Ich / Selbst / Seele
Dieser Text stammt von meinem besten Freund und Wegbegleiter und wurde vor 14 Tagen verfasst. Er behandelt eine der Hauptursachen des menschlichen Dilemmas aus Sicht der Buddhistischen Befreiungslehre (Dhamma). Auch diesbezügliche Meditationswege werden behandelt. Es wurde nicht explizit für das Forum geschrieben, doch ich habe seine Freigabe zur Veröffentlichung. Es sind gedruckt 9 Seiten - also ein Tässchen Tee und genügend Zeit mitbringen...
Ein bisschen Spaß muss sein!
Dhamma für Junkies
Ein bisschen Spaß muss sein, so wird gerne mal gesagt. Warum eigentlich? Warum
der Imperativ "muss"? Weil es beim Spaß bei genauer Betrachtung letztlich immer
um Zwang geht. Spaß, Freude, Glück und Zufriedenheit sind für den Normalbürger
immer mit Bedürfnisbefriedigung verbunden, aber weder wird die Ursache, sprich:
die Bedürftigkeit untersucht, noch die vermeintliche Befriedigung in Frage gestellt.
Werfen wir zunächst einen Blick auf die vermeintliche Befriedigung. Haben Sie
schon einmal etwas Befriedigendes erlebt? Vermutlich werden Sie die Frage bejahen.
Wer nicht?! Aber wenn das, was Sie und ich als befriedigend bezeichnen, tatsächlich
dieser Beschreibung gerecht werden würde, warum brauchen wir "es" dann immer
wieder? Ja, gerade wenn etwas als besonders befriedigend erlebt wurde, schreit dies
geradezu nach einer Wiederholung: Nach dem S. ist vor dem S., nach dem
Konzert ist vor dem Konzert, nach dem tollen Essen ist vor dem tollen Essen, und so
fort. Wann tritt denn endlich die versprochene Befriedigung ein, eine die wirklich
einmal friedlich ist und nicht ständig nach "wieder, öfter und mehr" verlangt?
Eine Erinnerung an einen typischen Freitag in jungen Jahren: Man machte früher
Feierabend, verbrachte den Nachmittag z.B. mit Sport, traf sich zum gemeinsamen
Abendessen, immer mit Blick auf die Uhr, denn man beabsichtigte ja noch in die
Spätvorstellung des Kinos zu gehen. Wenn man dann, weit nach Mitternacht, völlig
verhirnstrudelt aus dem Kino kam, war eine der ersten Fragen garantiert: "Gehn wir
noch was trinken, oder wollt ihr schon heim?" Egal was man an dem Tag schon alles
unternommen und erlebt hatte - es war nie genug.
In einem Gedicht schrieb Theodor Storm (1817-1888):
Der eine fragt: Was kommt danach?
Der andre fragt nur: Ist es recht?
Und also unterscheidet sich der Freie von dem Knecht.
Wer aber ist hier der Freie, wer der Knecht?
Zunächst mag es wirklich wie
Freiheit erscheinen, fragen zu können, was denn als nächstes auf dem Programm
steht. Die Möglichkeit der Auswahl. Nur, ist es denn tatsächlich eine Möglichkeit
wählen zu können oder ein Zwang wählen zu müssen? Freiheit? Knechtschaft!
Lächerliche Lakaien ihrer Leidenschaften blicken voller Arroganz auf diejenigen
herab, die in ihren Augen die Diener sind.
Aber wer hat den strengeren, unnachgiebigeren Herrn? Einen brutalen Antreiber,
der sie rund um die Uhr, Tag für Tag auf Trab hält: "Iss jetzt dies, trink jetzt das, kauf
jenes, schau dort hin, geh da hin, !"
Wie bei jeder Sucht gilt es, diese zunächst einmal überhaupt als eine solche
anzuerkennen. Das setzt aber das Erkennen voraus und dazu muss man hinsehen
wollen. Die vermeintliche Befriedigung ist aber nichts anderes als eine Sucht,
nämlich die Sinnensucht, welche ständig bedient werden muss, um eine noch viel
größere Sucht die dahinter liegt, zufriedenzustellen: die Selbstsucht. Dieses
essentielle Bedürfnis, ein bestimmter Jemand sein oder werden zu wollen, jemand der
nur auf eine ganz bestimmte Weise glücklich und zufrieden sein kann, zwingt uns
unablässig dazu, den angenehmen Sinneszufluß aufrecht zu erhalten. Wie unsere
jahrzehntelangen Bemühungen um diese Befriedigung beweist: sie ist der zwecklose
Versuch am Untauglichen.
