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Hallo in die Runde,

im Folgenden habe ich einfach mal meine Gedanken zum Themenkomplex Oberflächlichkeit, gespielte Lustigkeit und Soziophobie gebündelt. Es würde mich freuen zu erfahren, was ihr dazu denkt und zu welchen Erkenntnissen ihr eurerseits bisher gekommen seid!

Ich bin jemand, der sich gerne über Oberflächlichkeit bei anderen beklagt. Was ist Oberflächlichkeit für mich? Erstmal solche Aussagen, die mir zeigen, dass sich jemand für einen anderen Menschen gar nicht wirklich interessiert oder ihn nur in eine bestimmte Schublade steckt. Das sind die Muslimin, die sind so, das sind die Asiaten, die sind so, dass ist Paul, der hat eh einen an der Klatsche. Oberflächlich ist für mich ein Mensch, der mit anderen Zeit verbringt, einfach um selbst nicht allein zu sein, der andere also gewissermaßen missbraucht, um seine innere Leere nicht zu fühlen. Dabei ist es ihm im Grunde egal, mit was für einem Menschen er da spricht. Der kurzweilige soziale Kontakt dient ihm wie eine Dro. nur dazu, sich zu betäuben. Emotional kommt er an den anderen nicht heran und möchte das auch gar nicht.

Oberflächlichkeit heißt für mich auch, andere nicht überfordern zu wollen, weil man befürchtet, unverstanden und einsam dazustehen, wenn man es nicht so sagt, dass es jeder versteht. Ich denke immer, etwas möglich einfach sagen zu müssen. Viele Jahre habe ich damit zugebracht, über Dinge tiefgründig nachzudenken, ohne andere daran teilhaben zu lassen. Es ist für mich längst selbstverständlich, über meine innersten Gedanken nicht zu sprechen, so dass es jedes Mal sehr stressig ist, wenn ich sie dann doch mal in Worte fassen möchte. Viel leichter und bequemer ist es für mich, der lustige Typ zu sein, der immer einen witzigen Spruch auf Lager hat und die Stimmung durch gezielte Sarkasmen auflockert. Das ist so ziemlich die einzige Form der Intelligenz, mit der ich mich nicht isoliere, habe ich das Gefühl. Es fällt mir schwer, über meine Gefühle oder emotional stark besetzten Gedanken zu sprechen, aber genau das würde ich als wertvoll erwachten, damit die andere wirklich verstehen können, WER ich bin. Ich schaffe es aber meist nur zu einer Form der gespielten Lustigkeit, die ich an mir selbst nicht leiden kann, weil ich sie nicht im Griff habe. Sprich: Weil ich viel oft denke, lustig sein oder etwas Aufheiterndes sagen zu müssen. So gesehen bin ich ein sehr oberflächlicher Mensch, über den andere vielleicht denken, er habe keine ernsthafte Seite, sei nur ein Spaßvogel ohne Tiefgang. Und die Pointe ist dann, dass diese Leute dann wiederum auch keine Lust haben, sich mir zu öffnen und etwas von sich preiszugeben.

So betrachtet ist Oberflächlichkeit eine Art Gefängnis, ein Teufelskreis. Man ist oberflächlich, weil man denkt, anders nicht akzeptiert zu werden. Die anderen denken dann, man sei oberflächlich - und so entwickelt sich in der Folge dann die Kommunikation. Über die kann man sich dann in der Folge herrlich aufregen, die undurchdringliche Oberflächlichkeit und den Stumpfsinn der Welt beklagen. Mir geht es hier nicht darum, Leute zu verteufeln, die mal einen lockeren Spruch bringen, im Gegenteil. Es geht mir um jene, die IMMER so einen Spruch auf Lager haben, während sie sich sonst kaum ausdrücken können.

