Ich bin in einer Situation, die nach außen recht geordnet und gewöhnlich aussieht.
Ich bin 38 Jahre alt, verheiratet, habe einen Sohn und wir bekommen im Herbst unser zweites Kind. Meine Frau und ich haben gute und sichere Jobs und die kleine Doppelhaushälfte, in der wir leben ist abbezahlt. Meine Frau ist derzeit im Mutterschutz und wird danach (auf eigenen Wunsch) mindestens ein Jahr Elternzeit nehmen. Ich selber werde zwei Monate Elternzeit nehmen und noch den ein oder anderen Monat Überstundenabbau und Urlaub, um die Zeit zwischen der Rückkehr in den Job meiner Frau und dem Beginn der KiTA des zweiten Kindes (so mit 1,5 bis Jahren etwa) zu überbrücken, Eingewöhnung zu machen, etc.
Aber ich schweife ab - das sind nur unwichtige Details.
Eigentlich sollte mich die baldige Geburt des zweiten Kindes beschäftigen, ich sollte mich darüber freuen, wie sich das erste Kind entwickelt, ich sollte mich an meiner Arbeit erfreuen und mich bemühen, vor der Geburt eine positives Klima der Geborgenheit zu schaffen.
Leider gelingt es mir nicht - im Gegenteil.
Mich beschäftigen im negativen Sinn meine Ehe und meine Arbeit und ich denke, dass in beiden Fällen ich das Problem bin. Das fatale ist, dass ich in keiner Weise motiviert bin, es zum Positiven zu ändern, sondern am liebsten alles hinschmeissen und weglaufen würde. Dass dies so ist bereitet mir schlimme Schuldgefühle, denn als Vater sollte ich jetzt einfach funktionieren.
Meine Arbeit:
Ich bin, wie schon geschrieben in der äußerst komfortablen Situation, einen guten und sicheren Job zu haben. Ich bin an diesen Punkt in meiner beruflichen Laufbahn gekommen, weil ich als verlässlicher und verträglicher Kollege eingeschätzt werde. Ich habe keine Ambitionen, sondern möchte einfach nur solide Arbeit in einem möglichst netten Team leisten.
Ich war immer schon jemand, der sein Potenzial nicht ausgeschöpft hat, sondern Stabilität und geordnete Bahnen gebraucht und gesucht hat. Ambitionen jeglicher Art sind mir fremd. Ängste haben immer schon eine gewisse Rolle gespielt, aber sie sind gekommen und gegangen und am Ende waren immer alle zufrieden: Chefs, Kollegen, die Familie und bis zu einem gewissen Punkt ich selber auch.
Jetzt gerade und auch schon die letzten Monate bin ich leider in einer Phase der Angst gefangen. Ich bin seit Jahresanfang in einem neuen Bereich und habe eine halbwegs gute Einarbeitung bekommen, die aber natürlich nicht in die Tiefe gegangen ist. Ich werde in dem Bereich auch nur zwei Jahre bleiben, so dass ich nicht zum Experten werden muss, sondern es genügen sollte, wenn ich einfachere Dinge fleissig wegarbeite. Die gestellten Aufgaben sind allerdings bisweilen komplex und schwer zu verstehen und ich bekomme es nicht hin, mir die schaffbaren Teile herauszupicken. Bzw. sind die schaffbaren Dinge immer schnell weggearbeitet. Der Kollege, mit dem ich arbeite und der gut bescheid weiss ist gerade im Urlaub. Aber auch wenn er da ist, bin ich immer in Angst etwas nicht zu schaffen, da er als Experte auch noch viele andere Dinge zu tun hat und ich mich nur selten mit ihm austauschen kann. Team und Chef wissen darüber bescheid, dass ich nicht alles kann und auf den Kollegen angewiesen bin. Ich versuche das transparent zu machen. Dennoch tickt die Uhr, die geplanten Aufwände sind einfach da und ich liefere nicht die erwartete Leistung. Ich bin so in meiner Angst gefangen, dass ich einfach nicht in einen Modus komme, in dem ich mich (langsam aber stetig) herantaste, wie ich es sonst mache. Es wird sicher besser, wenn mein Sparringspartner wieder da ist, rede ich mir ein. Aber die Angst werde ich irgendwie nicht mehr los und er wird ja immer mal wieder nicht verfügbar sein.
Meine Familie:
Ich liebe meinen Sohn. Und ich freue mich so sehr auf das zweite Kind.
Und während ich das schreibe, habe ich Tränen in den Augen, aber das war es. Mit meiner Frau verbindet mich nichts weiter. Nichts. So fühlt es sich an.
