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Liebes Forum,

schwierig, einen Anfang zu finden. Es ist viel zu viel, ich bin aufgewühlt und weiß, dass niemand gerne ewig lange Forentexte liest. Kurzfassung: Ich gehe auf die 40er zu, stehe vor dem Trümmerhaufen meines Lebens und weiß nicht mehr weiter.

Im Grunde ist mein Leben in ständiger Gang vom Regen in die Traufe, ein Problemberg mit kurzen Episoden der Besserung. Eigentlich hatte ich das relativ lieblose Elternhaus, einen nur fordernden und mitunter gewalttätigen Vater sowie das jahrelange Schulmobbing hinter mir gelassen. Sozusagen in Eigentherapie, ich kann heute damit umgehen.

Vor einigen Jahren bin ich aufgrund einer Befristung wieder mal quer durch die Republik umgezogen. Ein ehemaliger Mitbewohner und Freund, mein damals einziger Anschluss hier, hat mich gnadenlos sitzenlassen. Die Vorgesetzten: Toxisch, Dutzende KollegInnen sind freiwillig gegangen oder wurden gegangen. Mein Vertrag wurde unter fadenscheinigen Begründungen nicht verlängert. Ich hatte noch nie einen festen Arbeitsvertrag, aus heutiger Sicht war mein Studium ein Griff ins Klo. Der Arbeitsmarkt in meinem Bereich ist eine Katastrophe. Ich hause in einem überteuerten Wohnloch, die Umgebung ist nicht förderlich. Sozialleben? Quasi nicht vorhanden. Nun falle ich in HartzIV und lebe in einer Stadt, in die ich nie wirklich wollte.

Im Mai hatte ich eines der wenigen Bewerbungsgespräche. Es handelte sich sogar um einen Stellenvorschlag der Arbeitsagentur. In der Ausschreibung war ein Punkt aufgeführt, der mir aufgrund meiner Angstproblematik unmöglich schien. Ein anderer hätte fachlich nicht gepasst. Ich hatte mir dann noch zusätzlich eingeredet, was ich denn in dieser Stadt wollen würde. Ich war deshalb nicht wirklich vorbereitet und habe die Absage einkalkuliert, um auch keinen Ärger mit der Arbeitsagentur zu bekommen. Im Gespräch wurde klar, dass die angesprochenen Punkte gar nicht wirklich Teil der Stelle sind. Natürlich mündete das Verfahren in einer Absage.

Seit Wochen frage ich mich, was mir damals durch den Kopf gegangen ist. Die Stelle hätte abgesehen von den beiden vermeintlichen Ausschlusskriterien absolut gepasst. Es wäre geradezu die Nische gewesen, die ich immer gesucht habe. Dazu noch unbefristet. Mit ein bisschen mehr Vorbereitung bin ich mir relativ sicher, dass es eine Zusage hätte sein können. Die besagte Stadt ist sowieso deutlich attraktiver als die norddeutsche, in der ich gerade lebe. Es gibt dort auch noch eher Wohnraum und in der Nähe hätte ich Anschluss gehabt, weil dort mittlerweile einer der wenigen Freunde lebt.

Ich male mir nun ständig aus, wie ich diesen Albtraum hier hätte hinter mir lassen und in ein neues Leben starten können. Es hätte alles so schön sein können. Aber die Stelle ist weg. Diese Chance in dieser Stadt zu diesen Konditionen wird es nie mehr geben. Und selbst wenn, würde man mich zurecht aussortieren. Ich sehe es mittlerweile als *die* Lebenschance, die ich mir mutwillig zerstört habe. Warum, Warum, Warum?

Damit kann ich nicht umgehen. Es fühlt sich an, wie im Suff mehrere Menschen umgefahren oder eine andere Katastrophe ausgelöst zu haben. Eben vor allem auch deshalb, da ich ansonsten wenig bis keine anderen Optionen habe. Zwischendrin hagelte es auch schon wieder diverse Absagen.

Ich kann an nichts anderes mehr denken. Schlaflosigkeit, Appetitlosigkeit, Weinkrämpfe. Kürzlich war ich nach Monaten mal wieder beim Psychiater, den ich damals nach dem Befristungsende aufgesucht hatte. Er empfiehlt das Übliche: Medikamente, Klinik, Psychotherapie. Das Problem ist, dass all das nichts an meiner Lebenssituation ändert. Und ich kann eben nicht mehr damit umgehen. Insbesondere nicht mit der Tatsache, mir diese Stellen- bzw. Lebensperspektive absichtlich verbaut zu haben.

