Servus Niko,
vorab schlage ich eine Differenzierung zwischen
Gefühlen und
Emotionen vor (die m. W.
so nicht therapeutisch gelehrt wird):
Chronologisch stehen Emotionen hinter den Gefühlen, d. h. - flapsig ausgedrückt -
das Gefühl war zuerst da. Emotionen sind
abhängige, also bedingte Produkte aus: Sinneseindrücken (zu denen auch Gedanken gehören!), Gefühlen, Wahrnehmung, aktiver geistiger Gestaltung (Denken) und Bewusstsein (Ich bin).
Emotionen stehen also niemals für sich allein. Sie haben, genau betrachtet, auch keinen (einzigen) Auslöser, sondern sind, wenn man es materialistisch ausdrückt,
Nebenprodukte. Nichtsdestotrotz hängen sie mit uns also unserer Egoidentität zusammen.
Zitat von NikoXP: Meine Therapeuten erklären mir, dass Emotionen einfach kommen und gehen. Sie sind zunächst stark, dann schwächen sie von alleine ab, wenn man sie nicht mit seinen Gedanken festhält. Teilweise.
Das ist ein klassischer Aspekt der Verhaltenstherapie und die Tatsache, dass Emotionen temporär, also vergänglich sind, trifft natürlich zu. Und immer wenn dieser Punkt ins Feld geführt wird, heißt es, man solle
sich damit
nicht identifizieren.
Hört sich dann auch einleuchtend an: Ich bin nicht
meine Gedanken / Ich bin nicht
meine Emotionen. Aha!: also,
meine Gedanken und Emotionen sind es dann schon, oder wie?
Zitat von NikoXP: Einfach dann dazusitzen, ein bisschen ein- und auszuatmen, bis sich die Emotion verabschiedet, erschien mir bislang schwer und kontraintuitiv, besonders wenn (siehe meine anderen aktuellen Themen) sie sich auch intensiv auf körperlicher Ebene äussern.
Wenn man die Emotion als ein von sich separiertes Objekt sehen
will (und das aber nicht kann!), ist es doch nur folgerichtig, dass es nicht funktioniert. Die Verhaltenstherapie will uns ja von Emotionen sozusagen unabhängig machen, vergisst aber stets, zu erklären, was denn wir eigentlich (dann noch) sind bzw. was denn (dann noch) übrigbleibt...
Zitat von NikoXP: Immer, wenn ich eine (sehr) unangenehme Emotion spüre, wie Angst, Verzweiflung etc - denke ich, dass mein Geist und Körper mit mitteilen möchte, dass ich etwas an meiner aktuellen Situation ändern sollte.
An dieser Stelle möchte ich behaupten, dass es zwar eine Unmenge an Emotionen gibt, jedoch nur dreierlei (eigentlich nur zweierlei) Gefühle:
- angenehm
- unangenehm
- weder noch bzw. indifferent (bzw. eine Mischform aus angenehm und unangenehm)
Bei jedem Sinneskontakt (z. B. auch Gedanken)
mit-entsteht unmittelbar eine dieser drei Gefühlsvarianten.
Das ist akut nicht verhinderbar oder zu verändern. Das muss man wissen und erstmal so akzeptieren!
Was veränderbar ist, ist der nun folgende Ablauf (der übrigens idR ähnlich schnell vonstatten geht): Wahrnehmung, Bewertung, die Bildung einer Meinung/Haltung dazu - und
dann erst sehr oft eine Emotion. Dieser Ablauf findet nahezu ununterbrochen statt und wir (das Bewusstsein) nennen es unser Leben: das, was wir hier als einzelne Bausteine betrachten, ist das woran wir (also die Illusion eines Ichs)
anhaften.
Ein Hauptgrund für diese Anhaftung ist der
Eindruck, dass es ein stabiles Ich gibt. Der o. g. Ablauf ernährt sich ständig neu - durch Wollen und Nicht-Wollen. Und genau hier kommt nun der springende Punkt:
Bei einem
angenehmen Gefühl will ich mehr davon. Ich will die es bedingenden Sinneskontakte genießen, erhalten bzw. wiederholen.
Bei einem
unangenehmen Gefühl will ich weg davon. Ich will der Situation (den Sinneseindrücken) entfliehen und verhindern, dass sie wieder eintreten.
