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Liebe Psychic-Gemeinde,

beim Lesen zahlreicher Beiträge würde ich oft gerne dem jeweiligen Betroffenen eine Kontemplation zu seinem speziellen Thema anbieten. Dass ich das meistens nicht tue, hat mehrere Gründe:

- Ich möchte den roten Faden nicht zu umfangreich unterbrechen
- Ich bin mir nicht sicher, ob der Betroffene mit Kontemplation etwas anfangen kann
- Ich möchte mir bei vergleichbaren Themen nicht diesselbe Arbeit mehrmals machen oder plump reinkopieren.

So kam mir die Idee, einen Sammelthread zum Thema Individuelle Kontemplationen zu erstellen, in dem jeder

- seine persönlichen Kontemplationen über eigene Probleme
- seine Kontemplations-Vorschläge zu Problemen anderer (aus anderen Threads oder anderweitigen sozialen Kontakten)

posten kann. Das hat den (platzsparenden) Vorteil, dass somit quasi ein kleines Kontemplations-Nachschlagewerk entstehen kann, auf das die jeweiligen Beitragsautoren ggfs. in anderen Threads per Link verweisen können. Zudem bietet es solitär genutzt irgendwann eine schöne Auswahl, die Interessierte als Anregung nutzen können, kreativ und offen selber an ihren Problemen zu arbeiten.

Hinweise für Autoren dieses Threads:

1. Bitte in der ersten Textzeile (idealerweise fettgedruckt, danach Absatz) eine präzise aber gleichzeitig kurze Beschreibung des Kontemplations-Objektes nennen.
2. Bitte im Text keinen namentlichen Bezug auf andere Personen oder Foris herstellen.
3. Bitte nie dozieren oder belehren sondern immer aus eigener Ich- Perspektive schreiben. Es geht darum, Eure eigenen Einsichen und Eindrücke mitzuteilen.
4. Bei späteren Ergänzungen Eures Beitrages bitte in der ersten Textzeile denselben Titel + Fortsetzung verwenden.

Hinweise für Fragen und Kommentare:

1. Bitte immer die Zitat-Funktion verwenden, um den jeweiligen Autor punktgenau zu erreichen.
2. Bitte bei grundsätzlicher Kritik an Kontemplationen entweder einen seperaten Thread eröffnen, oder bei den Einstellungen das Thema ignorieren wählen.


Was ist Kontemplation? Eine kurze Einführung.

Kontemplation wird oft mit Meditation in einem Atemzug genannt und das ganz zurecht. Es gibt aber gewisse Unterschiede. Die meisten populären Meditationen zielen darauf ab, Körper und Geist zu beruhigen. Das ist auch völlig in Ordnung und erfüllt auch bis zu einem gewissen Grad seinen Zweck.

Alte (östliche) Meditationstechniken jedoch zielten nicht nur auf Beruhigung sondern vor allem auf Einsicht, Weisheit und Befreiung vom Leiden ab. Wesentlicher Bestandteil hierbei waren Kontemplationen. Es bedeutet in unserem Zusammenhang

1. unvoreingenommenes Betrachten
2. weises Erwägen
3. interessierte Anteilnahme
4. existenzielles Ergründen.


Das bedeutet in der Praxis, sich in einigen Minuten der Stille bequem aber aufrecht hinzusetzen (notfalls geht es auch im Liegen) und einem Thema (in unserem Fall einem indiviuellem Problem, z. B. einem Zwangsgedanken) die volle Aufmerksamkeit zu schenken. Man lädt den Geist ein, nicht vor dem Thema zu flüchten, sondern sich ihm vollumfänglich zuzuwenden und es aussprechen zu lassen. Es werden Fragen nach Ursachen, Folgen, Symptomen etc. auftauchen - diese lässt man ebenfalls zu und wartet einfach ab. Nun versucht man, Ideen, kreative Sichtweisen, Lösungsvorschläge zu erwägen. Im Idealfall steht bei dieser Art von Untersuchung, das Subjekt (also das empfundene Ich) ebenfalls zur Disposition: Wer reagiert? Wo ist mein Geist? Exisitert das Ich überhaupt? Woraus besteht es? etc.

Derlei Entwicklung von Betrachtungsfragen sollten nicht erzwungen werden - ebensowenig ihre Beantwortung! Der Intellekt und die eventell erlernten geisteswissenschaftlichen Aspekte spielen hier überhaupt keine Rolle. Sobald man versucht, o. g. Fragen oder Probleme durch diskursives Denken zu klären, weicht man von der Kontemplation ab und verfällt in das (uns wohl recht vertraute) Terrain des Grübelns, welches erfahrungsgemäß kein Ende hat und nur weiteren Treibstoff für die Weiterentwicklung unserer Probleme liefert.

Es gilt also, schlicht bei dem Thema zu bleiben, in ihm einzutauchen und sämtliche Aspekte des Problems zu er-leben. Die Einsichten erarbeitet man nicht, sie [i]ergeben sich.[/i]

Dass dieser Prozess ein in jeder Hinsicht individueller ist, dürfte jedem der es mal praktiziert hat, schnell klar sein. Das gilt jedoch vorwiegend für die Praxis der Kontemplation. Die Einsichten jedoch sind meist eher universell - je nach deren Umfang.

Aus meiner persönlichen Erfahrung ist die individuelle Kontemplation eine äußerst tiefgreifende und deshalb nachhaltige Heilungsmöglichkeit. Sie geht direkt und unmittelbar an die Ursachen, sie ist buchstäblich wahrhaftig, da sie nicht den Geist ablenken oder umprogrammieren will, sondern ihn vielmehr klärt.

Im Grunde kennt jeder von uns solche Momente, wo ihn irgendwie von irgendwoher Wahrheiten anwehen, die zwar tief beruhigen und manchmal sogar beglücken (wahre Freude entsteht aus Weisheit!), aber meist nicht in Worten ausgedrückt werden können. Gezielte, regelmäßige Kontemplation ist die absichtliche Herbeiführung und Nutzung dieses Phänomens. Jeder Mensch trägt die Lösung seiner Probleme in sich. Kontemplation ist die Bemühung um deren Findung.

Indem wir hier in diesem Thread den Versuch unternehmen, zu eigenen oder fremden Themen eine Kontemplation wörtlich auszuformulieren, können wir uns selbst (zur späteren Erinnerung) und anderen (als kreative Impulse) wertvolle Unterstützung bieten.

Jede/r ist herzlich eingeladen, mitzumachen - für sich und die anderen!

25.03.2021 08:53 • 25.09.2024 x 7 #1


128 Antworten ↓


Pure Angst

Kein Gedanke stört, keine andere Emotion - nur dieses ängstliche Verweilen. Irgendwann ist es vorbei und der Geisteszustand hat sich geändert - zum Beispiel: Gelassenheit. Oder: Gedanken über irgendwas. Gedanken über Gedanken, über den, der denkt.

Die Medi-Timer gongt und die 30 Minuten sind vorüber. War es schlimm, vollständig und bewusst ängstlich zu sein? Eigentlich nicht. Eher das Gegenteil: Die Bewusstheit (!) während der Angst war. beglückend!

Wie kann das sein? Bin ich verrückt? Nein. Selten war ich mir bewusster, gewisser: DAS IST ANGST. Und dieses bewusste Erleben ohne jegliche Bewertung lässt sie mit einem Mal in einem anderen, ja, vertrauten Licht erscheinen. Sie ist seit jeher ein Teil von mir. Sie war quasi schon fast vor mir da (also vor meiner Bewusst-Werdung als Ich und Welt).

Je öfter ich mir diese Erfahrung verinnerliche, umso natürlicher fühlt es sich an, wenn ich ängstlich bin. Ich will sie nicht mehr loswerden. Sie ist Teil des Erlebens. Das ist OK. Das bin ich. Das darf ich auch sein.

A


Sammelthread Kontemplationen für individuelle Probleme

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Mitgefühl

Der Anblick meines Vaters im Pflegeheim, seine letzten Tage, bevor er aufhörte, weiterzuatmen.