Danke fürs Lesen. Ich weiß, es ist viel zu lang. Aber vielleicht kennt jemand ähnliche Situationen und hat Tipps, wie man damit umgehen kann, soll, muss. ? Ich bin mit meinem Latein leider am Ende, obwohl ich schon viel Sch**** hinter mir habe.

15.08.2021 13:55 • 02.09.2021 x 4 #1


125 Antworten ↓


Zitat von Prekariat:
Sozusagen in Eigentherapie, ich kann heute damit umgehen.

Zitat von Prekariat:
In der Ausschreibung war ein Punkt aufgeführt, der mir aufgrund meiner Angstproblematik unmöglich schien.


Radikale Akzeptanz - Es ist wie es ist.
Du solltest es annehmen. Alle Emotionen darüber werden das Ereignis nicht verändern. Emotionen darüber sind verständlich, aber sinnfrei.

Was du tun kannst ist dich anpassen und weiterentwickeln.

Zitat von Prekariat:
Er empfiehlt das Übliche: Medikamente, Klinik, Psychotherapie. Das Problem ist, dass all das nichts an meiner Lebenssituation ändert.

Wie stellst Du dir deinen Weg vor die Angst vor dem einem Punkt aufzulösen und deine Resilienz zu verbessern?

A


Chance mutwillig vertan - wie weiterleben?

x 3


Hi

mach Dir bitte nicht so viele Vorwürfe, es bringt nichts mehr, es ist vergangen und passiert.

Ich habe mich selber einmal nicht in meiner Umgebung wohl gefühlt und kann das nachvollziehen.

Mein Job, den ich geliebt habe (und mein Team/Kollegen) wurde mir gekündigt, weil mein Chef seine Frau mit ins Boot holen wollte, unter Lügen gekündigt und ich wurde 5 Monate später depressiv (plus Beziehungsprobleme).

In der Kleinstadt, wo ich wohnte, glotzten die Nachbarn, was der andere Nachbar Neues hat und wenn die Hecke nicht rechtzeitig im Frühjahr gestutzt wurde, gab es Beschwerden.

Ich nahm das, was mir letztendlich das Genick brach, zum Anlass, etwas zu unternehmen.

Tagesklinik, Therapie, Neues Land, in dem ich ganz unten wieder anfangen musste und lernte einen neuen Beruf (hat sich durch Zufall ergeben).

Ich seh es heute so: eine Tür geht zu, eine andere geht immer auf.

Vielleicht kannst Du Dir Deine Traumstadt suchen, lebst erstmal in einer Studenten WG (haben wir auch gemacht mit Mitte 30) und dann guckst Du, was das Leben bringt.

Bitte gucke nicht zurück, DU KANNST es NIE WIEDER ändern.

Und denk an die Tür, es wird auch eine für Dich aufgehen!

Zitat von cube_melon:
Radikale Akzeptanz - Es ist wie es ist. Du solltest es annehmen. Alle Emotionen darüber werden das Ereignis nicht verändern. Emotionen darüber sind verständlich, aber sinnfrei.


Danke für die Antwort. Auf der rationalen Ebene ist mir das bewusst. Andererseits sehe ich die vertane Chance tatsächlich als die einzige Option, die meinem Leben eine positive Wendung hätte geben können. Das klingt radikal, aber die Gesamtumstände und die bisherigen Erfahrungen insbesondere in meinem beruflichen Umfeld weisen durchaus darauf hin.

Zitat von cube_melon:
Was du tun kannst ist dich anpassen und weiterentwickeln. Wie stellst Du dir deinen Weg vor die Angst vor dem einem Punkt aufzulösen und ...


Bei mir ist die Sozialangst vor allem dann immer besonders ausgeprägt, wenn die Gesamtumstände schlecht sind. Beruflich konnte ich mich damit bislang tatsächlich irgendwie anpassen, eben weil ich auch bewusst in Bereichen tätig war, die weniger exponiert sind. Übrigens würde ich wohl auch ohne Angstproblematik solche Stellen meiden. Der extrovertierte Über-Netzwerker bin ich einfach nicht und will es auch nicht sein.

