Zitat von omegaman:Meine These dazu:
Die Opferrolle, sie steht auch im Zusammenhang zum Krankheitsgewinn, ist eine der verwerflichsten Rollen, denen sich ein Mensch in seinem Leben hingeben kann.
Hm, ich finde es erstens unangebracht, hier moralische Wertungen ins Spiel zu bringen, zweitens halte ich nur eine Rolle für verwerflich: die des Täters... Aber überhaupt ist es mit der sog. Opferrolle wie mit dem Krankheitsgewinn - es werden Begriffe, die in der indivuellen Psychotherapie beschreibend und nicht wertend gebraucht werden (sollten!), in der Alltagspsychologie in Vorwürfe umgewandelt. Das Opfer wäre nicht zum Opfer geworden, wäre es nur mit aufrechterer Körperhaltung und weniger gesenktem Blick durchs Leben gegangen, der Kranke wird geheilt, wenn man ihm seinen Krankheitsgewinn verwehrt. Dabei sind beide Konstrukte eigentlich dazu gedacht, dem Betroffenen zu helfen, aus seiner desolaten Situation herauszukommen.
Zitat von omegaman:Jeder, der sich aus freiem Willen, die (oder eine) Opferrolle selbst auferlegt, übernimmt damit die volle und schuldhafte Verantwortung für seine Probleme, seine Krankheit und der momentanen Lebenssituation.
Man agiert und reagiert in allen möglichen Situationen doch immer nur so gut man eben kann. Da ist auch die Opferrolle nichts, wozu man sich aus freiem Willen entscheidet, als gäbe es noch zig andere Optionen. Sie ist vielmehr die Konsequenz aus vorangegangenen Erfahrungen und aktuellen Möglichkeiten. Trotzdem kann sie eine negative Konsequenz sein und Probleme verschärfen. Und: Die Opferrolle ist ein Symptom - ganz typisches Symptom einer Depression z.B. Die wird nämlich u.a. auf erlernte Hilflosigkeit zurückgeführt, die wiederholte Erfahrung, den Umständen hilflos ausgeliefert zu sein. Dazu gibt es gruselige Experimente mit Hunden, die depressiv gemacht wurden...
Zitat von Lilly42:3. Gibt es auch Theorien, die besagen, dass die Opferrolle nie nur einfach eine Opferrolle ist. Das bedeutet, dass jedes Opfer gleichzeitig Täter ist und jeder Täter gleichzeitig Opfer ist.
4. Was letztendlich aussagt, dass jeder seinen Teil zu allem dazu beiträgt. Insofern hat man auf die ein oder andere Art eine Mitschuld an den gegebenen Umständen. Frage: Was hast Du dazu beigetragen, dass man Dich bei dem 1 Eurojob derart behandelt? Hälst Du dem Löwen ein Stück Fleisch hin, beißt er zu.
Ich denke, man muss sehr aufpassen, in welchem Kontext man von der Opferrolle spricht. Es ist z.B. völlig okay und konstruktiv, wenn in der Psychotherapie herausgearbeitet wird, ob bzw. dass man sich in bestimmten Situationen in die Opferrolle drängen lässt oder sogar freiwillig hinein begibt, weil man sich vielleicht nicht anders als passiv-autoaggressiv zu wehren weiß. In dieser Situation ist es dann auch hilfreich, zu überlegen, inwiefern das eigene Verhalten ein bestimmtes Täterverhalten herausfordert oder begünstigt. Dann kann man sich in Zukunft zwecks Selbstschutz anders verhalten.
In einem Forum findet aber keine Psychotherapie statt. Und auch wenn man versucht, gegenseitig Tipps zu geben, den anderen mehr oder weniger zu analysieren (auch in bester Absicht), fehlen der geschützte Rahmen, das besondere Vertrauensverhältnis und der eindeutige Therapieauftrag, so dass aus der Rückmeldung schnell eine Bewertung wird. Es kann m.E. hier nicht um Mitschuld gehen. Der
Täter ist kein Tier, kein Löwe, er unterliegt nicht (nur) seinen Instinkten, sondern er ist ein Mensch, der die volle und alleinige Verantwortung dafür trägt, ob er zum Täter wird oder nicht. Wenn das Opfer ein leichtes Opfer ist - um so schlimmer.
Zitat von omegaman:Wenn man versucht, seine Aufgaben oder seine Lebenssituation (zum Zweck des konstruktiven und positiven Austauschs) in einem Beitrag darzustellen, dann ist es oftmals unumgänglich auch weniger begrüssungswerte Zustände, Aufgaben und/oder Empfindungen zu beschreiben.
Es kann natürlich auch sein, dass Leser den Eindruck haben, man mache es sich mit bestimmten Einstellungen oder Verhaltensweisen unnötig schwer. Je nachdem, in welche Begriffe diese Rückmeldung dann verpackt wird, kommt sie als Wertung daher oder wird so verstanden.
Zitat von omegaman:Vor der Interpretation einer Opferrolle wäre diesr Teilnehmer natürlich in vollem Umfang geschützt, aber ob hier dann auch ein konstruktiver Dialog entstehen kann?
Vor Interpretationen gleich welcher Art kann man sich nur durch den Abbruch der Kommunikation wirksam schützen. Das ist es m.E. nicht wert. Außerdem ist eine Interpretation immer nur das, was ein anderer meint, man kann sich davon abgrenzen, und die Realität spiegelt eine solche Meinung auch nicht wider.
Liebe Grüße
Christina