Das Bild meiner Mutter im künstlichen Koma auf der Intensivstation.

Waren Eure Leben so, wie ihr Euch es Euch erhofft hattet? Konnten Eure Söhne die Erwartungen und Hoffnungen erfüllen? Habt Ihr so gelebt, wie es Eurem Charakter, Eurem Wesen entsprochen hätte?

Ich bezweifle es.

Ich stehe an Eurem Grab: Könnt Ihr meine Gedanken, meine Gefühle miterleben? Nein, nach all den Jahren... Aber was ist schon Zeit im Jenseits?

Ich kann mir keine anderen Eltern als Euch vorstellen. Ich bin ein Teil von Euch: Euer Wesen, Euer Aussehen, Euer Karma ist auch Teil meines Karmas, sonst wäre ich nicht bei Euch gelandet. Warum haben wir darüber nie gesprochen? Jeder von uns hat auf den nächsten Tag, die nächste Woche, das nächste Jahr hin gelebt. Auf den Tod hin - warum haben wir auch darüber nie geredet?

Mutter, Du wurdest als Kind von Deinem Vater missbraucht. Das sagte mir Dein Mann zwei Tage vor Deinem Tod. Er musste es für sich behalten. Für Dich, für uns.

Vater, Du warst in Deiner Familie mehr als unerwünscht. Und doch hast Du allen gezeigt, dass Du mehr Grips und Unternehmergeist als sie hast. Du hast Deinen leisen Stolz für Dich behalten.

Bruder, warum kam es so weit, dass wir den Kontakt abgebrochen haben?. War es der ewige Konkurrenzkampf? Wahrscheinlich. Auch wir werden nie offen miteinander sprechen, soviel ist klar.

Wievielen Familien geht es so? Hier in der Nachbarschaft, im Ort nebenan, in Deutschland, Europa, weltweit? Alle Milliarden und Abermilliarden Verstorbenen und noch Lebenden und Ihr, die nach uns kommen werden: Was wird von Euch übrigbleiben?

Diese Gedanken sind wahr. Ich sehe Eure Gesichter und erkenne mich. Ich fühle so sehr mit Euch allen, gerade weil (!) wir nie miteinander gesprochen haben. Weil für die Wahrheit seit jeher die Worte fehlen.

Mir kommen Tränen des Mitgefühls.

Für uns.

Für mich.

Danke für Euch alle. Ich kann Euch jetzt verstehen.

Und mir vergeben.

Lieber @moo

dein Zitat: ......Aus meiner persönlichen Erfahrung ist die individuelle Kontemplation eine äußerst tiefgreifende und deshalb nachhaltige Heilungsmöglichkeit. Sie geht direkt und unmittelbar an die Ursachen, sie ist buchstäblich wahrhaftig, da sie nicht den Geist ablenken oder umprogrammieren will, sondern ihn vielmehr klärt.....

Das sehe ich auch und konnte es teilweise schon erfahren, aber ich bin oft noch unsicher und hätte einige Fragen, bin mir oft unsicher, wie mache ich es nun richtig? Aber gibt es überhaupt ein Richtig oder Falsch? Eigentlich sind es nur Erfahrungen, oder? Zumindest kann ich sagen, dass ich die Panikattacken gut im Griff habe, dank E. Tolle und P. Beer. Leider falle ich oft wieder in mein altes Muster, besonders dann, wenn tausend Kleinigkeiten an Symptomen mir sagen wollen, das etwas nicht stimmt.

Jetzt lese ich mir erst mal deine anderen Beiträge in Ruhe durch.

Zitat von -IchBins-:
Aber gibt es überhaupt ein Richtig oder Falsch? Eigentlich sind es nur Erfahrungen, oder?

Letztlich geht es um nonverbale Einsicht. Diese ergibt sich oft, wenn der Geist sein diskursives, unterscheidendes Kommentieren und Beurteilen einstellt. Dies wiederum kann durch das stille Beobachten des jeweiligen Sachverhaltes, Gefühls oder auch Symptoms eingeleitet werden.
Es ist keine große Technik oder Begabung nötig, nur Geduld, Beharrlichkeit und vor allem Absichtslosigkeit.

Die befreiendsten Einsichten geschehen ohne direktes Eingreifen. Jegliches Wollen oder Abzielen vereitelt den unmittelbaren Einblick in die letztendliche Grund-Losigkeit jeglicher diskursiven Wahrnehmung.

Widrige Umstände

Ein Freund hat den Kontakt zu mir ohne Nennung von Gründen abgebrochen. Er ist nicht mehr Teil meines Lebens, meiner Wahrnehmung. Ich vermisse ihn. Ich verstehe es nicht. Habe Wut, Trotz und - letztendlich - Trauer.

Warum?

Hätte ich diesen Menschen nie kennengelernt, wäre keinerlei Geistesregung diesbezüglich. Hätte er mir erklärt, weshalb er so handelt, wäre alles halb so schlimm.

Warum fällt es uns so schwer, Unerwünschtes zu akzeptieren? Ich will nicht!

Warum fällt es uns so schwer, auf Erwünschtes zu verzichten? Ich will!

Haben wollen und loshaben wollen: Das ist unser klägliches Erleben.

Es ist an der Zeit, mich davon zu befreien. Aber halt: Das wäre ja wieder ein Loshaben wollen!

Vielleicht geht es nicht um die Umstände oder Dinge, die erwünschten und unerwünschten?

Geht es vielleicht um mich?

Eine lange, friedvolle Ausatmung fegt die Fragen beiseite. Ich bin fast nicht präsent. Präsent sind nur die unbenennbaren Vorgänge innerhalb und außerhalb dieser Elemente, welche ich als meinen Körper bezeichne.

Wer ist hier?
Wer ist weg?

Definiere hier, definiere weg!

Wer definiert?

Ruhiger, klarer Geist. Nirgendwo haftend.

Liebe

Ist es Liebe zwischen uns? Obwohl wir objektiv beurteilt grundverschieden sind?

Welcher Sinn wird bei der achtsamen Erinnerung an meine Geliebte am stärksten animiert?

- das Sehen
- das Riechen
- das Schmecken
- das Hören
- die Körperberührung
- das Denken?

Ich will mal versuchen, jenen Sinn, welcher am dominantesten reagiert, auszublenden. So, als wenn dieser Sinn nicht existieren würde. Wie ist das? Welcher Sinn dominiert dann? Und, wenn ich auch diesen ausblende: Was dann?

Was bleibt von der Liebe, wenn die Sinne fehlen würden?

Dasselbe gilt für meine Partnerin. Daraus folgere ich: Die Wahrscheinlichkeit, dass zwischen zwei Menschen alle Sinne gleich stark auf den Partner ansprechen, ist statistisch gering. Liebe an sich ist nicht existent. Sie befällt mich nicht. Sie wird mir auch nicht vom Partner geschenkt. Ich entdecke sie auch nicht.

Sondern? Sie ist in Abhängigkeit entstanden! Sie ist ein Nebenprodukt meiner Neigungen, meiner unbewussten ständigen Suche nach Wohl-Erfahren: Unterschiedliche Bewertungen sämtlicher Sinneseindrücke führten zu dem, was ich meine, zu sein. Die sogenannte Liebe ist also nichts zwischen uns, sondern Teil unserer jeweiligen Selbst-Bilder.

Sind diese Selbst-Bilder nun verlässlich stabil oder veränderlich? Wenn Sie veränderlich sind, was bedeutet das für Liebende?

Es muss bedeuten, dass jeden Augenblick eine kleine oder auch größere Veränderung stattfindet, abhängig von den ständig fließenden Zyklen von Sinneskontakt und Bewertung.

Ich möchte das Liebesgefühl noch näher betrachten. Da oben Erwogenes eindeutig in gewissem Maße zu Leid führen muss, frage ich mich:

Wenn die Bewertung von Sinneseindrücken Personen- oder Weltdinge-bezogene Liebe beeinflusst, kann dann umgekehrt eine unbezogene (!) Liebe meine Bewertung von Sinneseindrücken beeinflussen? Und somit das, was ich eben mein Selbst-Bild, mein Ich-und-Welt nannte?

