Zitat von realo:Ob nun Lebenskünstler oder Individualist, wie immer man es nennen will, es gehört zum Beziehungsleben, unbedingt dazu oder gerade. Alleine leben ...
Die Vorstellung, dass enge Beziehungen zwingend zur Entwicklung der Persönlichkeit führen, und dass die Distanz in einer Beziehung elementar ist, um die eigene Identität zu bewahren, lässt sich mMn kritischer hinterfragen, um eine Differenzierung vorzunehmen.
Erstens sind Beziehungen zu vielfältig und nicht alle führen zu persönlichem Wachstum.
Manche Menschen finden eben auch in Freundschaften oder familiären Bindungen ihre Erfüllung, ohne dass ihre Partnerschaften der alleinige Antrieb für ihre Entwicklung sind.
Die emotionale Unterstützung durch den Partner
kann (ohne muss) eine wichtige Quelle darstellen, und muss nicht (nur weil es kann) zwangsläufig als eine Art Krankenschwester verstanden werden.
Zweitens ist es nicht zwangsläufig immer so, dass eine Beziehung zu strikten Abhängigkeit führt.
Viele, als positiv bewertete Partnerschaften fördern die individuelle Identität des Partners,
ohne dass einer von ihnen seine Selbstständigkeit dabei verliert oder zwingend verlieren muss.
Diese emotionale Unabhängigkeit kann auch in einer Beziehung
erlernt werden, und der Rückzug für persönliche Zeit ist in einer stabilen Partnerschaft ebenso möglich wie als Single.
Daneben findet die persönliche Entwicklung in einer differenzierten Sicht nicht nur durch Konflikte statt, sondern auch durch positive Erfahrungen.
Harmonische Beziehungen bieten dem Individuum sogar Räume für sein Wachstum, in denen die Partner durch positiven Austausch
voneinander lernen.
Das Vertrauen und die Verletzlichkeit in einer Beziehung, können sogar im Gegenteil, eine Quelle für die eigene Stärke und Verbindung sein.
Zudem kann das angeführte Bedürfnis nach Distanz, auch die Bedeutung von emotionaler Nähe untergraben.
Die Intimität ist ein zentraler Bestandteil für viele erfolgreiche (oder positiv bewertete) Beziehungen, weil es ermöglicht eine tiefere Verbindung aufzubauen, ohne dass dies relfexartig zur Abhängigkeit führt.
In diversen Beziehungsmodellen; einschließlich offenen oder polyamorösen Beziehungen, können persönliche Entwicklung und emotionale Unabhängigkeit bekanntermaßen Hand in Hand gehen - ohne sich dabei zu widersprechen.
Insgesamt lässt sich also mMn sagen, dass die Annahme, enge Beziehungen würden zwangsläufig zu Identitätsverlust führen, nicht wirklich universell gültig ist oder eine Wahrheit darstellen.
Das halte ich persönlich für undifferenziert und in der Sache individualtheoretisch belastet, was der Komplexität menschlichen Verhaltens nicht gerecht werden kann.
Ergo sum können die emotionale Nähe und die Unterstützung sowohl Katalysatoren für die persönliche Entwicklung sein als auch Quellen von Zufriedenheit und Glück, sofern ein
gesundes Gleichgewicht zwischen Nähe und individueller Unabhängigkeit erhalten bleibt.
Diese Frage zu beantworten ist somit schließlich subjektiver Natur, wobei es mMn kein eindeutiges Richtig oder Falsch gibt, um daraus eine konkrete Handlungsanweisung abzuleiten.