Ich selbst erlebe mich oft als jemanden, der sich über Oberflächlichkeit beklagt. Der auch nicht davor zurückschreckt, die Augen zu verdrehen, wenn jemand etwas aus meiner Sicht Dämliches gesagt hat. Dabei ist meine Abneigung gegen Oberflächlichkeit sicherlich auch die Abneigung gegenüber dem Menschen, in dem ich mich verwandele, wenn ich mich mal wieder mit der Oberflächlichkeit angesteckt habe. Der denkt, er müsste witzig sein, der immer lächelt, obwohl er nichts zu lachen hat. Da scheint es mir dann viel angenehmer, mich zurückzuziehen. Wenn ich allein bin, gibt es keinen Grund, irgendwelche Witze zu machen oder unerträgliche Gespräche über das Wetter zu führen, sondern ich kann ganz zu mir kommen, meiner Wahrheit ganz nahe kommen. Ich kann mich zum Beispiel hinlegen und in Ruhe diesen Text hier tippen, während es für mich die Hölle wäre, diese Gedanken anderen zu erklären. Vielleicht auch, weil ich immer schon davon ausgehe, dass es den anderen nicht interessieren wird. Weil ich keine Lust habe, in fragende Gesichter zu blicken, die mich daran zweifeln lassen, tatsächlich zur Gattung Mensch zu gehören.

Vermutlich müsste ich aber genau das tun, eben lernen, mit diesem Unverstandensein zu leben. Nicht dem vermuteten, sondern dem real erfahrenen. Nur so kann ich auch mal erfahren, dass es Menschen eben auch interessieren könnte, was sich hinter meiner Fassade verbirgt, und dass sie sehr wohl verstehen können, was ich ihnen zu erklären versuche. Es fällt mir allerdings sehr schwer ...

LG

13.08.2017 00:29 • 27.08.2017 x 1 #1


15 Antworten ↓


Hallo Wijnaldum,

ich kann deine Gedanken gut nachvollziehen. Deine Definition von Oberflächlichkeit finde ich sehr gelungen.

Zitat von Wijnaldum:
solche Aussagen, die mir zeigen, dass sich jemand für einen anderen Menschen gar nicht wirklich interessiert oder ihn nur in eine bestimmte Schublade steckt. Das sind die Muslimin, die sind so, das sind die Asiaten, die sind so, dass ist Paul, der hat eh einen an der Klatsche. Oberflächlich ist für mich ein Mensch, der mit anderen Zeit verbringt, einfach um selbst nicht allein zu sein, der andere also gewissermaßen missbraucht, um seine innere Leere nicht zu fühlen. Dabei ist es ihm im Grunde egal, mit was für einem Menschen er da spricht. Der kurzweilige soziale Kontakt dient ihm wie eine Dro. nur dazu, sich zu betäuben. Emotional kommt er an den anderen nicht heran und möchte das auch gar nicht.

Oberflächlichkeit heißt für mich auch, andere nicht überfordern zu wollen, weil man befürchtet, unverstanden und einsam dazustehen, wenn man es nicht so sagt, dass es jeder versteht.


Ich bin jemand, der sich eigentlich gut und gerne öffnen kann. Aber mittlerweile habe ich immer seltener Lust darauf, da ich leider immer wieder die Erfahrung gemacht habe, dass meine Gedanken unwillkommen sind oder Eifersucht von anderen Frauen provozieren, mir die Menschen nicht folgen wollen/ können oder ich ihnen einfach zu viel bin.

Ich denke, dass unsere Gesellschaft den Fokus auf Unterhaltung legt und oberflächlichere Menschen beliebter sind. Hinzu kommt noch, dass die meisten durchschnittlich intelligent sind und nicht immer alles zerdenken wollen. Die Denker sind häufig hochintelligent und machen gerade Mal 2% der Bevölkeung aus. Kannst du bei dir eine Hochbegabung ausschließen? Sonst würde ich mich Mal testen lassen und evtl. eine Gesprächstherapie machen, um den Umgang mit dieser Besonderheit zu schulen.

LG,

Symbol

A


Oberflächlichkeit und gespielte Lustigkeit

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Hallo Symbol,

danke für deine Gedanken. Gleich vorweg: Ich verstehe ehrlich gesagt nicht, warum intelligente Menschen aufgrund ihrer Intelligenz so große Probleme im zwischenmenschlichen Umgang haben sollten. Denn gerade von einem intelligenten Mensch würde ich erwarten, dass er dergleichen reflektiert, für die tendenzielle Missverständlichkeit seiner Aussagen sensibel ist und es ihm dementsprechend nicht oder nur selten passiert, sich in irgendeiner Form, zum Beispiel aufgrund allzu abgehobener Aussagen, zu isolieren.

Bist zu hochbegabt? Ich finde interessant, dass du diesen Umstand so problematisch siehst. Fühlst du dich oft allein und unverstanden? Führst du das auf deine Hochbegabung zurück?