Ich glaube, das ist möglich. Diese Fähigkeit zur nicht-bedingten Liebe liegt im Bereich des Menschenmöglichen.

Ich glaube, ich habe diese bedingungslose Liebe schon mal erlebt und bei anderen gespürt: Die Liebe der Eltern zum Kind könnte manchmal in diese Qualität fallen. Vielleicht auch eine Liebe zu einem Gott, einer Ethik?

Ich spüre, sie ist vorhanden, leise meist und oft unhörbar. Sie ist verlässlich, stabil. Gerade weil sie sich auf nichts (!) stützt. Sie benötigt keine Bedingungen, keine Sinneseindrücke, keine Personen. Und am allerwenigsten

mich.

Ich / Selbst / Seele

Dieser Text stammt von meinem besten Freund und Wegbegleiter und wurde vor 14 Tagen verfasst. Er behandelt eine der Hauptursachen des menschlichen Dilemmas aus Sicht der Buddhistischen Befreiungslehre (Dhamma). Auch diesbezügliche Meditationswege werden behandelt. Es wurde nicht explizit für das Forum geschrieben, doch ich habe seine Freigabe zur Veröffentlichung. Es sind gedruckt 9 Seiten - also ein Tässchen Tee und genügend Zeit mitbringen...

Ein bisschen Spaß muss sein!
Dhamma für Junkies



Ein bisschen Spaß muss sein, so wird gerne mal gesagt. Warum eigentlich? Warum
der Imperativ "muss"? Weil es beim Spaß bei genauer Betrachtung letztlich immer
um Zwang geht. Spaß, Freude, Glück und Zufriedenheit sind für den Normalbürger
immer mit Bedürfnisbefriedigung verbunden, aber weder wird die Ursache, sprich:
die Bedürftigkeit untersucht, noch die vermeintliche Befriedigung in Frage gestellt.
Werfen wir zunächst einen Blick auf die vermeintliche Befriedigung. Haben Sie
schon einmal etwas Befriedigendes erlebt? Vermutlich werden Sie die Frage bejahen.
Wer nicht?! Aber wenn das, was Sie und ich als befriedigend bezeichnen, tatsächlich
dieser Beschreibung gerecht werden würde, warum brauchen wir "es" dann immer
wieder? Ja, gerade wenn etwas als besonders befriedigend erlebt wurde, schreit dies
geradezu nach einer Wiederholung: Nach dem S. ist vor dem S., nach dem
Konzert ist vor dem Konzert, nach dem tollen Essen ist vor dem tollen Essen, und so
fort. Wann tritt denn endlich die versprochene Befriedigung ein, eine die wirklich
einmal friedlich ist und nicht ständig nach "wieder, öfter und mehr" verlangt?
Eine Erinnerung an einen typischen Freitag in jungen Jahren: Man machte früher
Feierabend, verbrachte den Nachmittag z.B. mit Sport, traf sich zum gemeinsamen
Abendessen, immer mit Blick auf die Uhr, denn man beabsichtigte ja noch in die
Spätvorstellung des Kinos zu gehen. Wenn man dann, weit nach Mitternacht, völlig
verhirnstrudelt aus dem Kino kam, war eine der ersten Fragen garantiert: "Gehn wir
noch was trinken, oder wollt ihr schon heim?" Egal was man an dem Tag schon alles
unternommen und erlebt hatte - es war nie genug.
In einem Gedicht schrieb Theodor Storm (1817-1888):

Der eine fragt: Was kommt danach?
Der andre fragt nur: Ist es recht?
Und also unterscheidet sich der Freie von dem Knecht.
Wer aber ist hier der Freie, wer der Knecht?

Zunächst mag es wirklich wie
Freiheit erscheinen, fragen zu können, was denn als nächstes auf dem Programm
steht. Die Möglichkeit der Auswahl. Nur, ist es denn tatsächlich eine Möglichkeit
wählen zu können oder ein Zwang wählen zu müssen? Freiheit? Knechtschaft!
Lächerliche Lakaien ihrer Leidenschaften blicken voller Arroganz auf diejenigen
herab, die in ihren Augen die Diener sind.
Aber wer hat den strengeren, unnachgiebigeren Herrn? Einen brutalen Antreiber,
der sie rund um die Uhr, Tag für Tag auf Trab hält: "Iss jetzt dies, trink jetzt das, kauf
jenes, schau dort hin, geh da hin, !"

Wie bei jeder Sucht gilt es, diese zunächst einmal überhaupt als eine solche
anzuerkennen. Das setzt aber das Erkennen voraus und dazu muss man hinsehen
wollen. Die vermeintliche Befriedigung ist aber nichts anderes als eine Sucht,
nämlich die Sinnensucht, welche ständig bedient werden muss, um eine noch viel
größere Sucht die dahinter liegt, zufriedenzustellen: die Selbstsucht. Dieses
essentielle Bedürfnis, ein bestimmter Jemand sein oder werden zu wollen, jemand der
nur auf eine ganz bestimmte Weise glücklich und zufrieden sein kann, zwingt uns
unablässig dazu, den angenehmen Sinneszufluß aufrecht zu erhalten. Wie unsere
jahrzehntelangen Bemühungen um diese Befriedigung beweist: sie ist der zwecklose
Versuch am Untauglichen.
Es gibt Menschen, die dem hiesigen Winter gen Süden entfliehen, andere
versuchen der Sommerhitze durch Reisen in kühlere Regionen zu entkommen. Den
Stadtmensch zieht es auf's Land, den Landmensch in die Stadt. Europäer machen in
Asien Urlaub und die Asiaten reisen zu uns. Mit gigantischem technischen Aufwand
führen wir das Leben von Amöben, welche auch nichts anderes tun, als angenehmene
Lebensbedingungen zu suchen. Homo sapiens?

Nichtsdestotrotz erleben die meisten, angeblich vernunftbegabten Menschen ihr
Amöbendasein nicht als solches. Wie es ein Herr in schönster Verblendung einmal
ausdrückte: "Ich sehe mein Leben aus der Perspektive des Zugewinns."
Ein Zugewinn ist aber, wie der Name schon sagt, etwas das wächst und mehr
wird. Was aber wächst und wird mehr, wenn wir durch ständiges Wiederholen und
Nachlegen des immer Gleichen nur wieder den Grad an Zufriedenheit erlangen, den
wir schon einmal hatten, jetzt aber ganz offensichtlich nicht mehr haben? Das was
hier als Zugewinn bezeichnet wird, ist bestenfalls Niveauregulierung, eigentlich aber
Verlustausgleich.
Sehen Sie sich doch einmal den Spülkasten in Ihrer Toilette an: Wie viel Wasser
ist dort schon hineingeflossen? Es müssen Kubikmeter sein. Und wie viel Wasser
befindet sich tatsächlich darin? Einige wenige Liter. Das sogenannte befriedigende
Zugewinnerleben ist nichts weiter als ein Spülkastendasein. Mit zunehmenden Alter
lässt sich auch der Abfluss nicht mehr so gut kontrollieren und der Zufluss verkalkt
zunehmend. Es wird immer schwieriger das Zufriedenheitsniveau zu halten und der
Zustand ständigen Mangels tritt immer deutlicher zu Tage.

