Ich war in der vergangenen Zeit kaum im Forum. Zum einen hatte ich beruflich sehr viel zu tun, und zum anderen habe ich die Zeit genutzt um ein bisschen in mich zu gehen, und mich mit meinen Ängsten zu befassen. Bei mir hat sich dadurch sehr viel geändert, und ich würde euch gerne daran teilhaben lassen. Offen gesagt fühle ich mich erstaunlich gut, und vielleicht hilft euch dieser Thread auch bei euren Problemen.
Erstmal an alle die mich noch nicht kennen, oder nicht mehr genau wissen wer ich bin, hier erstmal eine kleine Auflistung aller Ängste, Zwänge und Phobien, die ich lange Zeit mit mir herumgeschleppt habe:
1.) Agoraphobie / Panik
Dies war das für mich zweifellos vordergründigste Problem, denn es hat meinen Alltag nahezu vollends bestimmt. Ob im Supermarkt, im Bus, bei Bekannten, oder einfach wenn ich bei einem Fußgängerübergang an einer roten Ampel warten musste: Binnen kürzester Zeit achten sich Zittern, kaltes Schwitzen, Beklemmung, Atemnot, Herzrasen, Herzstechen, Herzstolpern, Umkippangst, Unwirklichkeitsgefühl, Schluckbeschwerden, trockener Mund, und Flattern im Magen bemerkbar. Mein Leben wurde dadurch sehr eingeschränkt. Im Grunde lebte ich nur noch wie auf Schienen, um all den Panikauslösern zu entgehen
2.) Hypochondrie
Es war für mich lange Zeit undenkbar, daß ein Rumoren in den Därmen, stechende Kopfschmerzen, oder Übelkeit harmlose Ursachen haben könnten. Die einzigen für mich plausiblen Erklärungen für meine Beschwerden waren Krebs in allen Formen, ein bevorstehender Herzinfarkt, oder ein bevorstehender Schlaganfall. Ich habe ständig in mich hineingehört, bis ich eine regelrechte Organfühligkeit erzeugte, und dadurch praktisch ständig drückende / ziehende oder schmerzende Beschwerden hatte, obwohl alles mit mir in Ordnung war.
3.) Herzphobie
Meine Herzangst wurde im Zuge der Agoraphobie / Panik sehr vordergründig. Ich fühlte zahllose male am Tag meinen Puls, weil ich Unregelmässigkeiten befürchtete. Nachts konnte ich kaum schlafen, weil ich fürchtete, daß mein Herz über Nacht schlicht und ergreifend stehen bleiben würde. Ich mied jegliche körperliche Anstrengung, um meinen Puls nicht hochzutreiben, denn ein Anstieg des Puls war für mich gleichzusetzen mit der Gefahr eines drohenden Herzstillstandes. Ich lief chronisch zum EKG, ließ ständig den Blutdruck messen, und traute mich nicht mal mehr ein Aspirin, oder oder Parkemed zu nehmen, weil ich Angst hatte, daß in diesen Medikamenten möglicherweise Bestandteile enthalten sein könnten, die mein Herz schädigen.
4.) Krankhafte Eifersucht
Ob die Freundin nun freundschaftlichen Kontakt zu ihrem Ex erhielt, mal ein paar Stunden nicht erreichbar war, oder nicht unverzüglich auf SMS oder Mails reagierte - sofort schaltete sich die blanke Angst vor dem Verlassen werden ein. Ich versuchte ständig an mir zu arbeiten, um ihr gerecht zu werden. Ich trank in ihrer Gegenwart nicht mehr als ein kleines B. alles paar Tage, weil ich befürchtete, daß sie schon ein Glas mehr als einen Mangel an Gesundheitsbewusstsein deuten könnte, und sich dann womöglich einen Mann sucht, der gesundheitsbewusster lebt. Ich schob Panik wenn sie alleine unterwegs war, weil ich dachte, daß sie garantiert jemanden kennenlernt, der besser ist als ich. Ich traute mich buchstäblich nicht mit ihr um die Häuser zu ziehen, weil ich dachte, daß jemand sie mir ausspannen könnte, ich traute mich kaum mehr meinen Körper vor ihr zu zeigen, weil ich Angst hatte, daß ich nicht gut genug aussehe, und sie sich dann stattdessen jemanden suchen würde der besser aussieht.
5.) Kontrollzwang
Bevor ich die Wohnung verliess, wurde jedes Licht exakt 8 mal aus- und ein geschaltet, bevor ich endgültig sicher war, daß es auch wirklich aus war. Jede Steckdose wurde 8 mal kontrolliert, jedes Elektrogerät wurde 8 mal kontrolliert, jedes Fenster wurde 8 mal kontrolliert, und die Türe wurde exakt 8 mal auf und zu gesperrt, bevor ich Sicherheit hatte, daß sie zu war. Selbst wenn ich nur zum Supermarkt an der Ecke ging, betrug diese Prozedur jedes mal knapp 20 Minuten!
Dies waren meine Hauptängste und Zwänge - insgesamt ein ziemlicher Brocken. Ich habe lange versucht schön ordentlich und organisiert gegen jede einzelne dieser Ängste vorzugehen. Ich habe versucht mir zuerst meine Agoraphobie vorzunehmen, anschließend die recht naheliegende Herzphobie usw. usw. usw.