Das Leben fast aller Menschen (und Tiere) läuft unterm Strich genau so ab. Natürlich gestaltet sich so ein Menschenleben deutlich komplexer, je nach Kultur und sozialem Gefüge. Aber letzten Endes will jedes (Ego-)Wesen angenehme Gefühle erleben und unangenehme Gefühle verhindern. So einfach - und letzten Endes primitiv ist das.
Beispiele hierfür:
Zitat von NikoXP: Merke ich z.B. Traurigkeit, will ich immer sofort mit jemandem sprechen oder in Gesellschaft gehen (voll anstrengend).
Spüre ich Angst, möchte ich mich immer möglichst schnell zurückziehen, um mich sicher zu fühlen (auch blöd eigentlich).
Nun zu Deiner Frage:
Zitat von NikoXP: Sind meine Emotionen a) ein Zeichen dafür, dass vergangene Situationen verarbeitet werden und diese einfach gespürt werden müssen? Oder sind sie b) ein akutes Signal für Handlungsbedarf auf das ich unmittelbar reagieren sollte?
Definitiv
a). Und zwar gleich in mehrfacher Hinsicht:
1. Emotionen sind ja nichts anderes als Behelfe, um Sinneseindrücken, die
besonders intensiv gefühlt (s. o.) werden, zu begegnen, also zu verarbeiten, wie man so schön sagt. Emotionen sind das Notwerkzeug des - mit Verlaub -
unwissenden (verblendeten) Egos. Sie entstehen erst, wenn das Kind bereits in den Brunnen gefallen ist. Trotzdem kann es überhaupt nicht schaden, genau diese Emotionen mal in vollem Umfang
rauszulassen. Beachte dabei übrigens den netten Fakt, dass Emotionen nicht von irgendwoher kommen, sondern sie werden aktiv - s. o. -
mit-erzeugt.
2. Dieses einfach Spüren ist in der Tat ein sehr wichtiger Faktor. Es geht dabei nicht darum, die Tiefe des Leides zu erleben, sondern die
offensichtliche Notwendigkeit, sie erzeugt zu haben. Im Idealfall sollten wir in diesem Zuge erkennen,
warum wir leiden. Und hier geht es nicht um die damit in Zusammenhang stehenden Sinneserlebnisse sondern um das Erkennen der Struktur des Geistes. Ich glaube, ich habe Dir in einem anderen Thema mal einen Link aus meinem Kontemplations-Thread geschickt. Falls nicht, kann ich den nochmal reinstellen.
Zitat von NikoXP: In meiner Vergangenheit habe ich quasi alle negativen Emotionen unterdrückt. Nun habe ich den Eindruck, dass die sich einfach nach und nach mit ziemlicher Wucht zeigen wollen. Wenn a) zutrifft, müsste ich einfach geduldig ausharren und fühlen, bis sich die Emotionen gelegt haben und verarbeitet wurden. Wenn b) zutrifft (und das habe ich bislang immer angenommen), würde die Emotionen mir jetzt sagen wollen, dass ich z.B. in einer unpassenden Umgebung bin, zu wenig geschlafen habe, das Falsche gegessen oder sonst was nicht so gemacht habe, wie es mir gut tun würde.
Eine sehr wichtige Einsicht, die Du da gewonnen hast! Ich würde mir das als Merkposten, als vorübergehende Haupteinsicht aus Deiner Therapie tatsächlich aufschreiben und irgendwo hinpinnen.
Ja, die Emotionen können heftig, z. T. unangemessen erscheinen - denn die Situation, die sie heute letzten Ende auslöst, ist (vermeintlich!) lange her bzw. weit weg. Ist sie aber nicht - sie ist da, im Geist - weil sie, wie Du sagst, unterdrückt wurden. Eigentlich hast Du nicht die Emotionen unterdrückt, sondern die Themen. Du hast sie vergraben und was man vergräbt, schlägt Wurzeln.
Erlebe die Emotionen vollumfänglich, gib Dich ihnen hin - sie sind Dein Notwerkzeug, dass Du nun endlich nutzen kannst! Und natürlich werden sie abflachen, aber das sollte nicht Dein Ziel sein. Lass sie sich auskotzen, bis Du die Lust daran verlierst. Wut und Trauer haben auch ein wenig mit Lust zu tun - aber das wäre wieder ein anderes Thema.