Du weißt in Wahrheit überhaupt nicht, wie es gekommen wäre, wenn du den Job bekommen hättest. Wieso willst du jetzt so tun, als ob es die Chance deines Lebens gewesen wäre?

Zitat von portugal:
Ich seh es heute so: eine Tür geht zu, eine andere geht immer auf.


Danke für deine Aufmunterung. Ja, daran habe ich auch immer geglaubt. Nur sehe ich das jetzt leider nicht mehr... Ende August winkt HartzIV, ich bin nun also offiziell (wieder) langzeitarbeitslos. Die meisten Stellen in meinem Bereich sind absoluter Mist und haben nichts mit mir und meinen Interessen zu tun. Das Problem ist, dass diese Tätigkeit sehr auf Inhalten basiert. Genau deshalb bekomme ich auch die besagte Stelle nicht mehr aus dem Kopf, da diese inhaltlich tatsächlich gepasst hätte. Ich kann es schlicht nicht mehr nachvollziehen...

Zitat von portugal:
Vielleicht kannst Du Dir Deine Traumstadt suchen, lebst erstmal in einer Studenten WG (haben wir auch gemacht mit Mitte 30) und dann guckst Du, was das Leben bringt.


Ich habe vor der Stelle hier eigentlich nur in WGs gelebt. Und hier anfangs auch als Untermieter bei einer Dame, die schon am ersten Tag unfassbar unfreundlich und abweisend war. Wie ich später erfahren habe, hat es wohl schon mit mehreren Untermietern gekracht... Jedenfalls war das eine Katastrophe und endete ebenfalls unschön. Hier ging wirklich alles schief, was schiefgehen kann. Glück im Unglück war dann das überteuerte Einzel-Wohnloch. Unter anderem aufgrund dieser Erfahrung kann ich mir WG-Leben nicht mehr wirklich vorstellen.

Zitat von portugal:
Bitte gucke nicht zurück, DU KANNST es NIE WIEDER ändern.


Das ist das Problem. Ich weiß nicht, wie ich es aus meinem Kopf bekommen soll.

Zitat von Prekariat:
Danke für deine Aufmunterung. Ja, daran habe ich auch immer geglaubt. Nur sehe ich das jetzt leider nicht mehr... Ende August winkt HartzIV, ich bin ...


Es nützt ichs, über verschüttete Milch zu weinen. So kommst Du nie voran.

Zitat von Prekariat:
Das ist das Problem. Ich weiß nicht, wie ich es aus meinem Kopf bekommen soll.


Vielleicht, weil's auch bequem ist. Dadurch, dass du in der Vergangenheit hängen bleibst, verpasst du dein Leben.
Job ist doof, dann versuche es mit etwas anderem. Letztendlich geht es um's aktiv werden und nicht, was man alles schon vergeigt hat.

Zitat von Prekariat:
Er empfiehlt das Übliche: Medikamente, Klinik, Psychotherapie.


Wäre doch ein guter Plan.

Zitat von Prekariat:
Auf der rationalen Ebene ist mir das bewusst. Andererseits sehe ich die vertane Chance tatsächlich als die einzige Option, die meinem Leben eine positive Wendung hätte geben können.

Das Leben ist ein Fluß.
Wenn ich so denken würde wie Du oben, wäre ich vermutlich schon emotional untergegangen.
Man kann sich nur den Umständen anpassen, neue Optionen erschaffen, andere Wege erkennen und ausprobieren.
Das Leben ist trial and error.


Zitat von Prekariat:
Der extrovertierte Über-Netzwerker bin ich einfach nicht und will es auch nicht sein.

Meine Aussage zielte dahin, das Du scheinbar noch Themen bei dir hast, die Du angehen solltest. Daher sehe ich das ähnlich wie dein Doc.


Zitat von Prekariat:
Eigentlich hatte ich das relativ lieblose Elternhaus, einen nur fordernden und mitunter gewalttätigen Vater sowie das jahrelange Schulmobbing hinter mir gelassen.

Mein Wissen und Erfahrung kommt aus dem Bereich Traumafolgestörungen.
Ohne dir nun was einreden zu wollen, aber wenn Du solche Symptome hast und auch noch Nachwirkungen spürst, wäre es vllt. mal eine Idee darüber nachzudenken das zumindest in einer ambulanten und spezialisierten Therapie anzugehen.