Wie oben erwähnt, liegt dem Wunsch nach Sinnesbefriedigung eine
Bedürftigkeit, ein chronischer Mangel zu Grunde. Woher kommt dieser Mangel? Es
ist das andauernde Bedürfnis nach Selbst-Bestätigung.
In der ersten der Vier Edlen Wahrheiten beschreibt der Buddha genau dieses
Problem: Es existiert Dukkha das Nicht-zufriedenstellende.
Was aber ist dieses Nicht-zufriedenstellende? Es ist das Aneinanderhaften, die
Zusammenballung der fünf Daseinsgruppen oder Erlebniskategorien zu einem
Persönlichkeitserleben: Form, Gefühl, Wahrnehmung, Absichten und Bewusstheit
verklumpen zu einem Selbst-Erleben. Da dieses Selbst-Erleben aber ausschließlich
auf unbeständigen, ja geradezu flüchtigen Komponenten beruht, ist es gar nicht
möglich jemand zu "sein" (im Sinne einer festen, beständigen, klar begrenzten und
unabhängigen Persönlichkeit), sondern es ist ein ständiges Werdens-Streben, welches
nie an ein Ziel gelangt nie an ein Ziel gelangen kann!
Solange dieses unsinnige Werdens-Streben nicht als solches erkannt wird, sind
die Menschen gezwungen, bis zu ihrem Lebensende wie ein Esel der vor der Nase
baumelnden Karotte des Befriedigungsversprechens nachzulaufen. Oder wie es
jemand sehr treffend formulierte: Der Tod ist das endgültige Scheitern der
Selbstoptimierung.
Um nun das Werdens-Streben, also diese Sucht der Selbst-Bestätigung, als eine
echte Suchtkrankheit erkennen zu können, genügt es, wie bei jeder Sucht, sich auf
Entzug zu setzen. Wie geschieht dies? Durch freiwillige Selbstbehinderung, wie es
ein edler Freund und Wegbegleiter einmal bezeichnete. Wenn Ihnen der Begriff
Selbstbehinderung zu rabiat erscheint, können Sie gerne auch Selbstbeschränkung
dazu sagen. Diese ist sehr einfach zu erlangen: Setzen Sie sich einfach einmal hin und
tun das, was Sie so oft schon tun wollten: nichts!

Nehmen Sie sich einmal eine halbe Stunde Zeit, in der Sie keine wichtigen
Aufgaben zu erledigen haben. Schauen Sie, dass Sie weder hungrig noch durstig sind
(wenn möglich auch kein Völlegefühl haben). Blase und Darm sollten auch soweit
entleert sein, dass sie sich in dieser halben Stunde nicht unangenehm bemerkbar
machen. Sitzen Sie aufrecht aber nicht steif an einem Ort, der nicht viel Ablenkung
bietet. Sie befinden sich in einer friedlichen und nicht bedrohlichen Umgebung.
Niemand zwingt Sie zu irgend etwas. Machen Sie sich klar, dass es in den nächsten
dreißig Minuten keine Aufgabe zu erledigen gibt. Sie müssen nichts erreichen oder
am Ende irgendein Resultat vorweisen. Sie dürfen jetzt einfach heiter-gelassen
verweilen. Vorsicht: es geht hierbei nicht darum, apathisch abzuhängen oder bräsig
stumpf vor sich hinzudösen.
Können Sie hellwach und klar diesen gegenwärtigen Moment, so wie er ist,
erleben ohne korrigierend einzugreifen? Es ist ein Angebot des Friedens und der
Freiheit. Sind Sie in der Lage, dieses Angebot anzunehmen? Und wenn ja, für wie
lange?
Nach wie viel Minuten (oder bereits Sekunden) fängt der Kampf mit der
Gegenwart an? Welche Reaktionen tauchen auf? Langeweile, Unmut, Ängste? Das
Abschweifen in Erinnerungen, Phantasien, Hoffnungen oder Befürchtungen?
Eigentlich gäbe es keine Grund zur Unzufriedenheit, denn alle körperlichen
Bedürfnisse sind gestillt und geistig haben wir auch keine Aufgabe, keinen Stress.
Warum halten wir es im gegenwärtigen Moment, so wie er ist, nur so kurz aus? Weil
er dem Ego kein Futter bietet. Weil wir die Flüchtigkeit aller Eindrücke erkennen
könnten und in dieser Instabilität das Ego keinen Halt fände.

Um die Selbst-Illusion aufrecht zu erhalten, muss der süchtige Geist seinen
"Stoff" bekommen und dieser Stoff ist je nach Charakter unterschiedlich ausgeprägt.
"Es" muss etwas in einer bestimmten Form erlebt werden. Dieses "Es" ist die Illusion
eines festen, beständigen und von der (Außen-)Welt unabhängigen Selbst und dieses
Selbst definiert sich über bestimmte Attribute, welche kontinuierlich gepflegt werden
müssen.
Manche identifizieren sich über ihre Tätigkeiten und sind gezwungen ständig
etwas zu tun, nämlich "ihre" Arbeit, die "sie selbst" geleistet haben, wobei sie
komplett ignorieren, dass egal was sie tun, nichts davon völlig selbstständig und
unabhängig von anderen Personen und äußeren Umständen zustande kommen kann.
Andere brauchen den ständigen Sinneskitzel in Form von Klängen, Bildern,
Gerüchen und Geschmäckern. Abwechslung um jeden Preis, nur ja kein Innehalten,
keine Stille oder Pause, denn sonst würde der mangelnde Ereignisschub das Ego zum
Taumeln bringen.
Nicht zuletzt gibt es auch sehr viele, die sich über ihren Intellekt definieren.
Diese brauchen zwar weniger die groben Sinnesreize, wohl aber Futter für den
Verstand. Ob es sich dabei um tiefsinnigste Philosophien handelt oder um technischwissenschaftliche
Planspiele ist zweitrangig, Hauptsache der geistige Waldi hat einen
saftigen Knochen: "Ich denke, also bin ich!".

Was allen gemein ist: ein Befriedigungsgefühl ist nur unter bestimmten äußeren
Umständen und mit beträchtlichem Aufwand an Energie zu erreichen und immer
nur temporär. Echte, beständige Zufriedenheit kann so nicht verwirklicht werden.
Nur wen bereits im Laufe des Lebens die Ahnung beschleicht, dass bei diesen
"Befriedigungen" etwas ganz grundsätzlich nicht stimmt, wird das Interesse und auch
den Mut(!) aufbringen, sich und seine Denk- und Verhaltensmuster einer echten
Analyse zu unterziehen. Das Ausrufungszeichen hinter Mut steht dort durchaus zu
Recht, denn es gehört eine gehörige Portion Mut dazu, das eigene Selbstbild zu
zerlegen, denn dieses entpuppt sich schon sehr schnell als bloße Vorstellung und was
hinter dieser Da-vorstellung zum Vorschein kommt, ist oft sehr ernüchternd, wenn
nicht gar schockierend.
Bereits die oben erwähnte Zen-Übung des nicht-eingreifenden, rein
beobachtenden Verweilens (jap.: shikantaza) offenbart sehr schnell die Grundkräfte,
welche uns ständig durchs Leben ziehen und pressen: Gier und Hass. Auch wenn
diese Begriffe äußerst zutreffend sind, rufen sie häufig Protest hervor: "Ich hasse
doch niemanden!" "Ich bin doch kein gieriger Mensch!" Nun, auch in verdünnter
Form bleibt eine Säure eine Säure, Sie können schließlich auch mit edelstem
Balsamico-Essig Kalkreste auflösen. Und mit Sicherheit würden Sie Abstand davon
nehmen, Katzenpisse zu trinken, selbst wenn diese in extrem verdünnter Form
serviert würde. Aber gut, ich biete Ihnen zwei verträgliche Euphemismen für Gier
und Hass an: Begehren und Aversion, einverstanden?
Nicht selten bekommt man von Neulingen (aber auch von alten Hasen) bei sog.
Retreats (dt.: Meditations-Klausur oder -Exerzitien) zu hören, dass in den ersten
Tagen die Zustände, wegen denen man sich ja erst zu einem Retreat entschlossen hat,
immer schlimmer würden. Dieser Eindruck täuscht; es zeigt sich unser mentaler Ist-
Zustand nur erstmals ungeschminkt und dieser Anblick passt meist nicht zum
Selbstbild und wird deshalb vehement geleugnet. "Ich bin doch nicht so!"
Keineswegs, aber das Ich ist so und genau darum geht es in der Dhammapraxis
dieses erlebte Ich genau zu betrachten, sein Zustandekommen zu erkennen und der
Frage Raum zu geben, ob es denn erstrebenswert ist, dieses nie-zufriedenstellende Ich
weiter zu kultivieren.

