App im Playstore
Pfeil rechts
4

Hallo zusammen,

vorweg gesagt: ich möchte meinen Namen nicht öffentlich nennen, ihr könnt mich Byrd nennen.
Ich habe lang überlegt ob ich euch meine Geschichte erzählen soll oder nicht. Der Druck ist aber zu groß geworden, als wenn ich noch weiter schweigen könnte.

Die Geschichte ist lang aber ich würde mich freuen, wenn ihr euch die Zeit nimmt. Ich würde mich außerdem über einige Antworten freuen, da ich dann sehe, dass ich wahrgenommen werde. Lasst euch bitte nicht von der Länge abschrecken.

Ich möchte eine große Masse ansprechen, weiß aber leider nicht wie und wo.

Ich bin mittlerweile 22 Jahre alt. Als ich 10 war wurde bei mir eine aggressive Form der Muskeldystrophie festgestellt. Diese Krankheit kann man in zwei Sätzen beschreiben:

· Die Muskeln werden immer schwächer, sodass man sich irgendwann so gut wie gar nicht mehr bewegen kann.

· Die Krankheit nimmt dem Betroffenen alles – alles was er liebt und sich je erträumt hat.

Die Auffälligkeiten dieser Krankheit zeigten sich früh. Ich fiel oft hin, konnte mich schlecht bewegen, konnte nicht laufen. Die Schule war ab der ersten Klasse ein Martyrium. Der Umstand, dass ich sehr schlecht im Sport war (wir wussten da noch nichts von der Krankheit) isolierte mich sehr schnell. Während allesamt aus meiner Klasse zusammen auf dem Pausenhof spielten, saß ich allein auf der anderen Seite des Hofes und beobachtete sie. Wie sagt man oft? Kinder können grausam sein. Ich verübele es ihnen nicht, denn ich weiß nicht ob ich es nicht genauso getan hätte.

Selbst Lehrer scheuchten mich hin und her, lachten über mich, rissen mich am Arm, da ich nicht schnell genug war. Dies hielt bis zur dritten Klasse. Ich weiß nicht, wie viele Tränen ich bis dahin schon vergossen hatte. In diesem Jahr wurde ich sehr schwach, sodass ich früh auf den Elektrorollstuhl angewiesen war. Doch ein Gutes hatte dieses Jahr: Man genehmigte mir eine Schulbegleitung. Sie machte mir das Leben in der Schule leicht erträglicher. Da sie mich zurück in die Mitte holte, Lehrer wie Schüler aufklärte und mich stärkte, kamen im Vergleich zum Rest sehr angenehme Jahre in meinem jungen Leben. Allerdings konnte selbst sie nichts gegen das Erwachsenwerden tun. Die neuen Interessen zogen mich recht schnell wieder zurück in die Realität. Da ich durch meine Krankheit keine Bewegung hatte wurde ich ziemlich rundlich. Ich musste mich in vielen Bereichen komplett auf meine Eltern verlassen, weshalb ich mich nicht so präsentieren konnte wie die anderen.

Sehr schnell wurde ich wieder das Gespött der Klasse – nein der gesamten Schule. Man sagte es mir zwar nie persönlich – vielleicht war es auch die Angst vor Konsequenzen – doch bekam ich das Getuschel der anderen oft mit.

Ich zog mich immer weiter zurück, bis ich kaum noch Freunde hatte. Dies hatte zur Folge, dass ich in eine Art Scheinwelt über das Internet flüchtete.

Irgendwann begegnete ich ein Mädchen im Internet. Sie war 3 Monate und 10 Tage älter als ich. Ich erinnere mich an alles. Ich habe sie nie persönlich getroffen, doch ich habe sie geliebt. Ich habe nie echte Liebe empfinden dürfen, weshalb ich dieser Zeit sehr nachtrauere, obwohl sie „virtuell“ war. Wir hatten viele Höhen und Tiefen, ich tat alles für sie, sofern es meine Kräfte zuließen. Doch irgendwann wurde auch sie erwachsen.