Freu nach dem Motto: Ordnung muß sein - also schrittweise arbeiten.
Allerdings erkannte ich bald, daß diese Ängste wie Unkraut sind: Kaum hatte ich die Agoraphobie einigermaßen im Griff und widmete mich der recht naheliegenden Herzphobie, tauchte die Agoraphobie plötzlich wieder auf.
Mit anderen Worten: Kaum hat man Angst Nummer 1 im Griff, und widmet man sich deshalb Angst Nummer 2, wächst Angst Nummer 1 wieder nach. Dieses Spielchen zieht sich lange dahin, und man tröstet sich mit jeder kleinen vorübergehenden Besserung, obwohl man im Hinterkopf weiß, daß es nur eine Frage von wenigen Tagen bis Wochen ist, bevor man wieder bei Null anfängt.
So habe ich es lange Zeit gemacht.
In der letzten Zeit habe ich allerdings viel nachgedacht, bin meinen Ängsten ein bisschen auf den Grund gegangen, und habe erkannt, daß diese Ängste nichts eigenständiges sind. Es geht im Endeffekt nicht um mein Herz, Krebs, HIV, Verlustangst oder die Befürchtung mitten im Supermarkt plötzlich umzukippen. All diese Dinge sind keine Ängste im eigentlichen Sinn - sie sind ein unbewusster Ausdruck von Unzufriedenheit mit mir selbst und meinem Leben. Das Unterbewusstsein spricht keine augenscheinlich klare Sprache. Man kann das Unterbewusstsein nicht hören, und es gibt keine klaren Antworten wenn man sich selbst fragt: Bin ich mit meinem Leben eigentlich zufrieden?. Das Unterbewusstsein spricht eine andere Sprache. Es verständigt sich durch Gefühle und durch die eigene körperliche und seelische Verfassung.
Wir wissen, daß unsere Angstzustände und Panikattacken psychischer Natur sind, doch bevor wir versuchen diese Dinge mit Medikamenten zu betäuben, oder uns darauf beschränken uns durch Atemtechniken und Selbstsuggestion schnelle Abhilfe im Akutfall zu verschaffen, sollten wir nicht darüber nachdenken, was wir gegen diese Zustände tun können, sondern was sie uns sagen wollen.
Mir haben meine Zustände letztendlich folgendes gesagt:
Ich habe Angst, wenn ich an einer roten Ampel stehe, oder im Supermarkt an der Kasse warten muß. Ja, was auch sonst? Ich habe kein Selbstvertrauen, also muß ich ständig in Bewegung bleiben, um vor meiner Angst vor der Welt um mich herum zu flüchten.
Ich habe Angst, daß ich krank werden könnte. Natürlich, denn wenn ich schon kein Vertrauen in mich selbst setze - wieso sollte ich dann Vertrauen in das für mich nicht sichtbare oder fühlbare Immunsystem setzen?
Ich habe Angst, daß mein Herz einfach so stehen bleibt. Das ist eigentlich klar, denn wenn ich kaum Selbstvertrauen habe - wie soll ich dann drauf vertrauen können, daß mein Herz über viele Jahrzehnte hinweg Tag für Tag, Stunde für Stunde und Minute für Minute anstandslos seinen Dienst tut?
Ich habe Angst, daß meine Freundin mich verlässt, weil ein anderer Mann viel besser sein könnte. Was sonst? Ich habe kein Vertrauen in mich, also weiß ich, daß jeder andere Mann im Grunde besser ist als ich. Wie könnte eine wunderschöne Frau auch interesse daran haben mit mir zusammen zu sein, wenn ich (in meinen Augen) also die hinterletzte Wahl bin?
Ich kontrolliere meine Wohnung 8 mal durch, bevor ich beruhigt gehen kann. Selbstverständlich, denn denn mein mangelndes Selbstvertrauen gebietet mir, daß ich unfähig bin, etwas schon beim ersten mal richtig zu machen!
Ich habe geglaubt 5 unterschiedliche Zwänge und Phobien zu haben, dich im Endeffekt waren es nur fünf Aussagen mit der gleichen Botschaft meines Unterbewusstseins. diese Botschaft ist so simpel wie einleuchtend:
Du bist unzufrieden mit dir selbst
Ich habe mir diese Botschaft seit 3 Monaten sehr zu Herzen genommen, und mich vollends meinem Leben gewidmet, und einfach mal bewusst darauf geachtet ,was mir nicht passt. Sei es nun in meinem Beruf, meiner Wohnung, meiner Beziehung ...
Seit ich nicht mehr kleinweise an meinen Ängsten arbeite, sondern einfach mein Leben anders organisiere, geht es mir gut. Keine Panikattacken, keine Angstzustände, keine depressiven Phasen, kaum mehr Eifersucht und keine Zwangsneurosen mehr.
Denkt mal nicht darüber nach wie ihr eure Ängste bekämpfen könnt, sondern was sie euch sagen wollen, und packt das Problem an der Wurzel, die oftmals unscheinbar und gewohnt im Alltag liegt, den man schon über Jahrzehnte lebt.
Liebe Grüße,
Pueblo
09.02.2009 15:38 • • 21.05.2017 x 13 #1