Für mich selbst kann ich das nicht beantworten. Es macht einen großen Unterschied, ob ich mir meine Isolation damit erkläre, dass ich intellektuell die anderen überrage, oder ob ich diesen Zustand auf meine früheren, oft schmerzlichen Erfahrungen zurückführe. Die eine Erklärung ermöglicht noch einen gewissen Trost, die andere ist eher trostlos und - in meinen Augen - zutreffender.

LG

Hallo Wijnaldum,

Danke für deine Antwort!

Zitat von Wijnaldum:
Hallo Symbol,

danke für deine Gedanken. Gleich vorweg: Ich verstehe ehrlich gesagt nicht, warum intelligente Menschen aufgrund ihrer Intelligenz so große Probleme im zwischenmenschlichen Umgang haben sollten. Denn gerade von einem intelligenten Mensch würde ich erwarten, dass er dergleichen reflektiert, für die tendenzielle Missverständlichkeit seiner Aussagen sensibel ist und es ihm dementsprechend nicht oder nur selten passiert, sich in irgendeiner Form, zum Beispiel aufgrund allzu abgehobener Aussagen, zu isolieren.





Ich habe eigentlich keine Schwierigkeiten mit Menschen, in dem Sinne, dass da irgendwelche Missverständnisse entstehen. Ich drücke mich auch nicht abgehoben aus. Vielmehr geht es ums Hinterfragen, Zusammenhänge zu beleuchten und wenn nötig die Konsequenzen für sein Leben daraus zu ziehen.
Darauf haben die meisten keinen Bock. Es ist aber mein tiefes Bedürfnis und ich bin nicht bereit, es ständig zurückzustellen. Ich bin doch auch ein Mensch und möchte keine einseitigen Beziehungen führen, in denen auch Mal meine Bedürfnisse befriedigt werden.

Außerdem kommt es ja auch nicht darauf an, was man sagt, sondern was man tut. Ich komponiere z.B. eigene Stücke. Soll ich die nicht mehr spielen, damit sich irgendeine neidvolle Person nicht an ihren Karren gepisst fühlt? Tatsächlich spiele ich sie dann nicht mehr vor irgendwelchen Bekannten. Freunde sind es für mich nicht, wenn sie mich beneiden.

Es ist auch nicht so, dass ich isoliert bin und keine Menschen um mich herum habe. Ich öffne mich nur nicht mehr, weil mir die Reaktionen einfach zu anstrengend sind.

Zitat von Wijnaldum:

Bist zu hochbegabt?


Ja, ich bin hochsensibel und daraus haben sich Begabungen im sprachlichen Bereich und räumlichen Denken entwickelt.

Zitat von Wijnaldum:
Fühlst du dich oft allein und unverstanden?


Ja, ich fühle mich generell immer alleine und oft unverstanden. Das aber im dem Sinne, dass sich mein Umfeld einfach nicht mit den Dingen beschäftigen möchte und sich auch nicht für mich freuen kann.

Zitat von Wijnaldum:
Führst du das auf deine Hochbegabung zurück?



Ja, tue ich. Mit zwanzig habe ich - unterstützt von meinem damaligen Psychologen - gedacht und gehofft, ich finde an der Uni Gleichgesinnte. Im Studium haben mich meine Kommilitonen zwar für meine Hilfsbereitschaft geschätzt, aber wenn ich im Seminar in den letzten 10 Min eine Frage gestellt habe und der Prof sich über diese Frage freute, aber nicht eingeplant hat und uns ohne meine Frage eher entlassen hätte, verdrehten alle die Augen über mich und nachher beim Kaffee und Zig. hat man sich über mich aufgeregt, weil man lieber 10 Min eher gegangen wäre.

Da ich eben viel reflektiere, habe ich nachgeforscht, wie es bei anderen Hochbegabten ist und sie werden genau so behandelt, insbesondere Frauen mit dieser Besonderheit sollen es sehr schwer haben. Die meisten verheimlichen, dass sie Hochbegabt sind, was ich ebenfalls tue. Nur lässt sich die Persönlichkeit auch nicht bis zur Unkenntlichkeit verstecken.
Von manchen bekommt man noch vorgehalten, warum ich meine Besonderheiten nicht direkt erwähne. Ich komme beisplw. aus einem anderen Land, spreche aber akzentfrei Deutsch. Sage ich das sofort beim Kennenlernen, werde ich ganz groß angeschaut und gefragt, warum ich denn so gut Deutsch spreche. Dann bin ich gezwungen meine Sprachbegabung einzugestehen und muss mir den Vorwurf der Angeberei gefallen lassen. Erwähne ich mein Herrkunftsland nicht und es stellt sich später heraus, heißt es, ich würde nicht zu meiner Herrkunft stehen und würde nur falsch bescheiden tun.