Hier stellt sich die Weiche zwischen Wohlbefinden (Wellness) und Entzug,
Entsüchtung und letztlich völliger Befreiung. Durch bestimmte Methoden, unter
Zuhilfenahme der Gruppendynamik, können geschickte Lehrer(?) ihren Schülern
(Kunden) leicht den Eindruck vermitteln, das Problem der ständigen Unzufriedenheit
ließe sich wegkonzentrieren. Was ja nachweislich auch funktioniert nur, wie lange?
Na eben bis zum nächsten (kostenpflichtigen) Retreat. Anstatt die Ursachen zu
beseitigen, werden sie neu verpackt, um die Symptome temporär zu lindern. Mittels
bestimmter Techniken wird dem Begehren nach angenehmen Zuständen und der
Aversion gegen den gegenwärtigen Istzustand nachgegeben und so versucht, eine
dauerhafte Befriedigung zu erreichen. Dass sich so aber kein Frieden finden lässt, ist
schon allein deshalb offenkundig, weil diese Techniken meist einen bestimmten
Rahmen (Ort, Gruppe, Guru, etc.) erfordern, welcher im Alltag niemals aufrecht zu
erhalten ist.

Eine Lehre, die zur Befreiung von dieser chronischen Unzufriedenheit namens
Dukkha führen soll, muss eben auch der Bezeichnung "Lehre" gerecht werden, d.h.
sie muss eine nachvollziehbare Theorie enthalten, die sich dann aber auch in eine
orts-, gruppen- und lehrerunabhängige, sprich: selbstständige Praxis entwickeln kann.
Der Weg in die (Sucht-)Freiheit beginnt mit diesem o.g. beobachtenden
Verweilen, welches uns ermöglicht, den Ist-Zustand klar und unverzerrt zu
betrachten. Wenn uns das, was wir dann sehen nicht gefällt um so besser. Weshalb
sollten wir praktizieren, wenn es nicht eine unschönen Grund dafür gäbe? Das was
wir da erkennen können, ist unsere Ausgangslage. Diese nicht zu akzeptieren oder gar
zu leugnen, wäre nicht nur wenig hilfreich im Sinne einer Befreiung, sondern
schlichtweg absurd.
Der nächste Schritt besteht darin, dieses Verweilen auszudehnen, oder um es sehr
deutlich auszudrücken: sich dem Entzug auszusetzen, ohne sofort reaktiv
einzuknicken. Was passiert tatsächlich, wenn ich meiner Gier und meinem Hass nicht
sofort nachgebe? (Verzeihung, ich meinte natürlich das Begehren und die Aversion.)
Was passiert, wenn ich dem Ego-gequengel nicht Folge leiste? Es wird lauter. Je
länger ich einfach still verweile, desto mehr Geschütze fährt das "arme und
vernachlässigte" Selbst jetzt auf: Unmut, Ärger bis hin zum Zorn über diese
"schwachsinnige Zeitverschwendung!"; Langeweile, die in Träumerei flüchtet;
Unwohlsein bis hin zur Panikattacke. Wenn alle psychischen Werkzeuge versagen
und man trotzdem sitzen bleibt, greift das Ego in die physische Trickkiste:
Schmerzen, die uns klar machen, dass wir unsere Gesundheit nachhaltig schädigen,
wenn wir diese minutenlange Tortur nicht sofort abbrechen. (Wobei anzumerken ist,
dass manche Personen auf Grund von bestimmten Erkrankungen wie etwa
Hämorrhoiden oder Bandscheibenproblemen tatsächlich besser daran täten, im Gehen
und Stehen zu Üben, was übrigens genauso gut funktioniert.)

Wenn Sie Ihre Lebenszeit auch bereits in Jahrzehnten messen und falls Sie über
eine durchschnittliche Verdauung verfügen, dann rechnen Sie sich doch einmal aus,
wie oft Sie in diesem Leben schon auf dem "Topf" saßen und ihren Darm entleert
haben. Sie dürften eine fünfstellige Zahl als Resultat erhalten. Waren Sie immer in
der gleichen Verfassung bei diesem Vorgang? Wohl kaum; Sie werden Ihr Häufchen
mal müde, mal wach, mal gesund, mal krank, mal glücklich oder traurig versenkt
haben. Genau diese Haltung ist bei einer Meditation, welche zu einer brauchbaren
Einsicht verhelfen soll von Nöten. Es spielt nicht die geringste Rolle, in welchem
mentalen Zustand Sie sich befinden, wenn Sie meditieren Sie können trotz aller
Unannehmlichkeiten einfach sitzen und beobachten. (Einzig auf die Darmentleerung
sollte dabei verzichtet werden.)

Gelingt es Ihnen, etwas länger bei der Sache bei Ihrer Sache zu bleiben,
können Sie einige sehr interessante Phänomene beobachten:
1.) Was auch immer an mentalem Tumult auftaucht, er erweist sich als
unbeständig. Selbst länger anhaltende Zustände, wie Ärger, Angst oder depressive
Stimmungen sind bei genauerer Betrachtung gar nicht so gleichförmig und stabil und
kontinuierlich, wie sie auf den ersten und oberflächlichen Eindruck erscheinen.
2.) Wenn diese Zustände a) unbeständig sind und b) ohnehin von mir nicht
erwünscht sind: Was haben diese Zustände dann tatsächlich mit mir zu tun?
3.) Wie ist es überhaupt möglich irgendeine Beschreibung des gegenwärtigen
Geisteszustandes zu machen? Offenbar gibt es hier eine übergeordnete Instanz, die
Bescheid weiß. Aber diese Instanz selbst ist mit den Geisteszuständen gar nicht
involviert! Das Wissen um den Ärger ist nicht verärgert; das Wissen um die Angst ist
nicht verängstigt; usw..
4.) Das Kennenlernen dieser distanzierten Erlebnisebene schafft zunehmend
größer werdende Inseln von Stille und Frieden. Eine ganz neue Glückserfahrung wird
gemacht: man lernt das "grundlose" Glück kennen. Grundlos in zweierlei Hinsicht:
Erstens gibt es keinen ersichtlichen Grund im herkömmlichen Sinne für dieses
Glücksempfinden, schließlich tut man ja mal nichts, um einen solchen Zustand zu
erreichen. Es wird nichts konsumiert, man sucht keinen speziellen Ort mit
"Eventcharakter" auf, ja ganz im Gegenteil: man verweilt evtl. gerade bei einem
Geisteszustand der eigentlich alles andere als angenehm ist! Diese "Grundlosigkeit"
im alltäglichen Sinne ist natürlich durchaus kausal, aber diese Kausalität beruht auf
der nicht-wollenden und nicht-ablehnenden Haltung gegenüber dem, was jetzt so ist,
wie es eben ist.
Zweitens ist dieses Glückserlebnis deshalb grundlos, weil diese Quelle sich nicht
erschöpft; man kann ihr nie auf den Grund kommen. Alle anderen, gewöhnlichen
Freuden sind meist sehr schnell ausgeschöpft, weil sich entweder die äußeren
Umstände verändern oder bei gleich bleibenden Umständen sich die innere
Einstellung dazu ändert. Hören Sie sich einfach Ihr Lieblingsmusikstück
ununterbrochen den ganzen Tag an und Sie wissen, was ich meine. Oder verbringen
Sie einfach mehr Zeit im Kreise Ihrer Liebsten, also sehr, sehr viel mehr Zeit

Hier ist aber eine Freude erlebbar, die auf der Freiheit von allen Begebenheiten
beruht. Ein Glück das auf einer Unbewegtheit basiert, wie ein Rohr, das nicht von
den Durchflüssen mitgerissen wird. Anders ausgedrückt: Das Erleben ist unabhängig
vom Erlebnis; der Geist ist nicht sein Inhalt. Das leidende, süchtige Ego ernährt sich
aber ausschließlich von den Erlebnissen, den Geistesinhalten. Dies gilt es jetzt
genauer zu untersuchen.