Kurz vor meinem 16. Geburtstag sagte sie mir ganz klar wie es ist. Ihre gesamte Familie spottete über sie, da sie mit einem Behinderten zusammen war. Sie ertrug das nicht mehr und verschwand aus meinem Leben. Der Umstand, dass ich ihr nichts bieten konnte spielt hier sicher auch eine große Rolle.

Ich konnte sie nie vergessen, in den folgenden Jahren versank ich in immer stärkeren Depressionen. Als ich die grausamen Jahre der Schule vor einigen Jahren beendete, stellte sich mir noch ein größeres Problem in den Weg: Ich hatte keine Aufgabe mehr. Das Lernen war eine meiner Leidenschaften geworden. Ich hatte zwar sehr gute Noten doch brachte mir dies nun gar nichts. Das Arbeitsamt sah keine Perspektive für mich, da lieber Rollstuhlfahrer eingestellt werden die „nur“ querschnittsgelähmt sind als jemanden wie mich, der viel Hilfe braucht. Der Laptop wurde nun zu meinem Leben. Da sich die wenigen Freunde die ich hatte, sowie fast alle Familienangehörigen in meinem Alter stillschweigend von mir verabschiedeten fiel selbst diese Option weg.

Der Grund dieser Entwicklung ist ganz klar: Auch sie wurden erwachsen und hatten nun Freundinnen. Da ich es nicht ertrug dies ständig vorgelebt zu bekommen zog ich mich zurück. Schon als Kleinkind träumte ich von meinem eigenen Auto und meinem Führerschein, womit ich später meine Freundin abholen könnte.

Die folgenden Jahre verbrachte ich allein und isoliert. Alles was mir geblieben war ist die Fantasie. In ihr kann ich sein was ich will. In ihr kann ich den Wind in meinen Haaren und die Straße unter meiner Fußsohle spüren, ich kann Berge erklimmen und weitentfernte Orte besuchen. Ich bin beliebt, lebensfroh und kann mein Leben einfach leben. Doch mein größter Lebenstraum war immer das, was für so viele so selbstverständlich ist: Kinder und eine Familie zu haben. Wie oft habe ich mir das Leben in einer eigenen kleinen Familie vorgestellt… Jede Nacht fing ich an heimlich zu weinen. Panisch wachte ich nachts auf, sofern ich überhaupt noch schlafen konnte. Ich sehnte mich nach früheren Zeiten, in denen ich zwar schon isoliert, allerdings noch einige Menschen in meinem Leben hatte.

Also begann ich über das Internet eben dieses Mädchen wieder zu suchen, die mir damals so viel Kraft gab und mir am Ende doch das Herz heraus riss. Tag für Tag las ich die E-Mails, die sie mir vor Jahren schickte. Ich schaute mir jeden Tag ihre Fotos an, die ich vor Jahren von ihr bekam. Ich hörte auf zu essen, zu lachen, ich war innerlich Tod und doch zerrissen mir die Gefühle meine Seele. Es dauerte 2 Monate bis ich sie – durch einen Zufall – wieder fand. Das erste was ich feststellen musste war, dass sie mir nie ihren echten Namen verriet. Der Name den ich Jahrelang im Kopf hatte war nie ihr wahrer Name. Ich kannte ihren Bruder, weshalb ich sie zweifelsfrei erkennen konnte. Doch als ich ihr schrieb blockierte sie mich. Ich versuchte es noch einmal, doch dann ließ sie über eine Freundin von ihr mitteilen, dass sie mich nicht mehr kennen möchte, da ich ihr nun egal bin. Anschließend löschte sie ihr Profil. Kurz darauf hatte ich fast meinen ersten Selbstmordversuch mit Tabletten.
Doch ich brachte es aber nicht übers Herz.

Von diesem Moment an fing ich an wie ein leeres Gefäß ohne Emotionen zu leben. Dies führte zu immer größeren Konflikten mit meinen Eltern, die absolut nicht verstehen können was ich habe, da ich doch ein gutes Leben habe. Andere Verwandte (z.B. die eigenen Großeltern) fingen an mich wie ein kleines Baby zu behandeln – nein, wie einen Geistesbehinderten. Sie machten sich über mich lustig, veralberten mich. Jeden Tag muss ich mir anhören wie „dünn“ ich doch geworden bin, da sie denken es erheitert mich. Sie wissen nicht, dass ich mitbekommen habe wie sie über mich lästerten.