Zitat von MuMPiTz11:
Du weißt in Wahrheit überhaupt nicht, wie es gekommen wäre, wenn du den Job bekommen hättest. Wieso willst du jetzt so tun, als ob es die Chance deines Lebens gewesen wäre?


Weil die Stelle inhaltlich genau das abdeckt, womit ich schon in meiner ersten Stelle nach dem Studium mit viel Freude zu tun hatte. Die aber natürlich nur befristet und am anderen Ende der Republik war... Ich weiß jedenfalls sehr genau, was ich kann und worin ich gut bin - umgekehrt ebenso. Außerdem wäre es mit fast 40 der erste unbefristete Arbeitsvertrag gewesen. In einer Einrichtung, in der ich immer tätig sein wollte - außerhalb der Privatwirtschaft nämlich. Die Stadt selbst ist eigentlich eine der schönsten Deutschlands. Nicht zu groß, nicht zu klein und Wohnraum ist noch vergleichsweise günstig. In der Nähe wohnt zusätzlich der besagt Freund, mittlerweile mit kleiner Familie.

Ja, ich kann deinen Einwurf nachvollziehen. Aber ich bin mir nun schon ziemlich sicher, dass es die Chance meines Lebens gewesen wäre. Eben auch deshalb, weil die Leidensgeschichte schon so lange anhält und ich im Grunde genau weiß, was mir helfen würde: Eine vernünftige Berufsperspektive, eine annehmbare Umgebung und ein winziges Sozialleben. Seit dem Ende des Studiums vor mehr als zehn Jahren reise ich quasi befristeten Stellen hinterher und mit freier Wohnortwahl war da nie viel. In die Großstadt, in der ich momentan lebe, wollte ich nie wirklich. Ich kann weder mit dem Stadtbild, noch mit der Mentalität viel anfangen. Auch wenn viele andere das abfeiern - Touristen vor allem. Sicher hängt es auch damit zusammen, dass ich hier innerhalb von drei Jahren so viele negative Erfahrungen gemacht habe. Wobei in Sachen Mentalität und Freundlichkeit damalige Kollegen aus anderen Teilen der Republik ähnliche Ansichten hatten. Meine Stadt ist es nicht und wird es nie sein.

Zitat von cube_melon:
Mein Wissen und Erfahrung kommt aus dem Bereich Traumafolgestörungen.
Ohne dir nun was einreden zu wollen, aber wenn Du solche Symptome hast und auch noch Nachwirkungen spürst, wäre es vllt. mal eine Idee darüber nachzudenken das zumindest in einer ambulanten und spezialisierten Therapie anzugehen.


Danke für den Hinweis. Ja, ich bin mir des Themas durchaus bewusst. Vor mehr als zehn Jahren war ich diesbezüglich das erste Mal in Therapie. Das war während des Studiums. Allerdings was das Umfeld weit weg von der elterlichen Heimat so wohltuend, dass ich mich tatsächlich von diesen Erfahrungen erholen konnte. Obwohl Vater auch damals noch Dinge gebracht hat, die öfter alles wieder eskalieren ließen. Nun ja, das Umfeld war nach dem Studium auch schnell wieder weg... Kontakt bestand am Ende nur noch zu dem damaligen Mitbewohner, der mich hier hat sitzen lassen.

Woher meine diagnostizierte Angststörung und das brüchige Selbstbewusstsein kommen, ist mir jedenfalls sonnenklar. Heute kann ich mit diesem Thema jedoch umgehen. Zwar zeigt Vater im Gegensatz zu Mutter bis heute keine wirkliche Einsicht, die kompletten Familienverhältnisse sind denkbar schlecht und sicher nicht normal. Aber ich habe gelernt, das zu akzeptieren, weil ich bezüglich dieser Vergangenheit sowieso machtlos war und bin. Ich kann auch nicht sagen, dass ich Vater hassen würde. Das war vor Jahren noch anders. Auch bei ihm meine ich, eine gewisse Altersmilde festgestellt zu haben. Mit Mutter habe ich heute ein relativ normales Verhältnis und es besteht auch regelmäßig Kontakt.

Umso schwerer fällt es mir allerdings, Dinge zu akzeptieren, für die ich selbst verantwortlich bin. Wie eben nun diese vertane Chance. Ich male mir sogar aus, wie ich meine Eltern kommendes Weihnachten von dort aus hätte besuchen können. Zum ersten Mal dann als ein Mensch, der endlich angekommen ist und eine Berufsperspektive hat. Ja, auch Vater hätte sich darüber gefreut.