Es gibt Menschen, die dem hiesigen Winter gen Süden entfliehen, andere
versuchen der Sommerhitze durch Reisen in kühlere Regionen zu entkommen. Den
Stadtmensch zieht es auf's Land, den Landmensch in die Stadt. Europäer machen in
Asien Urlaub und die Asiaten reisen zu uns. Mit gigantischem technischen Aufwand
führen wir das Leben von Amöben, welche auch nichts anderes tun, als angenehmene
Lebensbedingungen zu suchen. Homo sapiens?
Nichtsdestotrotz erleben die meisten, angeblich vernunftbegabten Menschen ihr
Amöbendasein nicht als solches. Wie es ein Herr in schönster Verblendung einmal
ausdrückte: "Ich sehe mein Leben aus der Perspektive des Zugewinns."
Ein Zugewinn ist aber, wie der Name schon sagt, etwas das wächst und mehr
wird. Was aber wächst und wird mehr, wenn wir durch ständiges Wiederholen und
Nachlegen des immer Gleichen nur wieder den Grad an Zufriedenheit erlangen, den
wir schon einmal hatten, jetzt aber ganz offensichtlich nicht mehr haben? Das was
hier als Zugewinn bezeichnet wird, ist bestenfalls Niveauregulierung, eigentlich aber
Verlustausgleich.
Sehen Sie sich doch einmal den Spülkasten in Ihrer Toilette an: Wie viel Wasser
ist dort schon hineingeflossen? Es müssen Kubikmeter sein. Und wie viel Wasser
befindet sich tatsächlich darin? Einige wenige Liter. Das sogenannte befriedigende
Zugewinnerleben ist nichts weiter als ein Spülkastendasein. Mit zunehmenden Alter
lässt sich auch der Abfluss nicht mehr so gut kontrollieren und der Zufluss verkalkt
zunehmend. Es wird immer schwieriger das Zufriedenheitsniveau zu halten und der
Zustand ständigen Mangels tritt immer deutlicher zu Tage.
Wie oben erwähnt, liegt dem Wunsch nach Sinnesbefriedigung eine
Bedürftigkeit, ein chronischer Mangel zu Grunde. Woher kommt dieser Mangel? Es
ist das andauernde Bedürfnis nach Selbst-Bestätigung.
In der ersten der Vier Edlen Wahrheiten beschreibt der Buddha genau dieses
Problem: Es existiert Dukkha das Nicht-zufriedenstellende.
Was aber ist dieses Nicht-zufriedenstellende? Es ist das Aneinanderhaften, die
Zusammenballung der fünf Daseinsgruppen oder Erlebniskategorien zu einem
Persönlichkeitserleben: Form, Gefühl, Wahrnehmung, Absichten und Bewusstheit
verklumpen zu einem Selbst-Erleben. Da dieses Selbst-Erleben aber ausschließlich
auf unbeständigen, ja geradezu flüchtigen Komponenten beruht, ist es gar nicht
möglich jemand zu "sein" (im Sinne einer festen, beständigen, klar begrenzten und
unabhängigen Persönlichkeit), sondern es ist ein ständiges Werdens-Streben, welches
nie an ein Ziel gelangt nie an ein Ziel gelangen kann!
Solange dieses unsinnige Werdens-Streben nicht als solches erkannt wird, sind
die Menschen gezwungen, bis zu ihrem Lebensende wie ein Esel der vor der Nase
baumelnden Karotte des Befriedigungsversprechens nachzulaufen. Oder wie es
jemand sehr treffend formulierte: Der Tod ist das endgültige Scheitern der
Selbstoptimierung.
Um nun das Werdens-Streben, also diese Sucht der Selbst-Bestätigung, als eine
echte Suchtkrankheit erkennen zu können, genügt es, wie bei jeder Sucht, sich auf
Entzug zu setzen. Wie geschieht dies? Durch freiwillige Selbstbehinderung, wie es
ein edler Freund und Wegbegleiter einmal bezeichnete. Wenn Ihnen der Begriff
Selbstbehinderung zu rabiat erscheint, können Sie gerne auch Selbstbeschränkung
dazu sagen. Diese ist sehr einfach zu erlangen: Setzen Sie sich einfach einmal hin und
tun das, was Sie so oft schon tun wollten: nichts!
Nehmen Sie sich einmal eine halbe Stunde Zeit, in der Sie keine wichtigen
Aufgaben zu erledigen haben. Schauen Sie, dass Sie weder hungrig noch durstig sind
(wenn möglich auch kein Völlegefühl haben). Blase und Darm sollten auch soweit
entleert sein, dass sie sich in dieser halben Stunde nicht unangenehm bemerkbar
machen. Sitzen Sie aufrecht aber nicht steif an einem Ort, der nicht viel Ablenkung
bietet. Sie befinden sich in einer friedlichen und nicht bedrohlichen Umgebung.
