Hallo Zi-zi,
es freut mich sehr, dass Du gestern gute Gespräche mit Deiner Psychiaterin und der Neurologin hattest !
Was die Neurologin sagt, finde ich sehr gut. Ich hätte Dir aus meiner Erfahrung aus Patientensicht heraus ähnliches geraten: erstmal MRT machen und Nervenleitgeschwindigkeit messen lassen, elektrisch-evozierte Potentiale... Ich würde alle Untersuchungen, die den Verdacht erhärten können, unbedingt vorschalten. Diese Untersuchungen sind recht harmlos und können einen soliden Verdacht bestätigen, der dann eine eventuelle Lumbalpunktion rechtfertigen kann (ich formuliere das erstmal so vorsichtig). Oder halt auch, wenn es einfach zu wenig Anhaltspunkte gibt, eben auch nicht.
Du hast mir ein paar Fragen gestellt, auf die ich Dir gerne antworte. Ich möchte aber vorwegschicken, dass ich Dir ehrlich antworten möchte. Ich weiß, dass Du Angst hast, und ich nichts würde ich lieber tun, als einfach alles schönzureden und schwierige Aspekte wegzulassen. Nur glaube ich inzwischen nicht mehr daran, dass das sinnvoll oder hilfreich wäre. Nach ca. 10 Jahren Erfahrung mit der Erkrankung hat sich meine Sicht auf einige Aspekte dieser Erkrankung und der Diagnostik verändert, früher habe ich hier und da anders gedacht.
Darum ein paar Punkte vorweg (alles aus der laienhaften Sicht einer betroffenen Patientin):
Ja, nach allem, was Du geschrieben hast, denke ich nach wie vor, dass eine andere Erklärung als MS für Deine Symptome durchaus wahrscheinlich ist.
Und ja, trotzdem halte ich es durchaus nach wie vor für möglich, dass Du diese Erkrankung haben könntest. Bei mir haben vor der Diagnose auch alle gesagt Ach, wird schon nichts sein, auch die Ärzte. Rückblickend hat sich das für mich nicht gut angefühlt, warum, weiß ich nicht genau. Die Ängste ließen sich dadurch nicht nachhaltig beruhigen, das konnten nur die Untersuchungen (auch Gewissheit kann beruhigend sein). Ich habe zwar einerseits gespürt, dass etwas mit meinem Körper nicht stimmte, wusste aber zu dem Zeitpunkt auch schon, wie mächtig die Psyche ist, wie heftig auch rein psychosomatische Beschwerden und Stressreaktionen sein können. Inzwischen habe ich erlebt, dass es manchmal nicht entweder-oder ist, dass man auch beides haben kann. Seither versuche ich immer, einen Mittelweg zu finden, alle Möglichkeiten ernstzunehmen, ohne dabei in übertriebene Panik zu verfallen. Das gelingt mir nicht immer, aber ich versuche, daran zu arbeiten. Früher war mir eine solche Abwägung (auch durch die Borderline PS) nicht möglich, durch die Therapie arbeite ich verstärkt daran, meine Möglichkeiten differenzierter Wahrnehmung zu verbessern und zu trainieren, ohne dabei emotional zu sehr hochzuschießen.
Das ganze Thema Lumbalpunktion ist schwierig. Erstmal die Antwort auf Deine Frage vorweg: Ja, ich habe sie machen lassen. Ich wollte damals die Gewissheit haben.
Leider kann ich Dir Deine Angst vor der Untersuchung nicht wirklich nehmen. Ich weiß, dass es auch viele Patienten gibt, bei denen sie problemlos verläuft, aber es gibt halt auch die, bei denen es Probleme gibt. Bei mir gab es Probleme. Viele. (Das einzig Positive: Soweit ich weiß, gab es bei mir keine Langzeitschäden.) Darum argumentiere ich jetzt nicht gegen die Lumbalpunktion, aber ich habe die Erfahrung gemacht, dass man diese Untersuchung auf keinen Fall unterschätzen und nur bei gut begründetem Verdacht machen lassen sollte. Ich halte nichts davon, diese Untersuchung kleinzureden, wie es oft passiert, ich glaube, man sollte wissen, worauf man sich einlässt. Ich war im Nachhinein echt sauer auf meinen damaligen Neurologen, der die Untersuchung im Beratungsgespräch bagatellisiert hat. Jeder Patient, der sich damit beschäftigt und den Aufklärungsbogen liest, macht sich erstmal Sorgen, aber er hat so getan, als sei das alles Hysterie.