Das rein beobachtende, nicht-eingreifende Verweilen erlaubt, ab einer gewissen
Stabilität, feinere Strukturen des alltäglichen Erlebnisprozesses zu erkennen. Unser
gesamtes menschliches Lebens-Erleben beruht auf Sinneskontakt, wobei der Buddha
zu den uns bekannten fünf Sinnen auch das Denken als Sinn begreift. Sinneskontakt
kann in drei Komponenten zerlegt werden: Das Erfassende, das Erfasste und das
Erfassen. Am Beispiel des Sehens sehr leicht nachvollziehbar: Das Sehende (Auge
incl. Zubehör), das Gesehene (Form, Farbe und/oder deren Veränderung), der
Sehvorgang (Seheindruck). Wie bei einem Bleistift: Spitzes Ende, stumpfes Ende und
der Schaft, der die Enden verbindet. Keine der Komponenten kann an und für sich
existieren. Falls Sie jetzt einwenden wollen, das ein Auge auch für sich allein, ohne
ein zu Sehendes und einen Sehvorgang existieren kann, dann haben Sie "Auge" im
Zusammenhang von Sinneskontakt nicht verstanden. Die reine "Biomasse" mag im
pathologischen Sinne ja als Auge bezeichnet werden, zum Auge als solches wird es
erst durch den Kontakt. Ein blinder Mensch mag zwar auch über zwei gallertartige
Auswüchse verfügen, Augen als solche stehen ihm leider nicht zur Verfügung.
Nun ist aber jeder Sinneskontakt mit dieser, eher technischen Beschreibung nur
unzureichend erfasst, denn zu jedem Sinneserleben gehört ja auch das bewusste
Erleben eines solchen. In der Sprache des Buddha heißt dies Viñña und bedeutet
wörtlich soviel wie "getrennt wissen" oder "unterscheidend erkennen". Dies ist leicht
zu verstehen, denn wir wissen ja sehr wohl, ob wir nun sehen oder hören oder
schmecken oder was auch immer. Der westliche Begriff des Bewusstseins ist sehr
irreführend, da dort von einem, dem Bewusstsein ausgegangen wird, in dem sich
unser Erleben abspielt. Dieses Bewusstsein ist aber das, was der Buddha als Viñña-
Khandha bezeichnet hat, also die Anhäufung aller stattfindenden Bewusstheiten.
Zusätzlich gibt es beim Sinneserleben noch eine entscheidende Komponente,
welche ausschlaggebend ist für unsere ganze Daseinsproblematik: das Gefühl. Auch
hier gilt es, diesen Begriff von unserer landläufigen Bedeutung klar zu unterscheiden.
Das, was wir gemeinhin als Gefühle bezeichnen, sind meist Empfindungen oder
Emotionen. Diese setzen sich aber aus Wahrnehmung, also Sinneskontakt (Spüren
oder Denken), der Bewusstheit darüber und dem begleitenden Gefühl zusammen. Das
begleitende Gefühl kennt aber nur zwei Kategorien: angenehm oder unangenehm*. (*Anm: Das häufig als neutral bezeichnete Gefühl gibt es lt. den Lehrreden nicht. Was sehr wohl existiert ist ein wederangenehmes-
noch-unangenehmes Gefühl, welches je nach dem, ob es als solches überhaupt erkannt wird, als
angenehm erlebt wird, ansonsten als unangenehm. (Siehe z.B. MN44 oder in der Vedan-Samyutta SN 36,3)
Das was als "neutrales Gefühl" bezeichnet wird, ist das gesamte Vedan-Khandha, also die Gesamtmasse aller
akuten Gefühle welche sich gerade die Waage halten, somit ein sowohl-als-auch und kein weder-noch Gefühl!
Hier liegt entweder Unkenntnis der Lehre vor oder ein Mangel an Klarblick oder beides.)

Wird nun eine Sinneswahrnehmung von einem angenehmen Gefühl begleitet, tritt
umgehend das Begehren (Gier) auf, diesen Zustand zu steigern oder zumindest zu
halten. In Begleitung eines unangenehmen Gefühls tritt die Aversion (Hass) auf den
Plan und bemüht sich diesen Umstand zu vermeiden. So oder so: ein klarbewusstes
Erkennen dieser begleitenden Gefühlserscheinung und somit ein unbewegtes Erleben
findet nicht statt, sondern sofort reagieren die ungebändigten Triebe mit Pro oder
Contra und zwingen uns zu einer Reaktion. Eine Reaktion, die wie gesagt eine
Zwangshandlung darstellt und somit weit entfernt von jeder vermeintlichen
"Willensfreiheit" ist und außerdem meist überflüssig, wenn nicht gar unheilsam ist.
Diese Reaktionen führen nämlich zwangsläufig zu einer Situationsänderung, auf die
wieder mit dem gleichen Muster reagiert werden muss, ad infinitum.
Der klassische Suchtzirkel: Aus unreflektierter Unzufriedenheit wird nach einer
Lösung gegriffen, die, weil sie nur die Symptome bekämpft, automatisch wieder zum
Ausgangspunkt der Unzufriedenheit zurückleitet, was zum erneuten Greifen der
vermeintlichen Lösung führt, nun mit Dosiserhöhung, , Burn-out, Depression, ,
Dro., Psychopharmaka, , , Tod, Wiedergeburt, Alter, Krankheit, Tod:
Gehen Sie zurück auf Los, ziehen Sie keine Erkenntnis ein und fangen Sie das immer
gleiche Spiel von vorne an.

Ein bisschen Spaß müsste jetzt schon sein, aber was macht noch Spaß beim Blick
in den Spiegel oder am Grab eines geliebten Menschen?
Was unterscheidet nun einen völlig erwachten Menschen (Arahant) von einem,
der das Ende des Heilpfades noch nicht erreicht hat? So ein Arahant erlebt auch ein
Sehen, Hören, Riechen, etc., sprich: er hört, sieht und denkt und scheint sich in
seinem Verhalten nicht großmächtig von dem anderer Menschen zu unterscheiden.
Der Unterschied besteht darin, dass bei uns (Sie gestatten, dass ich auch Sie zum
Kreise der Unerleuchteten zähle?) eben kein Sehen, Hören oder Denken stattfindet,
sondern dass bei uns ein "Ich sehe etwas.", "Ich höre etwas.", "Ich denke etwas."
geschieht. Es kommt mangels klarbewusstem Erkennen (sati-sampajañña) zu einem
folgenschweren mentalen Bruch:
Dort wo ein Arahant bestenfalls unterscheidet, dort trennen wir und schaffen so
ein ICH in einer davon getrennten WELT. Das Erleben wird von einem angeblich
unabhängigen Erleber abgesondert, obwohl beides, wie gesagt zwar unterscheidbar,
nicht aber trennbar ist. Wenn nun dieser durch Verblendung erzeugte Erleber mit
"seinem" Erleben nicht zufrieden ist und wie könnte er es sein, wenn sich das
Erleben ständig verändert? - versucht er ebenso ständig das Erleben, sprich: die Welt
seinen Bedürfnissen anzupassen, mit den bekannten Resultaten.
Der nicht länger verblendete Arahant hat dieses unsinnige Bemühen eingestellt
und sich von seiner Rolle als Ego-Akteur im Welt-Theater verabschiedet und lebt
seither in heiter-gelassener Zufriedenheit. Außenstehende können dies aber nicht
erkennen, denn auch ein Arahant erlebt ja nach wie vor Wahrnehmung durch
Sinneskontakt, mitsamt den damit verbunden angenehmen, aber auch unangenehmen
Gefühlen. Nur ist bereits der Ausdruck " ein Arahant erlebt ..." irreführend, weil
eigentlich niemand mehr da ist, der etwas erlebt; es findet einfach nur ein Erleben
statt. Dies ist vielleicht der wesentliche Unterschied zwischen dem Heilsuchenden und
dem, der es bereits gefunden hat: diese "m": Ein Erleben statt mein Erleben, ein
Körper statt mein Körper, ein Gedanke statt mein Gedanke. Der Unterschied scheint
marginal zu sein, aber wie heißt es im Shinjin Mei so schön: "Ein Haarbreit Abstand
und schon klaffen Himmel und Hölle auseinander."
Wir rotieren auf der samsarischen Töpferscheibe auf immer verschiedenen
Umlaufbahnen im Kreis, ohne jemals wirklich ein zufriedenstellendes Ende zu
erreichen. Kämpfen wir aber gegen die Zentrifugalkräfte des Begehrens und der
Aversion (darf ich Gier und Hass sagen?) an und erreichen den Mittelpunkt der
Töpferscheibe unseren Mittelpunkt, nämlich den unbewegten, klarbewussten Geist
dann gibt es keine Umlaufbahn mehr, kein Rotieren, denn der Mittelpunkt dreht
sich nicht. Dort ist der Ausgang aus Samsara, wie in Dantes "Göttlicher Komödie",
wo der Ausgang aus der Hölle mitten in ihr zu finden ist.