Niemand zwingt Sie zu irgend etwas. Machen Sie sich klar, dass es in den nächsten
dreißig Minuten keine Aufgabe zu erledigen gibt. Sie müssen nichts erreichen oder
am Ende irgendein Resultat vorweisen. Sie dürfen jetzt einfach heiter-gelassen
verweilen. Vorsicht: es geht hierbei nicht darum, apathisch abzuhängen oder bräsig
stumpf vor sich hinzudösen.
Können Sie hellwach und klar diesen gegenwärtigen Moment, so wie er ist,
erleben ohne korrigierend einzugreifen? Es ist ein Angebot des Friedens und der
Freiheit. Sind Sie in der Lage, dieses Angebot anzunehmen? Und wenn ja, für wie
lange?
Nach wie viel Minuten (oder bereits Sekunden) fängt der Kampf mit der
Gegenwart an? Welche Reaktionen tauchen auf? Langeweile, Unmut, Ängste? Das
Abschweifen in Erinnerungen, Phantasien, Hoffnungen oder Befürchtungen?
Eigentlich gäbe es keine Grund zur Unzufriedenheit, denn alle körperlichen
Bedürfnisse sind gestillt und geistig haben wir auch keine Aufgabe, keinen Stress.
Warum halten wir es im gegenwärtigen Moment, so wie er ist, nur so kurz aus? Weil
er dem Ego kein Futter bietet. Weil wir die Flüchtigkeit aller Eindrücke erkennen
könnten und in dieser Instabilität das Ego keinen Halt fände.
Um die Selbst-Illusion aufrecht zu erhalten, muss der süchtige Geist seinen
"Stoff" bekommen und dieser Stoff ist je nach Charakter unterschiedlich ausgeprägt.
"Es" muss etwas in einer bestimmten Form erlebt werden. Dieses "Es" ist die Illusion
eines festen, beständigen und von der (Außen-)Welt unabhängigen Selbst und dieses
Selbst definiert sich über bestimmte Attribute, welche kontinuierlich gepflegt werden
müssen.
Manche identifizieren sich über ihre Tätigkeiten und sind gezwungen ständig
etwas zu tun, nämlich "ihre" Arbeit, die "sie selbst" geleistet haben, wobei sie
komplett ignorieren, dass egal was sie tun, nichts davon völlig selbstständig und
unabhängig von anderen Personen und äußeren Umständen zustande kommen kann.
Andere brauchen den ständigen Sinneskitzel in Form von Klängen, Bildern,
Gerüchen und Geschmäckern. Abwechslung um jeden Preis, nur ja kein Innehalten,
keine Stille oder Pause, denn sonst würde der mangelnde Ereignisschub das Ego zum
Taumeln bringen.
Nicht zuletzt gibt es auch sehr viele, die sich über ihren Intellekt definieren.
Diese brauchen zwar weniger die groben Sinnesreize, wohl aber Futter für den
Verstand. Ob es sich dabei um tiefsinnigste Philosophien handelt oder um technischwissenschaftliche
Planspiele ist zweitrangig, Hauptsache der geistige Waldi hat einen
saftigen Knochen: "Ich denke, also bin ich!".
Was allen gemein ist: ein Befriedigungsgefühl ist nur unter bestimmten äußeren
Umständen und mit beträchtlichem Aufwand an Energie zu erreichen und immer
nur temporär. Echte, beständige Zufriedenheit kann so nicht verwirklicht werden.
Nur wen bereits im Laufe des Lebens die Ahnung beschleicht, dass bei diesen
"Befriedigungen" etwas ganz grundsätzlich nicht stimmt, wird das Interesse und auch
den Mut(!) aufbringen, sich und seine Denk- und Verhaltensmuster einer echten
Analyse zu unterziehen. Das Ausrufungszeichen hinter Mut steht dort durchaus zu
Recht, denn es gehört eine gehörige Portion Mut dazu, das eigene Selbstbild zu
zerlegen, denn dieses entpuppt sich schon sehr schnell als bloße Vorstellung und was
hinter dieser Da-vorstellung zum Vorschein kommt, ist oft sehr ernüchternd, wenn
nicht gar schockierend.
