Zitat von omegaman:Hallo Christina
In erster Linie wollte ich von dem Begriff Opferrolle wegkommen.
Dieser wird leider allzuhäufig negativ gegen das Opfer verwendet.
Natürlich gibt es in der Realität Opfer, ich selbst habe 2001 im Krankenhaus Opfer kennengelernt (sexueller Missbrauch).
Hier war jedoch ein persönlicher Grund Auslöser für mein Threadthema:
Etwa 50% meiner Zeit und meiner Kraft hier im Forum muss ich dafür aufwenden, um mir nicht den Stempel Opfer (oder Opferrollenspieler) aufdrücken zu lassen. Ich empfinde mich nicht als Opfer, sondern als Betroffener von Erfahrungen, Erlebnissen und Lebensumständen.
Ich denke, viele erleben im Verlauf ihrer Krankheit Ähnliches, vielleicht nicht in einem Forum, aber im Privatleben und/oder in der Familie. (z.B.: Stell dich nicht so an, spiele hier nicht das arme Opfer, blah, blah, blah ...)
Daher halte ich diese Thematik für interessant.
Liebe Grüsse, omega
In diese Richtung hatte ich relativ zu Beginn des Threads schon mal was geschrieben, was vielleicht im zwischenzeitlichen Geplänkel untergegangen sein mag. Bei Interesse:
Zitat von GastB:Bei der Opferrolle, die z.B. dem Threaderöffner öfter mal vorgeworfen wird, handelt es sich um eine selbstgewählte innere Haltung, indem gleichzeitig einer anderen Person (oder mehreren) eine Schuldzuweisung als böser Täter zugeschoben wird.
Auch wenn ich mich wiederhole (siehe mein erster Post), ich halte die Opferrolle keineswegs für so selbstgewählt. Sie ist i.d.R. keine bewusste Entscheidung, kein Theaterspiel, sondern eine Reaktion auf der Basis individueller Erfahrungen und aktueller psychischer Möglichkeiten.
Zitat von GastB:Das hat nichts mit einem Stempel oder ähnlichem zu tun und wird nicht von außen vergeben oder aufgedrückt. Es ist lediglich die Feststellung, die andere über die Art und Weise machen, wie der Betreffende die Dinge sieht.
Natürlich ist es ein von außen aufgedrückter Stempel. Gerade dadurch, dass andere eine Feststellung darüber machen, wie jemand Dinge sieht. Das ist nämlich nicht möglich - jedenfalls nicht in Verbindung mit einem Anspruch auf Wahrheit oder Objektivität. Man kann nur seinen Eindruck rückmelden, wie man
glaubt, dass der andere die Dinge sieht. Und selbst das kann als übergriffig empfunden werden, wenn der Betroffene nicht um eine Analyse seiner Problematik gebeten hat, sondern sich vielleicht nur mal auskotzen wollte. Ist natürlich in einem Forum mitunter dumm gelaufen, denn welche Antworten man auf seine Beiträge oder Threads bekommt, kann man sich nunmal nicht aussuchen.
Zitat von vent:Ich habe hier nicht alles gelesen und deshalb entzieht sich meiner Kenntnis, ob jemand bereits auf die glorreiche Idee gekommen ist einen Unterschied zwischen den Begriffen 'Opfer-Dasein' und 'Opfer-Rolle' zu definieren
Es wurde m.E. ein bisschen vermischt, dürfte aber schon klar sein, dass es um die Opferrolle geht. Mir ist z.B. in Lillys erstem Post Folgendes aufgefallen/aufgestoßen:
Zitat:Insofern hat man auf die ein oder andere Art eine Mitschuld an den gegebenen Umständen. Frage: Was hast Du dazu beigetragen, dass man Dich bei dem 1 Eurojob derart behandelt? Hälst Du dem Löwen ein Stück Fleisch hin, beißt er zu.
Das sind einfach Fragen, die außerhalb einer Therapie (des Betroffenen) nichts zu suchen haben. Auch jemand, der in seinem kompletten Leben als die personifizierte (psychologische/soziologische) Opferrolle daherkommt, kann in irgendeiner Weise richtiges, tatsächliches Opfer eines Täters werden, wird es sogar wahrscheinlicher als irgendjemand anderes. Und da von einer Mitschuld zu sprechen, missbraucht den Terminus Opferrolle zur Entlastung des Täters.
Zitat von vent:Durch das Annehmen, das Sich-Selbst-Verleihen einer Opferrolle wird man zum Doppeltäter. Einmal verletzt man die eigene menschliche Würde, indem man einer mit Bewusstsein versehenen Anhäufung von bis zu 10 Billionen Zellen ihre Eigenständigkeit entspricht, zum Anderen qualifiziert man seine Nächsten als Täter ab.
Wenn man diese Rolle bewusst annimmt, also letzten Endes Theater spielt, hast du Recht. M.E. ist das aber nicht der Fall, sondern es ist eine unbewusste Lösungsstrategie in Ermangelung einer besseren. Bei Depressionen ist das bekannt, da spricht man sogar vom Depressionspartner - dem gegenüber der Kranke eine Opferrolle einnimmt.
Zitat von vent:Warum demütigt man sich selbst auf diese Art und warum diese Feindseligkeit den anderen gegenüber? Na weil man sich davon Vorteile verspricht, warum denn sonst!
Ja, nur kann der Vorteil auch darin liegen, noch größeres Übel als die undankbare Opferrolle zu vermeiden. Aber nochmal: Das ist Gegenstand einer Therapie. Ansonsten und/oder in Abwesenheit eines besonderen Vertrauensverhältnisses ist es m.E. so gut wie nie hilfreich, jemandem eine Opferrolle zu attestieren und ihn damit als feindselig zu bewerten, es wird meist als beleidigend empfunden und ist ja wohl auch nicht als Kompliment gemeint.
Liebe Grüße
Christina