gestern hatte ich einen Riesenkrach mit meiner Mutter und habe sie gewissermaßen rausgeworfen. D.h. zur Bushaltestelle in der nächsten Großstadt gefahren, ihr Ticket umgebucht (also auf eher, nämlich gestern) und sie in den Bus gesetzt.
Wir haben ein problematisches Verhältnis, seit ich ein eigenständiges Leben führe, wozu auch gehört, aus dem dadurch entstehenden Abstand auch zu erkennen, dass sie ein wirklich problematischer Mensch ist und nicht ich das Kind bin, das keiner verstehen kann. Es hat mich über 10 Jahre Kampf gekostet, ihr die Grenzen aufzuzeigen und ihr - bildhaft gesprochen - auf die Finger zu hauen, wenn sie bei mir nach Hebeln und Knöpfen gesucht hat, die sie auch schon in meiner Kindheit und Jugend bedient hat, um mich nach ihrem Willen zu dirigieren. Ich habe zwei Langzeittherapien hinter mir und kenne mich inzwischen gut genug, um diese Knöpfe und Hebel vor ihr zu schützen und mein Gewissen nicht mehr manipulieren zu lassen. Ich wollte aus Mitleid nicht den Kontakt abbrechen, man lebt nur einmal, und sie ist kein schlechter Mensch, nur eben ein Mensch, der mit seinen unkontrollierten Wutausbrüchen sehr viel Porzellan zerschlägt und damit gut zurechtkommt.
In dem letzten zwei Jahren hatte ich das Gefühl, ich hätte es geschafft, dass sie endlich ausreichend Respekt vor mir hat, deutlich aufgezeigte Grenzen zu akzeptieren. Ich war wirklich froh darüber. Das hat auch mich etwas ruhiger und gelassener gemacht, ich konnte über das eine oder andere hinwegsehen. Ich dachte, wir hätten den richtigen Abstand gefunden, diese Gradwanderung hinzulegen, sich nicht aus den Augen zu verlieren und trotzdem nicht abzustürzen.
Gestern hat sie wieder alles über den Haufen geworfen. Sie hat aus einer lächerlichen Nichtigkeit heraus wieder einen diesr Wutanfälle bekommen, wenn es nicht nach ihrem Willen geht, wie ich das hasse, wenn sie dieses wutverzerrte, rote Gesicht mit den funkelnden Augen bekommt, sie trampelnd durch die Gegend rennt, wenn dieses Biest in ihr anfängt zu toben, wenn dieser unsägliche Zorn aus ihr herausbricht und sie verbal um sich schlägt ohne Rücksicht auf Verluste. Als Kind habe ich mich immer vor diesen Wutanfällen gefürchtet, mitunter rutschte ihr dabei auch die Hand aus, dabei war ich ein sehr stilles Kind. Gestern brach es wieder aus ihr heraus und ich habe erkannt, dass ich mich getäuscht habe, nichts ist wirklich besser geworden. Ich bin so unglaublich enttäuscht und verletzt (sie hat eine Grenze niedergetrampelt, die sie - zu meinem Erstaunen - bislang noch nicht umgerissen hatte), und ich bin auch traurig, weil sie sich selbst damit so viel kaputt macht und darunter leidet. Ich habe eigentlich kaum mehr ein schlechtes Gewissen, sonst hätte ich sie auch nicht rausgeworfen, ich habe mich auch anständig dabei verhalten. Aber sie tut mir leid, weil sie sonst nicht wirklich jemanden hat. Aber ich bin auch sauer auf sie, weil sie sich einfach so gehen lässt, weil sie ohne Rücksicht auf Verluste verbal auf einen losgeht, Hauptsache, sie kann ihre ganze angestaute Wut (ich weiß nicht, woher das kommt) herauskotzen, völlig egal, wie andere damit zurechtkommen. Danach, geht es ihr meistens besser und binnen kürzester Zeit verdrängt sie alles, ist wieder fröhlich drauf, tut als wäre nichts gewesen, während ich in den Seilen hänge und einfach nicht verstehen kann, wie man mit einer derartigen brutalen Rücksichtslosigkeit mit Menschen, zumindest mit mir, umgehen kann.
Momentan ruft sie aller Stunden an, und ich mag nicht ans Telefon gehen. Mein Mann riet mir auch davon ab. Es wird nur schlimmer davon, meint er. Und ich habe das Gefühl, dass sie momentan wie eine geladene Waffe ist, die bei der geringsten Berührung losgeht. Ich will sie nicht bestrafen, ich will nur meine Ruhe, aber wenn das Telefon aller Stunden klingelt, dann ist das schwierig.
Kennt das jemand?
05.11.2015 15:34 • • 18.12.2015 x 1 #1