Servus,
Zitat von wanderndelaus8: Mir sagte mal jemand: Leute die keine Freunde haben, gibt es sehr viel mehr als umgekehrt und nur ein Bruchteil geht abends in Clubs feiern - die Meisten bleiben daheim und meist allein.
Ob diese Aussage stimmt, weiß ich nicht, aber es würde mich nicht wundern. Insbesondere die moderne deutsche Gesellschaft empfinde ich als eine Macher-, Könner- und nicht zuletzt eine Gehorsamsgesellschaft. Diese Kombination führt zu einer pseudofürsorglichen Politik, die in ihrer (sichtbaren) Oberflächlichkeit nahezu sämtliche Strukturen durchzieht - bis hin zu den kleinsten sozialen Gruppen: Paare, Familien, Freunde, Arbeitskollegen.
Wir geben vor, gerecht, sozial, mitfühlend, ethisch und rücksichtsvoll zu sein, doch sämtliche dieser ursächlich wünschenswerten Eigenschaften sind im Großen politischen und wirtschaftlich Ganzen nur vorgetäuscht. Das Narrativ des erfolgreichen Bürgers durchdringt die Psyche und das Selbstverständnis eines Großteils unserer Gesellschaft. Indem wir uns angewöhnt haben,
als Gesellschaft zu denken, folgen wir Leitlinien,
wie ein Leben auszusehen hat.
Dazu gehört:
Zitat von wanderndelaus8: Humor muss man haben und die betreffende Person zum lachen bringen und selbst attraktiv genug aussehen.
Und viele andere Parameter, die den Leitlinien entsprechen.
Nicht dazu gehören: Alter, Armut oder das Prekariat, Einsamkeit, Verzweiflung, Krankheit uvm. - alles Zustände, die man nicht sehen darf, denn sie würden den sogenannten Lebensgenuss des (vermeintlichen) Großteils der Gesellschaft beeinträchtigen.
Insofern darf man uns getrost als Leistungsgesellschaft betiteln. Und wer auf der - mehr oder minder temporären - Sonnenseite derselben steht, wischt die ab und an nach oben durchsickernden Geräusche der Realität mit nur vordergründig wohlgemeinten Kommentaren oder Tipps beiseite. Damit kann ein Betroffener ebensoviel anfangen wie ein Zahnloser mit einem Kaugummi. Die Tipps und sogenannten offiziellen Hilfsangebote sind insgesamt eher auf eine Entlastung des kollektiven Volksgewissens abgestimmt als auf die echten Bedürfnisse derer, die sich - aus welchen Gründen auch immer - in diesen Formaten nicht zurecht finden. Was bleibt, ist dann vermeintlich mitleidiges Schulterzucken derjenigen, die meinen, alles getan zu haben...
Zitat von wanderndelaus8: Was mir auffällt ist, dass Leute lachen wollen. Ich kann niemanden zum lachen bringen. Eher auslachen. Was mir auch auffällt, ist, dass wenn ich Frauen nicht zum Lachen bringen kann, dann machen sie sich über mich lustig um sich zu amüsieren.
Auch der Clown will die Menschen zum Lachen bringen, um ihre Traurigkeit zu übertünchen und sie nicht ansehen zu müssen. Darin sind sich Clown und Publikum einig.
Nur der Kassierer und die Putzfrau stehen im Dunkeln und blicken realistisch auf die Vorstellung.
Im Rahmen dieser (vermeintlich) betrüblichen Inventur möchte ich nun die
Aktivposten nennen - denn es gibt sie tatsächlich.
Einer davon bist zum Beispiel
Du, @wanderndelaus8. Du bist einer derjenigen, die NICHT in der Vorstellung mitmachen. Ob Du das bewusst nicht
willst oder nicht
kannst, sei mal dahingestellt. Du
tust es
nicht - Punkt. Das bedeutet, dass Du zwar von den Leitlinien tangiert wirst, indem Du ihnen NICHT entsprichst, aber
dadurch auch etwas Besonderes, Auffälliges darstellst. Einen Gegenpol sozusagen. Mehrheiten, die noch dazu für sich medial belohnt werden, können mit Gegendarstellungen nicht umgehen. Sie sind Widerstand nicht gewohnt. Und wie reagiert jemand, der nie Widerstand erfahren hat (weil er sich frühestzeitig ins System eingefügt hat) auf sowas? Mit Verurteilung - denn der Rückendeckung seiner Gesellschaftsseite kann er sich mehrheitsbedingt sicher sein. Das beginnt im Kindergarten und endet in Vorstandssitzungen und Bundestagsdebatten.
Ich befinde mich z. B. schon seit einigen Jahren auf dieser Aktivpostenseite, die zwar offiziell immer noch (und sogar seit Corona mehr denn je!) als Minderheit deklariert wird. Doch im Unterschied zu früher
nehme ich mich heute als aktiv und positiv
wahr. Von heute auf morgen ging das nicht.
Mir sind einige Forenkontakte hier weitaus wertvoller geworden als die damaligen (vermeintlich) existenzsichernden Geschäftsfreundschaften (die realistischerweise nichts anderes als Seilschaften waren). Ich habe in der Suchtambulanz der örtlichen Caritas und anderen Selbsthilfegruppen meinen individuellen und gesellschaftlichen Wert erkennen dürfen, habe dadurch, dass ich meinen Stolz und meine selbst gesteckten engen Rahmenbedingungen abgelegt habe, mit erst 39 meine erst zweite, aber diesmal absolut passende Partnerin gefunden, habe die Freude am einfachen Leben entdeckt, die lediglich einige Jahrzehnte geschlummert hat usw.
Tatsächlich brauchen wir ab und an Hilfe von außen. Das müssen aber nicht immer gleich Therapeuten oder Institutionen sein. Ein Forum, ein einziger liebenswerter Mensch in einer Selbshilfegruppe oder deren Leiter, ein nettes Wort in der Bäckerei - egal wie gering manche Begebenheit auf den ersten Blick scheinen mag: im richtigen, achtsamen Empfang desselben kann sich tatsächlich das ganze Leben zu ändern beginnen. Stück für Stück, nach Deinem gewählten Tempo.
Doch um dieses Phänomen tatsächlich zu erleben, braucht es einen
Aktivierungsposten - der ist immer da und letztendlich völlig unabhängig vom Außen. Dieser Aktivposten bist
Du. Willkommen im Club der aktiven Außenseiter