Ich fing an mich zu hassen, mein Aussehen zu hassen, meinen Charakter, da ich nicht so „cool und draufgängerisch“ wie andere in meinem Alter auftreten konnte. Jeden Tag an dem ich meinen Verwandten begegnete kamen Kommentare über mein Gewicht. Mit ungefähr nur 1.64 Meter Größe wieg ich in etwa 70 Kilogramm. Und jeder weitere Kommentar riss ein weiteres Stück aus mir heraus.

Durch diesen Hass den ich gegen mich selbst spürte fing ich an mich selbst zu zerstören. Ich trank Putzmittel, versuchte Erbrechen zu provozieren in der Hoffnung, ich würde daran ersticken. Meine Gedanken trieben mich zu immer schlimmeren Handlungen, da ich, so dachte ich, nur einen schmerzhaften Tod verdient hätte. Ich bereitete meinen Eltern so viel Leid und meine Geschwister können meinetwegen nicht so Leben wie sie wollen, da immer jemand auf mich aufpassen musste.

Doch am wichtigsten war, dass ich mich nach einem Ende sehnte. Ein Ende der Redereien, der Kommentare, der Blicke…

Wie oft suchte ich nach Mitteln und Wegen mein Ende zu beschleunigen. Es führte dazu, dass ich anfing viele verschiedene Flüssigkeiten absichtlich zu verschlucken um eine Lungenentzündung zu provozieren.
Jeder Versuch zurück ins Leben zu kommen scheiterte. Versuche an die alten Beziehungen von gleichaltrigen Familienangehörigen anzuknüpfen scheiterte kläglich und führte sogar dazu, dass sie sich mit dem Rücken zu mir setzten. Wohl unbewusst, doch zeigte es mir, dass ich nicht dazugehöre.

Dies alles endete schlagartig im Sommer 2012. An diesem Tag begegnete ich einem Mädchen im Internet, welches aufgrund der strenge ihrer Eltern sehr unglücklich war. Ich war für sie da, ich verliebte mich in sie und sie sich in mich. Ich konnte ihr allerdings nie sagen, dass ich krank bin. Die Angst das neugewonnene Glück wieder zu verlieren war einfach zu groß. Ich wusste aber immer, dass es irgendwann ein Ende haben muss, da dies nicht unendlich Bestand haben kann. Über Monate wich ich einem möglichen Treffen mit ihr aus. Irgendwann war die Zeit gekommen, in der sie mir sagte, dass sie nun gehen muss. Sie sagte mir, ihre Eltern wüssten von ihrem Kontakt zu mir und sie müsse ihn nun beenden. Niedergeschlagen verbrachte ich wieder einen Monat in völliger Isolation, bis ich durch einen Zufall herausfand, dass sie ihr Internetprofil nie löschte sondern lediglich umbenannte. Selbst ihr „abgegebenes“ Handy war noch angeschaltet. Ich kontaktierte sie und sie fing an sich mit allen möglichen Mitteln herauszureden. Alles sei natürlich ganz anders.

Ich hatte in den folgenen Wochen nur noch sehr selten Kontakt zu ihr und ich begann sie immer mehr zu vermissen. Sie sagte mir, dass sie aufgrund ihres Vaters nicht mit ihrem Handy gesehen werden darf, da er nichts darüber weiß und es nicht erlauben würde.

Da ich sehr viel Zeit hab, fing ich an sie zu stalken und fand unzählige Beiträge von Ihr auf den Profilen anderer Jungen. Oft zu Zeiten in den sie mir sagte, keine Zeit zu haben. Ich erkenne zweifelsfrei ihre Art zu schreiben, da ich ihre Eigenart bei der Rechtschreibung sehr gut kenne.

Dennoch bestreitet sie es.

Sie antwortete so gut wie nie auf meine Nachrichten, doch irgendwie schaffte ich es heute sie zu erreichen und ich klärte es mit ihr. Außerdem erzählte ich ihr die Wahrheit über mich und meine Krankheit.

