Lieber M.
in unserer Familie ist genau das Gleiche passiert. Mein Onkel ist mit 21 völlig unerwartet verstorben. Auch bei ihm wäre es eigentlich zu vermeiden gewesen, so wie bei Deinem Bruder. Meine Mutter war in der gleichen Situation wie Du, meine Oma in der gleichen Situation wie Deine Mutter jetzt. Sowas kann man sich vorher nicht vorstellen, dass sowas passiert.
So schrecklich, wie es alles ist und so unerträglich, wie es sich anfühlt, so kann ich Dir doch sagen, dass dieser grauenhafte Schmerz auch wieder weggehen wird. Und so schlimm und schrecklich das alles jetzt ist, kann ich Dir zumindest erzählen, wie es meine Familie geschafft hat, das auszuhalten. Und der Hoffnungsschimmer ist Deine kleine Tochter. Auch bei uns gab es Enkelkinder für Oma, meine Mutter (sie war ja seine Schwester) hatte kleine Kinder.... Es musste irgendwie weitergehen. Selbst wenn man dann nur wie ein Roboter funktioniert, so kleine Kinder brauchen Dich dauernd. Und die Kinder haben meine Mutter und meine Oma quasi am Leben erhalten und sie auch durch ihre kindliche Bedürftigkeit und ihre kindliche verspielte Art gezwungen, wieder ins normale Leben zurückzukommen. Die Kleinen haben die so beansprucht, dass die keine Möglichkeit hatten, an diesem Verlust zugrunde zu gehen.
Es tut mir sehr, sehr leid für Deinen kleinen Bruder und für Deine Familie und für Dich sowieso. Noch dazu, da Du schon so lange gekämpft hast für eine gute Verfassung. Ich kann Dir nicht den Schmerz nehmen, nur Trost geben, Dir Hoffnung für die Zukunft mitgeben. Andere haben es vor Euch geschafft und Eure Familie und Du werden es auch schaffen. Ich habe Dir eben gesagt, wie es geht, wie der Weg aussehen wird. Viele Menschen sind angeschlagen und dann kommt noch so ein Hammer und sie denken, es geht nicht mehr. Und dann geht es doch weiter. Auch ich habe sowas oft erlebt. Es ist oft zum Verzweifeln im Leben und man muss sich von Menschen trennen, wo es einem das Herz dauernd rausreißt und nicht einmal. Man denkt, es hört nie auf.
Wenn es Dir gar zu dreckig geht, lass' Dir vom ärztlichen Bereitschaftsdienst Tavor verschreiben. Denen würde ich kurz die Situation schildern, die können da schon helfen. Für ein paar Tage mal auf Beruhigungsmittel zurückzugreifen kann man machen, wenn man wie Du so eine Vorgeschichte hat. Der Schmerz ist groß und ein paar Tage kann man ihn ein bisschen wegdrücken. Vielleicht wäre auch Deine Mutter um so eine Entlastung froh? Du kannst sie ja fragen. Manche Menschen sind regelrecht froh, wenn man ihnen ein Medikament anbietet und andere lehnen es strikt ab. Du kennst Deine Mutter gut und ich halt nicht. Es wäre aber vielleicht eine Möglichkeit, ihr ein bisschen zu helfen. Schlaftabletten sind manchmal auch vonnöten, weil man sonst gar nicht mehr ausruhen kann.
In solchen Zeiten rücken Familien zusammen. Und jede Familie geht da ihren Weg.
Es tut mir sehr leid. Das ist unfassbar und das wird es auch lange bleiben. Da gibt es auch nichts schön zu reden. Aber auch wenn sie weg gehen, man behält diese Menschen, die man verloren hat, für immer bei sich. Man lässt sie nie wirklich los. Sie bleiben präsent.
Ihr konntet Euch halt gar nicht darauf vorbereiten, Euch auch nicht bewusst von ihm verabschieden. Das trifft wie ein Vorschlaghammer. Und so fühlt es sich auch an.
Man kann es leider nicht ändern und das ist sooo bitter. Und jetzt ist die Zeit, zu trauern und da muss man gar nichts, außer es ertragen, bis es besser wird. Und für die Zukunft wünsche ich Dir und Deiner Familie viel Kraft! Ich habe bei meinen Lieben, die ich gehen lassen musste, immer gesagt, dass ich sie an einem besseren Ort wiedersehe. Und daran glaube ich und weiß, dass so kommt, weil ich ein Nahtoderlebnis hatte und eigentlich weiß, dass dort, wo man landet, ein wunderschöner Ort ist. Vielleicht hilft Dir das, wenn Du weißt, dass es kein Abschied für immer sein wird und dass es Deinem Bruder jetzt gut geht, wo er ist? Ich denke auch, dass uns unsere Angehörigen sehen von dort, wo sie dann hingegangen sind.
Mein aufrichtiges Beileid für Dich und Deine ganze Familie!
Kosmos
11.02.2023 23:10 •
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