Diese Erwatungshaltung: Ihr seid schlauer, also habt ihr mehr einzustecken., ist für mich nicht nachvollziehbar. Nur weil ich anders bin, bin ich nicht besser oder schlechter als andere, habe genau die gleichen Rechte und möchte aufrichtige, neidfrei Freundschaften pflegen.

Zitat von Wijnaldum:

Für mich selbst kann ich das nicht beantworten. Es macht einen großen Unterschied, ob ich mir meine Isolation damit erkläre, dass ich intellektuell die anderen überrage, oder ob ich diesen Zustand auf meine früheren, oft schmerzlichen Erfahrungen zurückführe. Die eine Erklärung ermöglicht noch einen gewissen Trost, die andere ist eher trostlos und - in meinen Augen - zutreffender.

LG


Hierbei kann ich dir leider nicht folgen. Es ist für mich gesprungen wie gehüpft, ob ich meinen Zustand der Sehnsucht nach Verständnis/ Mitteilen mit der Hochbegabung oder mit den vorherigen schmerzlichen Erfahrungen begründe. Die schmerzlichen Erfahrungen in der Vergangenheit habe ich doch auch aufgrund meiner HB gemacht.

Verwechselst du da nicht etwas Ursache und Wirkung?

Ich schätze Mal, du bist um die 20? Falls ich richtig liege, denke ich, dass viele deiner Einsichten sich mit der Zeit verändern werden. Wobei ich über deine Antwort durchaus überrascht bin. Denn du beschreubst ja selbst sehr treffend, wie oberflächliche Menschen ticken. Sie machen aber nun Mal sie Masse aus und fühlen sich durch so einen hb Symbol belästigt.

LG,

Symbol

Zitat von Symbol:
Ich komme beisplw. aus einem anderen Land, spreche aber akzentfrei Deutsch. Sage ich das sofort beim Kennenlernen, werde ich ganz groß angeschaut und gefragt, warum ich denn so gut Deutsch spreche. Dann bin ich gezwungen meine Sprachbegabung einzugestehen und muss mir den Vorwurf der Angeberei gefallen lassen.


Bei mir liegt der gleiche Fall vor, aber mir hat man deswegen nie wegen Angeberei vorgeworfen. Im Gegenteil, ich wurde dafür bewundert, was mir aber unangenehm war.

Zitat von Schlaflose:

Bei mir liegt der gleiche Fall vor, aber mir hat man deswegen nie wegen Angeberei vorgeworfen. Im Gegenteil, ich wurde dafür bewundert, was mir aber unangenehm war.


Stimmt, Bewunderung kommt bei mir auch. Aber Bewunderung und Neid müssen sich nicht widersprechen. Ich werde auch nicht gerne bewundert.

Bist du auch hochbegabt?

Zitat von Symbol:

Stimmt, Bewunderung kommt bei mir auch. Aber Bewunderung und Neid müssen sich nicht widersprechen. Ich werde auch nicht gerne bewundert.

Bist du auch hochbegabt?


Was soll denn akzentfreies Deutsch mit Hochbegagung zu tun haben, wenn ich fragen darf? Da spielen so viele Faktoren mit hinein. In erster Linie ist die erfolgreiche Verschleierung der Sprachfärbung doch ein individuelles Talent. Darüber hinaus geben sich die meisten eben gar keine Mühe, oder erachten es als peinlich. Ich schätze das hält viele Menschen davon ab, akzentfrei zu sprechen. Mir war es in der Schule unangenehm akzentfrei Englisch oder Französisch zu sprechen (was mir durchaus sehr gut gelungen ist), weil meine Mitschüler das ziemlich seltsam fanden. Das hat dann was von der tut so, als wäre er Engländer/Franzose - und ich verwette einiges darauf, dass die meisten aus diesem Grund schon einige Mühen scheuen in der Hinsicht. Dann kommt die Muttersprache hinzu - ein/e Spanier/in wird sich tendenziell vieeeeeeeeeel schwerer tun, seinen Akzent zu verstecken, wenn er sich an bspw. Englisch versucht, als ein Deutscher. Etc. pp.

