Am Bahnhof
Ein Ärztehauskomplex
dort
wo einst Cattos Tanke war
10-Pfennig-Wasser-Tüten-Eis
Kirsche, Cola, Zitrone und manchmal Waldmeister
nur 10 Sorten Zig aretten
Benzin, Diesel
und seine kleine Hebebühne
waren unser tägliches Abenteuer.
Ein Pizza-Döner-Tempel
mit vier Stockwerken Zeitarbeitbüros und Nagelstudio darüber
dort
wo es nichts gab als saftige Wiesen
paarmal gemäht vom alten Schabenberger
für seine Viecher im Stall
unweit.
Versicherungen, Bankfilialen, Apotheke
und sogar
ein Meeresaquaristikspezialist
wo einst die alten Kastanien vorm
Gasthaus Ullmann dem ganzen Viertel
Schatten spendeten
bei dunklem B. und heller Aufregung
über den vernichtenden Schachzug
den verlorenen Wenz
die schlechte Predigt
vorher
im Hochamt.
Ein Mega-Edeka mit Wahlplakaten
Parkplätze, LED-Beleuchtung, Infrastruktur
wo ich früher aus der Kneipe nach Hause schlich
vorbei an Meiers Schrottplatz
immer proppenvoll
mit zwielichtigen Jaguars, Cadillacs und Benz-Coupés
den Geruch der feuchten Polstersitze noch in der Nase
das alte Öl, rostendes Metall
das Kläffen des Dobermanns noch im Ohr
die feuchten Träume noch im Sinn
über die vagen Geschichten
aus dem Moulin Rouge daneben
wo nie ein Auto davor stand.
Allein der Löwnzahn
aus den Ritzen zwischen dem Asphalt der Straße
und dem alten Trottoir
halbjährliche Begleiter
meines Schulwegs
meiner ersten Verliebtheit
meiner ersten Radfahrversuche
gehalten an den Schultern
vom Bruder.
Anonym wollte er verscharrt werden
vergessen
als wäre er nie da gewesen
denke ich manchmal noch an ihn
die Eltern
die Firma
das Haus
und an das alte Ich
das längst
vergangen.
04.10.2023 05:54 • x 6 #101