Wir müssen uns nicht bemühen irgendwohin zu kommen oder besondere
magische Fähigkeiten und Kräfte zu entwickeln. Es ist alles schon da was wir
brauchen und auch das was der Buddha als das Ungeborene, das Nicht-bedingte, das
Nicht-gestaltete, das Todlose bezeichnet hat, also Nibbana, auch dies war und ist nie
getrennt von uns; wir können es nur nicht sehen, weil wir in unserem GierHass-
Kettenkarussel zu schnell daran vorbeirasen.
Früher antwortete ich gerne auf die Frage, warum ich denn Zen praktiziere mit:
"Weil ich verrückt bin!" Ver-rückt im wahrsten Sinne des Wortes, nämlich aus der
Mitte des Friedens herausgerückt und meine Aufgabe ist es mich wieder zu Zentrieren.
Wenn man sich hier nicht im Wortspiel verliert, erkennt man die einfache aber
tiefe Wahrheit dahinter.

Ich wünsche Ihnen, dass Sie es schaffen Ihr Kettenkarussell wenigstens so weit zu
verlangsamen, dass Sie die Strukturen der unheilsamen Selbstsucht erkennen können
und evtl. sogar den Knopf zum Anhalten finden. Möge Ihnen der Ausstieg gelingen.

Ich danke Ihnen für Ihr Interesse.
* * *
P.S.: Vergessen Sie bitte nicht, gelegentlich ein Heißgetränk Ihrer Wahl in Begleitung
von etwas Gebäck zu verzehren, denn:
Ein bisschen Spaß darf sein!

Tausend Dank lieber moo ! jetzt verstehe ich auch deine Frage an mich in dem anderen Faden noch besser.

Darf ich fragen, ob sich Deine Beschäftigung mit Klängen und Optischem seit dem Verlust des Riech- und Geschmackssinnes noch irgendwie subjektiv verändert hat?

Ich habe zwar schon dort geantwortet, nach diesem wichtigen Text fallen mir weitere Gedanken dazu ein.
Daß ich in der priviligierten Lage, mein Leben zu verlangsamen schon über 30 Jahre bin und auch praktiziere.
Dafür bin ich meiner Bestimmung diesen furchtbaren Kopfsturz überlebt zu haben, sehr dankbar. Es war für mich eine Chance, aus diesem unheilvollen Kettenkarusell zu entkommen. Das wiegt viel mehr, als meine Sinnesverluste, die ich mit Neuen Wahrnehmungen ausgleichen konnte. Mein Leitspruch hier alles Unglück ist Nahrung für neues Leben, Immer Neu Leben ist von dem Zen-Meister Nagaya Kiichi.
Mit der Zenliteratur und mit von mir praktizierten Zenerfahrungen in einem Dojo, erschlossen sich für mich neue Wege, aus dem Rad des Leidens ein Stück heraus zu kommen.

Ent-Denken

Letztlich haben uns Gedanken dahin gebracht, wo wir uns gerade befinden. Sowohl psychisch als auch körperlich.

Wir, unser Leben, die Welt - alles ist erdacht. Denken ist deshalb kein Werkzeug welches wir benutzen, sondern es formt uns.

Formen ist zugleich Begrenzung: Ein-, Ab- und Ausgrenzung. Grenzen dualisieren, isolieren, teilen.

Dualisation verstehe ich im biblischen Sinne als Vertreibung aus dem Paradies, als kosten vom Baum der Erkenntnis.

Erkenntnis ist Dualität, Unterscheidung und vor allem: Meins und Nicht-Meins.

Dualität ver-Mein-t. Schafft somit auch das Ich.

Der Fall aus der Einheit in die Dualität ist eine Wurzel des Leidens des menschlichen Geistes. Überall wo wir Einheit spüren, empfindet der Geist Friede, Heimat, Ursprung.

Ent-Denken wir uns und Welt zurück auf das Nichtgeborene, auf das Weder-Meine-Noch-Nicht-Meine.

Schöpfergeist

Den Dingen geht der Geist voran; der Geist entscheidet:
Kommt aus getrübtem Geist dein Wort und dein Betragen.
So folgt dir Unheil, wie dem Zugtier folgt der Wagen.

Den Dingen geht der Geist voran; der Geist entscheidet:
Entspringen reinem Geist dein Wort und deine Taten,
folgt das Glück dir nach, unfehlbar wie dein Schatten.

(Dhammapada 1 2)
Quelle: palikanon.com

Gewissheit und Ungewissheit sind Phantome


[Zitat:] Der Tod ist eine Gewissheit.

Ja, das stimmt. Aber damit kann man nicht viel anfangen, weil keiner mit Gewissheit sagen kann, was der Tod letztendlich für mich bedeutet, wenn es soweit ist. Somit ist der Tod eine der allergrößten Ungewissheiten für menschliches Dasein.

[Zitat:] Die Vergangenheit ist gewiss.

Selbst das stelle ich ernsthaft in Frage: In Träumen z. B. kann die Vergangenheit sehr wohl sehr gegenwärtig erlebbar sein. Auch bei Zwängen und Zwangsgedanken erwacht mitunter Vergangenes wieder zum sehr gegenwärtigen Erleben. Für den erlebenden Geist sind Ort und Zeit völlig unbedeutend.

[Zitat:] Und in den Fällen, in der die Gewissheit nicht gegeben ist, besteht Ungewissheit. In ganz vielen Fällen ist einem die Ungewissheit komplett egal - und in anderen kann sie einem zermürben. Wie im Falle von Zwangsgedanken und Grübeleien.

Rupert Sheldrake, einer der renommiertesten Forscher unserer Zeit sagte einmal: Wissenschaft ist der aktuelle Stand der Unkenntnis.
Wir sollten mit den Begriffen Gewissheit und Ungewissheit deshalb sehr achtsam umgehen - vor allem uns selber gegenüber. Wie schon angedeutet, sehe ich beide Überzeugungen als unzutreffend an.
Deshalb: Je mehr ich von der Gewissheit einer Sachlage (oder was auch immer) überzeugt bin, umso schwerer MUSS die Ungewissheit des Gegenteils wiegen. Es ist wie mit einer Schablone, die sowohl den Innenraum als auch den Außenbereich einer Form definiert.
Mit sämtlichen Bewertungen schaffen wir Dualitäten, die wiederum die Grundlage für Zweifel bilden können. Können dann, wenn wir sie unhinterfragt deterministisch einsetzen. Da es keine 100%ige Sicherheit/Unsicherheit gibt, MUSS der Geist zweifeln. Dies jedoch nur, wenn er von der Existenz derselben ausgeht.
Man kommt im Alltag ohne Bewertungen nicht aus, jedoch sollten wir uns hüten, sie existenziell für voll zu nehmen.

Hallo, ich finde alles was du schreibst @moo sehr interessant. Mir geht es seit einem Dreivierteljahr nicht gut nach Absetzen von Escitalopram, dann Tinnitus und Angst und Depression. Ich nehme es wieder (7,5 mg) , aber es wirkt nicht so gut wie vorher. Nun probiere ich seitdem mit Yoga, Entspannungstechniken, Meditation und Akzeptanz, besser klarzukommen; nicht sehr gut , leider. Ich habe auch einen Achtsamkeitskurs gemacht und im Moment die Angst zu erleben und sie zu lassen. Das hat mir leider noch viel mehr Angst gemacht, mir wurde manchmal sogar übel. Meine Frage ist, wie ich da besser mit umgehen kann und wer hat Erfahrungen damit ?