Und was soll Hochbegabung mit fehlender Oberflächlichkeit zu tun haben? Ich erachte die meisten großen Denker, die mir bekannt sind als äußerst oberflächlich.

Zitat von Symbol:
Bist du auch hochbegabt?


Nein, ich habe nur eine außergewöhnliche Sprachbegabung.

Hallo,

bezogen auf das Thema Oberflächlichkeit finde ich ein Zitat von Nietzsche aus der Vorrede der Fröhlichen Wissenschaft interessant, das eine ganz eigene Sichtweise auf das Thema eröffnet. Eine kleine Apologie der Oberflächlichkeit von einem Autor, der sicherlich nicht im Verdacht steht, ein oberflächlicher Geist gewesen zu sein. Habt ihr Gedanken zu diesen - sicher nicht ganz voraussetzungsarmen - Ausführungen?

Und was unsere Zukunft betrifft: man wird uns schwerlich wieder auf den Pfaden jener ägyptischen Jünglinge finden, welche Nachts Tempel unsicher machen, Bildsäulen umarmen und durchaus Alles, was mit guten Gründen verdeckt gehalten wird, entschleiern, aufdecken, in helles Licht stellen wollen. Nein, dieser schlechte Geschmack, dieser Wille zur Wahrheit, zur Wahrheit um jeden Preis, dieser Jünglings-Wahnsinn in der Liebe zur Wahrheit – ist uns verleidet: dazu sind wir zu erfahren, zu ernst, zu lustig, zu gebrannt, zu tief... Wir glauben nicht mehr daran, dass Wahrheit noch Wahrheit bleibt, wenn man ihr die Schleier abzieht; wir haben genug gelebt, um dies zu glauben. Heute gilt es uns als eine Sache der Schicklichkeit, dass man nicht Alles *beep* sehn, nicht bei Allem dabei sein, nicht Alles verstehn und wissen wolle. Ist es wahr, dass der liebe Gott überall zugegen ist? fragte ein kleines Mädchen seine Mutter: aber ich finde das unanständig – ein Wink für Philosophen! Man sollte die Scham besser in Ehren halten, mit der sich die Natur hinter Räthsel und bunte Ungewissheiten versteckt hat. Vielleicht ist die Wahrheit ein Weib, das Gründe hat, ihre Gründe nicht sehn zu lassen? Vielleicht ist ihr Name, griechisch zu reden, Baubo?... Oh diese Griechen! Sie verstanden sich darauf, zu leben: dazu thut Noth, tapfer bei der Oberfläche, der Falte, der Haut stehen zu bleiben, den Schein anzubeten, an Formen, an Töne, an Worte, an den ganzen Olymp des Scheins zu glauben! Diese Griechen waren oberflächlich – aus Tiefe!

Nietzsche war also nicht oberflächlich, gewagte Aussage. Mein Freund, Nietzsche hat sicher vieles repräsentiert, aber höchstwahrscheinlich wenig von dem, was er geschrieben hat. Wenn sich darin denn überhaupt ein klarer roter Faden erkennen lässt. Nicht umsonst ist er auf unwürdigste Art und Weise dahingerottet und verendet. Der Mann hatte keine Würde, war ein lebender Widerspruch und sicherlich auch ein oberflächlicher Mann wie fast jeder andere. Ich mag viele seiner Texte, aber für ihn waren Frauen Individuen, derer sich der Mann natürlicherweise zu ermächtigen hat - das spricht Bände. Für mich ist er ein widerwärtiger Mensch, aber ein wichtiger Denker.

Oh je, wieso magst du denn viele Texte dieses wichtigen Denkers, wenn er doch keine Würde hatte, ein widerwärtiger Mensch und ein oberflächlicher Mann war? Den roten Faden, den du bei Nietzsche nicht findest, könntest du dir auch mal zulegen.

Nun, ich stellte doch klar heraus, dass der Ton seiner Texte sich stark mit seiner eigenen Lebensweise und seinem Charakter beißt. Richtig lesen wäre mal angebracht. Nur weil ich ihn als einen widerwärtigen Menschen erachte, heißt das lange nicht, dass all seine Texte schlecht sein müssen. Ganz im Gegenteil. Seine Texte spiegeln in einigen Stücken wieder, was er gerne gewesen wäre - haben fast den Charakter von Phantasterei. Selbst war der Mann gebrechlich, oberflächlich bis ins Letzte, vermutlich ein Narzisst und ein Heuchler. Davon abgesehen, dass er nicht ganz dicht war.