Trigger
Ich war damals noch etwas unkritischer in Bezug auf Untersuchungen und Medikamente, habe einfach alles gemacht und alles genommen, was mir Ärzte so verschrieben haben, ohne mir groß Gedanken darüber zu machen. Darum habe ich auch dem damaligen Neurologen vertraut, der meinte, dass wir die Lumbalpunktion ambulant in seiner Praxis machen könnten. Das ist mal so RICHTIG schiefgegangen.
Ich kam direkt ins Krankenhaus, dort wurde die Untersuchung dann wiederholt. Die Kopfschmerzen waren so brutal, ich hatte mehrer Tage das Gefühl, man hätte mir eine A.xt in den Schädel gerammt. Zum Glück war ich im Krankenhaus, zu Hause hätte ich das nicht geschafft. Hinzu kam, dass ich zu dem Zeitpunkt einen massiven Herd am Stammhirn hatte, aufgrund dessen ich 5 Tage an den Kortison-Tropf gehängt wurde, der mich zusätzlich umgehauen hat. Es war wirklich heftig.
Trotz allem bin ich nicht gegen diese Untersuchung, für mich persönlich war sie wichtig und hat mir Sicherheit gegeben.
Aber ich kann all die Patienten gut verstehen, die für sich entscheiden, diese Untersuchung (trotz der damit verbundenen Unsicherheit in Bezug auf die Diagnose) nicht machen zu lassen.
Für mich war die Sicherheit damals wichtig, gerade auch, weil meine Symptome nicht gerade MS vermuten ließen. Diese Erkrankung hatte ich gar nicht auf dem Radar. Ich dachte, ich hätte einen Hörsturz, konnte auf der einen Seite nichts mehr hören, die eine Gesichtshälfte war taub. Als mein HNO-Arzt sich dafür entschuldigte, dass er nichts finden könne und dass es ihm leid täte, mich zu Neurologen schicken zu müssen, war ich noch immer ahnungslos. Der Neurologe hat zuerst auch eine stressbedingte nervliche Überlastung vermutet, sagte, er würde zur Sicherheit ein MRT anordnen, würde aber nicht davon ausgehen, etwas zu finden. Überraschung Nr. 1: Es wurde etwas gefunden. Ein massiver Herd am Stammhirn. Dann folgte die Lumbalpunktion, um die Diagnose abzusichern oder auszuschließen. Überraschung Nr. 2: Diagnose wurde bestätigt.
Aber das ist natürlich nicht der Normalfall. Oftmals geben die Untersuchungen Entwarnung, ich hatte einfach nur Pech, gehörte zu den wenigen Patienten, wo die unwahrscheinliche Möglichkeit leider zutraf.
Was ich damit sagen möchte: Es kommt vor. Aber es ist trotzdem eher selten. Ich hatte einfach Pech.
Sowohl mit der Diagnose als auch mit der Lumbalpunktion.
Wie ich eingangs schrieb, ich wollte Dir ehrlich und ungeschönt auf Deine Fragen antworten.
Ich glaube trotz allem, dass bei Dir alle gut werden wird!
Und ich wiederhole auch nochmal, was ich in meinem ersten Beitrag schrieb: Selbst falls es auch bei Dir zutreffen sollte, ist das nicht das Ende der Welt und Du wirst einen Weg finden, damit umgehen zu können!
Du gehst die Diagnostik mutig an, und das ist echt tapfer und wird Dir schnell weitere Erkenntnisse bringen . Den Kopf in den Sand stecken hätte Dir auf lange Zeit mit Deinen Ängsten nicht geholfen. Du stellst Dich der Sache, das ist super!
Ich wünsche Dir einen schönen Sonntag und für Montag drücke ich Dir alle Daumen für die Untersuchungen !
Ganz viel Kraft,
LG Silver