen natürlich den Alltag. Es sind bei
mir aber keine bestimmte Rituale wie bei Nicole Schuster (Wirsingkohl) sondern
eher hunderte von Alltagskleinigkeiten. Klare Tagesstruktur, sofortiges Aufräumen
(Ordnung) nach jeder Tätigkeit (Geschirrspülen und Kücheputzen noch wärend dem
Kochen, so dass nach dem Essen nur noch der Teller/Besteck zu spülen ist, etc.).
Manche dieser Zwänge sind sogar ganz nützlich im Alltag, und über andere Zwänge
kann ich heute sogar auch einmal herzhaft selber Lachen. Aber aufgeben lassen sich
diese Strukturen nicht, denn sonst entsteht sofort Haltlosigkeit, extreme Unruhe, und
am Ende völlige Panik.
Wenn ich heute so zurückdenke, dann weiss ich natürlich, dass es früher noch nicht
so bei mir war, es hat sich schrittweise so in den letzten etwa 20 Jahren entwickelt.
Und mir ist natürlich auch völlig klar, dass jeder normaler/gesunder Mensch mit mir
und meiner Daseinsart heute völlig überfordert wäre.
Ganz liebe Grüsse und schöne Wochenendwünsche, Der Beobachter
14.01.2012 12:25 • #41