Zitat:
Ich bin jemand, der sich gerne über Oberflächlichkeit bei anderen beklagt. Was ist Oberflächlichkeit für mich? Erstmal solche Aussagen, die mir zeigen, dass sich jemand für einen anderen Menschen gar nicht wirklich interessiert oder ihn nur in eine bestimmte Schublade steckt.


Inwiefern verkörpert ein Nietzsche diese Eigentümlichkeiten nicht sogar in herausragender Weise? Ein Mensch, der nicht im Ansatz das repräsentiert hat, was er dürftig als Herren-, Übermensch oder sonst was konturiert hat. Ein Mensch, der andere Menschen auf Potenziale reduziert und klassifiziert in solche, die Teil eines Progresses sind und ebensolche, die es hinter sich zu lassen, gar zu vernichten gilt. Inwiefern schaut hier ein Mensch in die Seele seines Nächsten? Ein Mensch, der jedem, der ihm irgendwann einmal etwas bedeutet hat irgendwann den Rücken gekehrt hat, weil er über alles und jeden hinausgewachsen zu sein glaubte. Nietzsche hatte gar kein Interesse an anderen Menschen als Menschen, sondern lediglich als gegenwärtige Inspirationen - die immer nur so gut waren, wie sie seiner gegenwärtigen Empfänglichkeit für deren Ideenwelten beliebten. Von wirklichem Interesse an den Menschen, deren Beweggründen, deren Gefühlswelt und Persönlichkeit kann gar nicht gesprochen werden. Deshalb hat Nietzsche auch all seinen lebendigen Freunden und Vorbildern den Rücken gekehrt und sich eigene Götzenbilder teils in der Vergangenheit, teils in seiner Phantasie geschaffen. Die konnte er schließlich nach eigenem Gusto auslegen und formen. Die Frauen in seinem Leben hat er mehr als Musen umschrieben als als lebendige Wesen, die Kompromissbereitschaft abforderten. Viel oberflächlicher als Nietzsche kann man nicht sein. Er hat viel geschrieben, wenn der Tag lang war und gefühlt jeden Satz, den er irgendwo einmal niederschrieb hat er vermutlich irgendwo wieder revidiert. Wirkliche Konsistenz oder eine strikte Enwicklung seiner Philosophie sucht man vergeblich. Nietzsche ist eher gut für Aphorismen und ich mochte vielmals auch die Stimmung und Gewalt, die seine Texte auszeichnen. Manches von ihm mag ich aber auch so gar nicht.

Und was fast der wichtigste Punkt ist, weil man das heutzutage allerorts in Menschen wiederfindet: Es gibt kaum etwas, was schlimmer, egoistischer und oberflächlicher ist, als in einem anderen Menschen immer nur das zu sehen, was derjenige sein könnte (nach der eigenen idealen Vorstellung) statt das in einem Menschen zu sehen, was er IST. Und es gibt vermutlich kaum jemanden, der diese narzisstische Denke so krass ausformuliert hat, wie Nietzsche. Daran scheitert jede zwischenmenschliche Beziehung. In diesem Sinne ist es kein Wunder, dass Nietzsche nach und nach immer krasser vereinsamt ist.

Das sehe ich anders. Das was sich ein Mensch zu sein vorstellt, ist ja gerade das, was ihn antreibt und dazu motiviert, etwas aus sich zu machen. Werde, der du bist war eines von Nietzsches liebsten Zitaten. Es geht eher um die Entwicklung der Persönlichkeit, nicht darum, irgendwen gegen seinen Willen in den Schmutz zu treten.

Ja, genau. Nietzsche hat was aus sich gemacht. Schönes Zitat, und ich unterstrich ja, dass Nietzsche das wurde, was er war. Ein narzisstischer, egoistischer, menschenfeindlicher, einsamer und letztlich geistig kranker Schaumschläger. Und für Entwicklung hatte Nietzsche nicht viel übrig, wenn sie ihm nicht passte. Aber ich sehe schon, mit wem ich hier diskutiere. Du bist ja auch kaum auf mich eingegangen. Gegen blinden Fanboyism werde ich nicht weiter anreden.

Danke. Dein letzter Kommentar spricht für sich.

A


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