Sie sagte mir, dass ich ihr zu anhänglich war. Sie hat schon lang andere Kontakte nebenher am laufen gehabt. Ich kann das zwar nachvollziehen, aber es wird nie einer verstehen, dass sie eine Art Strohhalm für mich war an den ich mich klammerte und nicht verlieren wollte. Anscheinend war ich aus diesem Grund zu sehr Milchbubi und zu wenig Badboy, wie sie sagte. Dabei wollte ich nur für sie da sein und habe nie verlangt, dass sie das selbe für mich tun soll.

Ich weiß nicht was von dem was sie mir erzählte stimmt. Ich weiß nicht wohin dies noch führen wird. Ich weiß aber, dass sie mich endgültig zerstören wird. Das Problem ist, dass ich sie nicht vergessen kann, da ich mich einfach nicht ablenken kann. Womit auch?


Ich kann dies alles leider nicht sehr gut wiedergeben, doch steckt hinter diesen Zeilen viel Kummer und Schmerz. Viele Ereignisse habe ich nicht erzählen können, da dies den Rahmen sprengen würde.

Der Traum einer eigenen Familie und eines selbstständigen Lebens ist für mich seit so vielen Jahren unerreichbar. Niemand wird sich je vorstellen können wie es ist das Leben, was man sich immer erträumt, bei anderen Tag für Tag vorgelebt zu bekommen.

Ich verstehe einfach nicht, sofern es Gott gibt, wieso er mir diese Bürde auferlegt hat. Täglich bitte ich ihn mich endlich zu sich zu holen, da ich dieser Aufgabe nicht gewachsen bin. Leider wird er mir diese Frage wohl nie beantworten können.

Das Problem hier ist jedoch, dass ich große Angst vor dem Sterben habe und dies eigentlich nicht möchte. Ich sehe allerdings keinen Ausweg mehr, da meine Situation nicht besser, sondern nur schlechter wird. Ich werde in absehbarer Zeit nur noch schwach in meinem Bett liegen können. Vor dieser Zeit habe ich große Angst. Ich möchte nur einen Neuanfang – das Leben um viele Jahre zurück drehen und diese Krankheit einfach löschen. Oder einfach ein neues Leben. Nachts einschlafen und morgens als anderer Mensch aufwachen. Ich möchte meine Träume leben, ich möchte noch sehr viel erleben.

Wieso darf ich meine Träume nicht leben? Wieso gibt es so viel Leid? Wieso werfen so viele Menschen in meinem Alter durch Dro. und Alk. ihr Leben weg, weshalb bekam ich nie die Chance? Doch wenn ich das alles vergleiche und sehe, was ich schon aushalten musste, so denke ich, dass ich vielleicht doch stärker bin als ich denke, da ich immer noch lebe. Vielleicht hätte niemand anderes aus meinem Umfeld dieser Bürde standhalten können und ich muss sie nun tragen. Und ob ich will oder nicht – der Tod wird immer meine einzige Option bleiben, da ich mit 20 schon über der durchschnittlichen Lebenserwartung liege und es nicht mehr lang dauern mag. Doch diese Zeit wird mir noch viel Schmerz und Kummer bringen.


Falls Sie diesen Text bis hier hin gelesen haben danke ich Ihnen sehr. Es bedeutet mir sehr viel und ich wünsche Ihnen allen mehr Glück in Ihrem Leben als das Leben für mich bereitgehalten hat.

Alles was ich will ist reden, reden mit irgendjemanden. Es zerstört mich innerlich niemanden in meinem Leben zu haben. Ich ertrage mein Leben einfach nicht mehr. Doch wie ich mein Glück kenne, werde ich noch viele Jahre leben müssen. In größtem Leid.

07.10.2013 23:33 • 08.10.2013 x 1 #1


3 Antworten ↓


Hey Byrd,

ich habe dir eine PN geschickt

Lg Nancy

A


Eine lange Geschichte über mein Leben

x 3


Hey Byrd,

Herzlich Willkommen bei Uns.....



werde mich nachher mal per PN bei Dir melden...

Grüßle
Schinkencorssiant

Hey Byrd, ich denke ich melde mich auch mal per PN.




App im Playstore