Zitat von Icefalki:
Vielleicht, weil's auch bequem ist. Dadurch, dass du in der Vergangenheit hängen bleibst, verpasst du dein Leben. Job ist doof, dann versuche es mit etwas anderem. Letztendlich geht es um's aktiv werden und nicht, was man alles schon vergeigt hat.


Die Vergangenheit habe ich eigentlich schon überwunden, insbesondere Elternhaus, Schule und eine Erstausbildung. Auch mit der toxischen letzten Stelle kann ich umgehen - drei, vier Monate danach ging erst einmal gar nichts mehr.

Die angesprochene Stelle wäre die Zukunft gewesen. Das ist ja das Problem. Wirklich vergeigt habe ich bislang nicht so viel - außer eben diese Chance. Es ist auch nicht so, dass ich untätig wäre und nichts versuchen würde. Nur gibt es in meinem Bereich eben kaum Stellen, man ist mit knapp 40 für HR-Personal auch nicht mehr der gefragteste Mitarbeiter und für einjährige Befristungen mal eben Wohnraum finden, ist insbesondere in Großstädten mittlerweile sehr schwierig. Das wird sogar in den Bewerbungsgesprächen mittlerweile abgeklopft. Häufig hagelt es auch schon nach wenigen Tagen eine Standardabsage, auch wenn man eigentlich in das Profil passt.

Liebe/lieber P., ich verstehe gut, dass du es momentan so wahrnimmst, als wäre das DIE EINE Chance gewesen. Allerdings bin ich fest davon überzeugt, dass es nie nur EINE Chance gibt. Und auch, wenn ich eigentlich nicht an Vorhersehung o.ä. glaube, denke ich, dass es vielleicht auch seinen Sinn gehabt hat. Aus meiner personlichen Erfahrung kann ich dir erzählen: Ich habe diese eine Stelle, nach der ich immer gesucht habe. Ich habe mich darauf beworben und dachte sogar noch die Stelle ist so begehrt, die kriegst du nie, aber ich habe sie gekriegt...Und was hat sich herausgestellt? Nö, sie ist alles andere als perfekt, sie hat auch sehr viele Schattenseiten, die mir vorher nie in den Sinn gekommen wären. Und nun ist sie eben nicht mehr diese Traumstelle, sondern eine von vielen, die ich in naher Zukunft sogar vielleicht versuchen werde zu wechseln. So kann's gehen. Nichts, wirklich nichts ist nur perfekt oder toll oder die einzige, perfekte Chance, wirklich nichts. Das ist fast ein Naturgesetz. Genau, wie es auch nicht DIE eine perfekte Beziehung, den EINEN Seelenverwandten gibt. Diesem Anspruch kann niemand gerecht werden und es erzeugt nur tierisch hohe Erwartungen, Enttäuschungen vorprogrammiert. Vielleicht wäre die Stelle toll gewesen, okay, mag sein, aber dann kann es sicher eine andere auch sein. Ich kann sehr gut verstehen, dass dir Hartz IV Angst macht gerade, aber sogar darin kann eine Chance liegen, vielleicht die Chance auf eine Weiterbildung/Umschulung oder oder ...Was die Psychotherapie angeht: natürlich kann die Therapie nichts daran ändern, dass du die Stelle nicht bekommen hast, aber sie kann helfen, anders über das Geschehene zu denken und zu urteilen und dir selbst nicht mehr solche Vorwürfe zu machen. Sie kann dir dabei helfen, deine Entscheidungen anders zu bewerten und aus dem Teufelskreis der Selbstvorwürfe und Verzweiflung herauszukommen. Ich wünsche dir jedenfalls alles Gute dafür, dass du das schaffst Ganz Liebe Grüße, Buschwindrose

Liebe @Buschwindrose, vielen Dank für deine Antwort. Dass diese eine Stelle nicht perfekt gewesen wäre, ist mir durchaus bewusst. Aber sehr nahe dran - ich kenne meine Branche leider zu gut und habe das bisher auch nur in speziellen Nischen überlebt. Das wäre der Anschluss daran gewesen, nur dieses Mal sogar noch einer deutlich schöneren Großstadt, über die ich im Mai noch irgendwelche Dinge zusammenfantasiert habe. Völlig irre.