Guten Morgen Sprotte (netter Name!),

Zitat von Sprotte:
Meine Frage ist, wie ich da besser mit umgehen kann und wer hat Erfahrungen damit?


Es ist ein nicht zu unterschätzendes Problem: Die Absicht, durch Meditation und Achtsamkeitsübungen etwas zu erreichen oder loszuwerden, verhindert zuverlässig den Erfolg.

Fast niemand im psychotherapeutischen Bereich weist darauf hin. Deshalb bleibt es bei fast allen Menschen, die über Therapie zur Meditation kommen, nur bei minimalen positiven Effekten. Weshalb? Weil meist keine Einsicht erfolgte.

Meditation bedeutet unter anderem Absichtslosigkeit.
Achtsamkeit bedeutet vorwiegend Nicht-Einmischen.

Ein depressiver, ängstlicher, panischer Geist kreist ständig um Sich (Körper, Gedanken, Vergangenheit, Zukunft, Dringendes, Verlorenes etc.). Die Bewertungen, das Mögen und Nicht-Mögen, die dadurch gefärbte Wahrnehmung, die daraus resultierenden Gedanken und letztlich das aus diesem Gemenge erzeugte jeweilige(!) Ich-Bewusstsein (ich bin so und so, ich sollte so und so, mir wurde so und so...) bekommt der Betroffene überhaupt nicht mit. Er ist in der Tat in sich verstrickt.

Dies zu erkennen, bewusst mitzukriegen, ist der Effekt von Achtsamkeitsmeditation. Falls Dich das wirklich ernsthaft interessiert, empfehle ich das Büchlein Geistestraining durch Achtsamkeit von Nyanaponika, einem der ersten buddhistischen Mönche aus dem deutschsprachigen Raum. Jedoch bedarf es einfach einem echten Interesse daran. Dies ist nicht so einfach zu entfachen. Die Absicht, dadurch etwas zu lösen, ist schon legitim, aber bereits beim Lesen als auch dann in der Praxis sollte der Geist wirklich absichtslos sein. Das ist möglich!

@moo ich komme aus Kiel und Kieler Sprotten sind berühmt ! Ich danke dir sehr und ich verstehe es auch. Das Weghabenwollen, Loswerden ist sehr menschlich und in unserer Leistungsgesellschaft ja auch erwünscht. Ich wünsche mir dann mein normales Leben zurück. Ich habe aber eben auch gemerkt, dass es so nicht funktioniert und ich mich tatsächlich in mich verstricke . Deshalb bin ich offen für andere Wege und ja, deshalb interessiere ich mich sehr dafür. Aber es macht mir auch Angst; die Gedanken sind tricky ; sie sagen mir, das sei nicht gut für mich und würde alles noch schlimmer machen. Ich werde mir das Buch ansehen. Wo kann ich noch mehr über Kontemplation erfahren? Liebe Grüße

@moo Darf ich fragen, ob du betroffen bist oder warst oder bist du Berater hier ?

Zitat von Sprotte:
ich komme aus Kiel

Hab ich mir fast gedacht

Zitat von Sprotte:
Darf ich fragen, ob du betroffen bist oder warst

Siehe Profil - da gibt´s eine kurze Übersicht.

Zitat von Sprotte:
Deshalb bin ich offen für andere Wege und ja, deshalb interessiere ich mich sehr dafür. Aber es macht mir auch Angst; die Gedanken sind tricky; sie sagen mir, das sei nicht gut für mich und würde alles noch schlimmer machen.

Es ist in der Tat meist diese Mischung: Interesse und Angst für/vor Veränderung und gleichzeitig die Panik des Egos, den Boden unter den Füßen zu verlieren.
Einsicht gefährdet letztlich das Ego - deshalb die Angst, Panik. Einsicht ist nämlich wirklich nicht gut für mich (=für das Festhalten an der Ich-Illusion). Der Geist haftet um sein Leben an dieser Illusion an und kann deshalb nicht einfach so loslassen.
Während der Praxis der Kontemplation gehen wir erste Schritte und erkennen die Anhaftung und das daraus entstehende Leiden.
Wenn Du Angst vor Meditation hast, ist Kontemplation wohl ein für Dich passenderer Weg. Beide sind tragfähig. Man darf sie allerdings nicht so messerscharf trennen, denn Einsichten ergeben sich aus beiden.

Zitat von Sprotte:
Wo kann ich noch mehr über Kontemplation erfahren?

Versuche es einfach mal mit dem o. g. Buch. Letztlich ist die Lektüre bereits Kontemplation, sofern Du mit offenem Herzen liest. Derlei Texte haben eh nicht viel mit diskursivem Verstehen zu tun und wirken deshalb völlig anders als wir es bisher gewohnt sind.
Sie haben nichts mit Therapie zu tun sondern schauen genau in den Geist. Das Verstehen des Geistes erfolgt nonverbal, auch wenn wir (anfangs) Worte und Denken gebrauchen. Gib dem Buch also eine Chance. Wenn Du damit gar nicht zurecht kommst, melde Dich gerne per PN - ich habe noch einige andere Titel und auch Bücher abzugeben.
Sponsor-Mitgliedschaft

@moo Danke, du beschreibst ganz genau, wie es mir damit geht. Das Buch werde ich mir besorgen. Hab einen schönen Sonntag! Liebe Grüße von Martina

@moo Sorry, doch noch eine Frage. Wie geht Kontemplation im Alltag. Also, ich habe ein ausgeprägtes Morgentief und habe morgens die meisten Angste und Unsicherheiten. Was genau kann ich tun; ich meine so aus dem Moment heraus ? Entschuldige, wenn ich dich nerve

Zitat von Sprotte:
... ich habe ein ausgeprägtes Morgentief und habe morgens die meisten Ängste und Unsicherheiten. Was genau kann ich tun; ich meine so aus dem Moment heraus ?

Kontemplation unterscheidet idealerweise nicht - weder zwischen Alltag, Morgen, Abend, Angst, Mut usw.
Die Kontemplation verstellt quasi den Bewertungs- und Interpretationsmechanismen den Weg.
Das kann, um bei Deinem Beispiel zu bleiben, folgendermaßen ausschauen:

Bereits beim Erwachen konzentrierst Du Dich nicht auf Gedanken oder Gefühle (beides sind nämlich bereits im weitesten Sinne Interpretationen!) sondern auf körperliche Empfindungen. IdR ist das beim unmittelbaren Erwachen das bewusste Erleben des Atems. Denke bitte dabei nicht ich atme sondern lass das Ich weg. Atmen findet statt. Atmen erleben ist etwas anderes als zu denken: ich atme.

Daraus ergibt sich, wenn das egofreie Erleben wirklich zugelassen wird, eine nicht zu unterschätzende Einsicht bzw. eine Infragestellung: Wer ist es denn dann, der das Stattfinden des Atmens mitbekommt?

Wenn Du das hier jetzt liest, mag es wie philosophische Phrasen klingen, doch wenn Du es wirklich praktizierst, ist allein schon diese kleine Übung (eigentlich ist es ein ausgewachsener Versuch!) eine völlig neue Ausrichtung des Geistes! Sie kehrt buchstäblich unseren Blick um. Manche sagen dazu, den Blick nach innen richten. Ich bevorzuge die Formulierung Innen und Außen loszulassen.

Es gibt bei dieser Übung kein Wissen zu erlangen, kein intellektuelles oder gar therapeutisches Fazit zu ziehen. Es gibt nichts zu gewinnen, da während der Praxis im Grunde sowohl Gewinn als auch Gewinner gar nicht existieren.

Ebenso kannst Du mit jener Emotion (letztlich ist es lediglich ein Geisteszustand) umgehen, die wir Angst nennen. Ich habe in diesem Thread im Beitrag #2 (Pure Angst) z. B. eine Kontemplationsmöglichkeit formuliert. Sie zeigt nur die ungefähre Richtung, wohin das laufen könnte. Jede(r) tut das individuell.

Schönen Sonntag auch Dir!

A


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