Habe alles durchgelesen, Giorgio83, und mich gefragt, wie sehr Du Dich (seelen)getröstet fühlst? Das war ja Dein Eingangswunsch im ersten Post. Und: Was Du selbst für Dich unternehmen kannst, um Dir Trost zu geben und einen geschützten Hafen für Deine Traurigkeit zu finden. Einen, der ohne Deine Frau und ohne Kind funktioniert. Auch ich habe die Wahrnehmung, dass es um (viel?) tiefer Liegendes bei Dir selbst geht, wie es schon andere geschrieben/aus Deinen Worten gespürt haben. Um etwas, das sich das Zweite-Kind-Thema als Vehikel gesucht hat, um aufzutauchen. Es ist in meinen Augen gesund, wenn innere Fresser sich zeigen.
Beim Lesen Deiner Situation habe ich an ein Buch gedacht, das ich gerade gelesen habe. Der Autor (Jahrgang 1977) nennt seine Trauer-Themen Uneindeutige Verluste. Er hat keine Kinder. Er lebt allein. Sich mit den eigenen (uneindeutig) gescheiterten Lebensvisionen/-träumen und Entwürfen auseinanderzusetzen, hat ihn vor allem in der Isolation der Corona-Krise und im Gefängnis seines Homeoffice mit voller Wucht getroffen. Er wird mit allerhöchster Wahrscheinlichkeit, keine eigene Familie mehr gründen. Das will bewältigt werden, weil es eine Kern-Vision war.
Ich bin überzeugt, dass auch solche Verluste betrauert gehören. Nicht nur der Verlust von Menschen kann ja Wunden und tiefe Schmerzen verursachen.
Ich sage jetzt nicht etwas wie Sei zufrieden. (Einfach, weil ich selbst es null mag, wenn Menschen mir solche Botschaften senden.) Vielleicht lohnt ein Blick auf Deine Zufriedenheits- und Dankbarkeits-Rezeptoren. Ich kann mir neue Rezeptoren wachsen lassen durch einen achtsamen Fokus auf Dankbarkeit. Von selbst wird das wohl eher nicht kommen. Ich meine gefühlte Dankbarkeit, nicht die aus dem Kopf oder Mund. Und vielleicht lohnt auch ein Blick darauf, wie sehr Du im Hier und Jetzt sein kannst: im (echten) Kontakt mit Deinem Töchertchen. Denn wenn ihr Anblick Dich vor allem daran erinnert, dass Du lieber ein Doppelpack sehen würdest, bist Du in diesen Momenten in einer Vorstellung, die mit dem Augenblick nichts zu tun hat. Und damit kann auch Deine Tochter nicht voll und ganz mit ihrem präsenten Vater sein. (Der in seiner Vorstellungswelt lebt...) Dann entbehrt sie etwas durch das Nichtvorhanden-Sein des Vaters und nicht durch das des fehlenden Geschwisters. Ebenso ist der Anblick Deiner Frau wahrscheinlich im Moment auch durch den Filter Sie will kein zweites Kind mehr verstellt (verzerrt). Dann siehst Du sie nicht mehr, wie sie in diesem Moment ist.
Das Reden mit Mutter und anderen, bevor Du mit Deiner Frau selbst - über die Trauer/Deine Gefühle - sprichst, sehe ich sehr zwiespältig. Klar, es kann helfen beim Klarwerden. Als Deine Frau wäre ich persönlich allerdings gar nicht begeistert, dass Du dieses intime Thema nicht mit mir direkt sprichst, dafür mit anderen aus dem direkten Umfeld.
Die Überschrift zerfrisst mich legt für mich auch nah, dass es eine sehr gute Idee sein könnte, sich einem professionellen Zuhörer anzuvertrauen. Dies als meine Gedanken zum Gelesenen.
04.04.2022 14:36 •
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