Gut, im Osten ist VZ 40 Stunden und der Tarif liegt zwei Stufen unter meinem bisherigen. Dafür sind die Mieten günstiger und ich hätte mit all dem extrovertierten Quatsch für Berufsnetzwerker und Klicki-Bunti in dieser Position nichts zu tun gehabt. Und das Ganze auch noch unbefristet, was in meiner Branche Seltenheitswert hat. Im ÖD mittlerweile leider auch. Kurzum: Es wäre für mich schon *die* Stelle gewesen. Ehrlich gesagt erscheinen mir nun alle anderen Stellen wie die berühmte Resterampe, eben weil es vor allem auch inhaltlich optimal gepasst hätte. Ich wollte immer genau eine solche Position bei einem öffentlichen Arbeitgeber.

Leider weiß ich, dass das nicht mehr kommen wird... Dafür kenne ich die Branche zu gut. Zumal ich eben auf die 40 zugehe und gerne mal sesshaft werden würde, allerdings auch nicht irgendwo. Das ist auch ein Punkt, bei dem ich gar nicht mehr nachvollziehen kann, was mich im Mai geritten hat. Ob das irgendeinen Sinn macht, ist ein interessanter Gedanke. Aber wirklich vorstellen kann ich es mir nicht. Ich hätte das Gespräch ganz normal vorbereiten und danach, falls sich die beiden missliebigen Punkte als tatsächlich relevant herausgestellt hätten, dennoch absagen können.

Das mit den Selbstvorwürfen ist irgendwie in mir angelegt und hat sicher auch mit Vaters Erziehung zu tun. Dass das nicht gesund ist, weiß ich. Andererseits habe ich diesen Fehler begangen und diese Chance leichtfertig weggeworfen. Mit den Weiterbildungen hatte ich schon in ALG1 zu tun, vieles ist auf dem Arbeitsmarkt nicht wirklich anerkannt. In HartzIV sieht es mit den Weiterbildungen wohl noch schlechter aus. Umschulungen gibt es auch nur noch, sofern man berufsunfähig ist.

Trotzdem Danke für deine Worte und liebe Grüße
Prekariat

Zitat von Prekariat:
stehe vor dem Trümmerhaufen meines Lebens

Hallo Du
also. Erst einmal mach´Dir klar, seeeehr viele Menschen auf dieser Welt landen in Krisen und reagieren darauf, indem sie ALLES verdrängen, solange es irgendwie geht. Indem Du feststellst und aussprichst, dass es eine hammerharte Krise ist und Du da raus willst, ist das erstmal der wichtigste Schritt. Du bagatellisierst die Situation nicht und redest Dir nichts schön. Vielleicht erscheint Dir das jetzt grade selbstverständlich, bei mir ist es der Hauptkritikpunkt überhaupt ggnü meinem Freund. Er ist auch gerade in einer super schlimmen Krise aber er redet sich alles schön und leugnet und deshalb stagniert alles bei ihm und er tritt seit Langem nur auf der Stelle.

Zitat von Prekariat:
Im Grunde ist mein Leben in ständiger Gang vom Regen in die Traufe, ein Problemberg mit kurzen Episoden der Besserung. Eigentlich hatte ich das relativ lieblose Elternhaus, einen nur fordernden und mitunter gewalttätigen Vater sowie das jahrelange Schulmobbing hinter mir gelassen

wenn man das liest, denkt man an Therapie. Ist das zur Zeit eine Option für Dich?

Zitat von Prekariat:
aus heutiger Sicht war mein Studium ein Griff ins Klo.

Okay, das klingt schon etwas krass. Ich kann mir zwar vorstellen, dass man das mal so empfinden mag, ich neige selbst dazu, mich temporär tierisch in Dinge reinzusteigern (das ist dann einfach ein Zeichen, dass mir alles zuviel wird und ich mir wünsche, mit meiner Überforderung und Verzweiflung gesehen zu werden), aber ein Studium ABSCHLIEßEN ist etwas, was viele nie in ihrem Leben schaffen und es wäre sehr überheblich, dass als Mist zu bezeichnen.
Sponsor-Mitgliedschaft

Zitat von Prekariat:
Ich hause in einem überteuerten Wohnloch, die Umgebung ist nicht förderlich. Sozialleben? Quasi nicht vorhanden. Nun falle ich in HartzIV und lebe in einer Stadt, in die ich nie wirklich wollte.

das klingt danach, als würde alles nach einer radikalen Veränderung schreien

Zitat von Prekariat:
Liebe @Buschwindrose, vielen Dank für deine Antwort. Dass diese eine Stelle nicht perfekt gewesen wäre, ist mir durchaus bewusst. Aber sehr nahe ...