Wenn man genau darüber nachdenkt, hatten wir uns schon vor dem ersten Kind nichts mehr zu sagen. Auch schon vor der Heirat nicht und vermutlich auch vor dem Hausbau nicht. Natürlich muss ich mich fragen, warum ich es so weit habe kommen lassen, aber ist das jetzt noch wichtig?
Ich bin trotz Frau und Kind einsam. Meine Frau interessiert sich nicht für mich. Auch das oben geschilderte Problem mit meiner Angst interessiert sie nicht. Sie weiss natürlich davon, weil ich manchmal nicht mehr anders kann, als davon zu erzählen. Sie sagt einfach nichts dazu. Ich weiss auch nicht, wann sie mich das letzte mal von sich aus in den Arm genommen hat, oder von ihr ein Kuss ausgegangen ist.
Ich stehe jeden Morgen um 6 Uhr auf, dank Homeoffice und Corona sitze ich spätestens um 7 am Schreibtisch. Mittags essen wir zusammen, reden über unseren Sohn oder ihren Job (von dem sie auch im Mutterschutz keinen kompletten Abstand nimmt). Irgendwann, meist so zwischen 16 und 17 Uhr mache ich Feierabend. Wir wechseln ein paar Worte, klären meistens etwas, das Kind oder Schwangerschaft betrifft. Ich frage, wie es ihr und ihm geht, mich fragt niemand irgendwas. Danach will mein Sohn beschäftigt werden. Ich gebe mir alle Mühe, ihm gerecht zu werden. 18 Uhr essen, 19 Uhr Kind ins Bett bringen (das machen wir immer abwechselnd). Da das manchmal lange dauert und ich auch hin und wieder einschlafe ist dann im Schnitt um 20 Uhr Feierabend. Danach meist keine gemeinsamen Dinge mehr. Es gibt oft etwas zu klären (Haus, Versicherungen, Anschaffungen), aber ob wir uns darüber unterhalten und wer sich darum kümmert hängt ausschließlich von meiner Frau ab. Was mir wichtig ist oder auf dem Herzen liegt, wird nicht thematisiert oder einfach ignoriert, wenn es doch zur Sprache kommt. Vieles tut sie mit den Worten da habe ich gerade keinen Kopf für ab. Auch wenn man es nach einigen Tagen erneut anspricht.
Ich muss zugeben, dass mir auch einiges im Zusammenleben auf die Nerven geht. Wer sich worum kümmert. Wer wann putzt und einkauft. Wer welche Erledigungen macht. Aber das ist jetzt gerade nebensächlich, weil in der Schwangerschaft sowieso andere Regeln gelten. Davor habe ich gefühlt viel mehr als die 50% gemacht, die mir richtig vorkommen würden, obwohl ich Vollzeit arbeite und meine Frau Halbtags arbeitet.
Mit meinem Sohn verbringe ich viel Zeit und ich bin (auch wenn ich arbeite) in alles stark eingebunden: Anziehen, Zähne putzen, KiTa, Spielen. Als er etwa ein Jahr alt war und meine Frau wieder angefangen hat zu arbeiten war ich etwa ein Jahr mit ihm zuhause. Er ist trotzdem sehr auf seine Mutter fixiert. Dazu bin ich auch der strengere und strukturiertere Part, so dass es sehr lange gedauert hat, bis ich für ihn einen gewissen positiveren Stellenwert bekommen habe. Trotzdem ist er natürlich im Zweifelsfall lieber bei seiner Mama, als bei mir.
Was jetzt die Frage ist? Ich weiss es nicht.
Ich habe Angst vor Verantwortung (vor allem im Job) und ich spüre in meiner Familie keinen Rückhalt. Ich fühle mich unfähig und allein, muss aber für meinen Sohn (und das Kind, das noch kommt) irgendwie ein positives Umfeld gestalten. Gleichzeitig habe ich die Verbindung zu meiner Frau verloren und ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, wie das jemals wieder positiv funktionieren kann. Liebe weg, Vertrauen weg, Zuneigung weg, körperliche Nähe weg.
Natürlich weiss ich, was die Lösung ist.
Aussprache mit meiner Frau.
Wir suchen uns gemeinsam Hilfe.
Für das Wohl der Kinder raufen wir uns zusammen.
Ich habe dafür nicht die Kraft. Ich kann das nicht. Und eigentlich will ich das nicht.
Gibt es keine andere Möglichkeit?
Irgendwas einfaches?
Auch die Antwort kenne ich.
18.08.2021 12:45 • • 27.08.2022 x 2 #1