Okay, ich glaube dir, dass die Stelle vieles verspricht, aber durch ein Vorstellungsgespräch erfährst du immer nur das Oberflächliche...du lernst deine Kollegen nicht kennen und auch so manch andere Fallstricke ergeben sich erst, wenn man einen intensiveren Einblick hat. Und selbst wenn es eine wirklich tolle Stelle war, es ist auf keinen Fall die einzige gute Chance für dich, zumindest glaube ich das wirklich nicht. Das ist nach Adam Riese schon sehr unwahrscheinlich. Fast 40 ist außerdem kein Alter, ich hab mit 42 erst einen völlig neuen Beruf begonnen. Wenn ich so gedacht hätte oder jetzt so denken würde (in meiner Branche ist es auch so, dass der Job mit den Konditionen, wie ich ihn jetzt habe, eine absolute Rarität ist), dann müsste ich spätestens jetzt aufgeben. Denn ich bin trotz der top Konditionen und obwohl es das ist, was ich immer machen wollte, sehr sehr unglücklich dort. Ich muss zugeben: Aufgeben ist manchmal ein Gedanke, den auch ich habe...aber dazu würdest du mir wahrscheinlich auch nicht raten, oder?
Was würdest du denn zu dir selbst sagen, wenn du ein guter Freund oder eine gute Freundin wärst?

P.S.: ich hoffe, ich hab das jetzt nicht mehrfach gepostet, irgendwie klappt es gerade nicht so, wie ich will

Hallo @Nora5, danke für deine Antwort. Nein, bagatellisieren und schön reden war noch nie mein Ding. Manche sagen, ich sei pessimistisch. Eigentlich war ich aber immer Realist mit Hang zur Melancholie. Oder so ähnlich.

Zitat von Nora5:
wenn man das liest, denkt man an Therapie. Ist das zur Zeit eine Option für Dich?


Die ungünstigen Startbedingungen und die Familienverhältnisse habe ich in nunmehr über zehn Jahren aufgearbeitet. Das war teils schwierig, aber damit kann ich seit drei, vier Jahren gut leben. Was mich mittlerweile aus der Bahn wirft, sind die Lebensumstände. Also Arbeit, Wohnen, Zukunftsperspektiven. Das Sein bestimmt das Bewusstsein, nicht umgekehrt, meinte K. Marx. Richtig!

Zitat von Nora5:
Okay, das klingt schon etwas krass. Ich kann mir zwar vorstellen, dass man das mal so empfinden mag, ich neige selbst dazu, mich temporär tierisch in Dinge reinzusteigern (das ist dann einfach ein Zeichen, dass mir alles zuviel wird und ich mir wünsche, mit meiner Überforderung und Verzweiflung gesehen zu werden), aber ein Studium ABSCHLIEßEN ist etwas, was viele nie in ihrem Leben schaffen und es wäre sehr überheblich, dass als Mist zu bezeichnen.


Habe auch eine abgeschlossene Ausbildung, aber nie in dem Beruf gearbeitet. Ehrlich gesagt war die Ausbildung sogar fordernder... Das Studium war wirklich nichts, auf das ich mir etwas einbilden würde. Also weder Medizin, noch IT oder sonst etwas, mit dem man tatsächlich beruflich viel anfangen könnte. Und studiert gefühlt heute sowieso nicht fast jeder? Unabhängig davon, ob das nun gut oder schlecht ist...

Zitat von Nora5:
das klingt danach, als würde alles nach einer radikalen Veränderung schreien


Durchaus, aber die Frage ist eben, was und wie und wo... Es hängt leider ganz viel an den finanziellen Mitteln und einfach mal umziehen wie vor 30 Jahren ist ohne gutes Nettogehalt mit mindestens drei Gehaltsnachweisen und unbefristeter Stelle auch nicht mehr. Ansonsten wäre ich aus dieser Stadt längst geflohen. Kann gar nicht nachvollziehen, was hier so toll sein soll.

A


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