Bereits die oben erwähnte Zen-Übung des nicht-eingreifenden, rein
beobachtenden Verweilens (jap.: shikantaza) offenbart sehr schnell die Grundkräfte,
welche uns ständig durchs Leben ziehen und pressen: Gier und Hass. Auch wenn
diese Begriffe äußerst zutreffend sind, rufen sie häufig Protest hervor: "Ich hasse
doch niemanden!" "Ich bin doch kein gieriger Mensch!" Nun, auch in verdünnter
Form bleibt eine Säure eine Säure, Sie können schließlich auch mit edelstem
Balsamico-Essig Kalkreste auflösen. Und mit Sicherheit würden Sie Abstand davon
nehmen, Katzenpisse zu trinken, selbst wenn diese in extrem verdünnter Form
serviert würde. Aber gut, ich biete Ihnen zwei verträgliche Euphemismen für Gier
und Hass an: Begehren und Aversion, einverstanden?
Nicht selten bekommt man von Neulingen (aber auch von alten Hasen) bei sog.
Retreats (dt.: Meditations-Klausur oder -Exerzitien) zu hören, dass in den ersten
Tagen die Zustände, wegen denen man sich ja erst zu einem Retreat entschlossen hat,
immer schlimmer würden. Dieser Eindruck täuscht; es zeigt sich unser mentaler Ist-
Zustand nur erstmals ungeschminkt und dieser Anblick passt meist nicht zum
Selbstbild und wird deshalb vehement geleugnet. "Ich bin doch nicht so!"
Keineswegs, aber das Ich ist so und genau darum geht es in der Dhammapraxis
dieses erlebte Ich genau zu betrachten, sein Zustandekommen zu erkennen und der
Frage Raum zu geben, ob es denn erstrebenswert ist, dieses nie-zufriedenstellende Ich
weiter zu kultivieren.
Hier stellt sich die Weiche zwischen Wohlbefinden (Wellness) und Entzug,
Entsüchtung und letztlich völliger Befreiung. Durch bestimmte Methoden, unter
Zuhilfenahme der Gruppendynamik, können geschickte Lehrer(?) ihren Schülern
(Kunden) leicht den Eindruck vermitteln, das Problem der ständigen Unzufriedenheit
ließe sich wegkonzentrieren. Was ja nachweislich auch funktioniert nur, wie lange?
Na eben bis zum nächsten (kostenpflichtigen) Retreat. Anstatt die Ursachen zu
beseitigen, werden sie neu verpackt, um die Symptome temporär zu lindern. Mittels
bestimmter Techniken wird dem Begehren nach angenehmen Zuständen und der
Aversion gegen den gegenwärtigen Istzustand nachgegeben und so versucht, eine
dauerhafte Befriedigung zu erreichen. Dass sich so aber kein Frieden finden lässt, ist
schon allein deshalb offenkundig, weil diese Techniken meist einen bestimmten
Rahmen (Ort, Gruppe, Guru, etc.) erfordern, welcher im Alltag niemals aufrecht zu
erhalten ist.
Eine Lehre, die zur Befreiung von dieser chronischen Unzufriedenheit namens
Dukkha führen soll, muss eben auch der Bezeichnung "Lehre" gerecht werden, d.h.
sie muss eine nachvollziehbare Theorie enthalten, die sich dann aber auch in eine
orts-, gruppen- und lehrerunabhängige, sprich: selbstständige Praxis entwickeln kann.
Der Weg in die (Sucht-)Freiheit beginnt mit diesem o.g. beobachtenden
Verweilen, welches uns ermöglicht, den Ist-Zustand klar und unverzerrt zu
betrachten. Wenn uns das, was wir dann sehen nicht gefällt um so besser. Weshalb
sollten wir praktizieren, wenn es nicht eine unschönen Grund dafür gäbe? Das was
wir da erkennen können, ist unsere Ausgangslage. Diese nicht zu akzeptieren oder gar
zu leugnen, wäre nicht nur wenig hilfreich im Sinne einer Befreiung, sondern
schlichtweg absurd.
Der nächste Schritt besteht darin, dieses Verweilen auszudehnen, oder um es sehr
deutlich auszudrücken: sich dem Entzug auszusetzen, ohne sofort reaktiv
einzuknicken. Was passiert tatsächlich, wenn ich meiner Gier und meinem Hass nicht
sofort nachgebe? (Verzeihung, ich meinte natürlich das Begehren und die Aversion.)
Was passiert, wenn ich dem Ego-gequengel nicht Folge leiste? Es wird lauter. Je
länger ich einfach still verweile, desto mehr Geschütze fährt das "arme und
vernachlässigte" Selbst jetzt auf: Unmut, Ärger bis hin zum Zorn über diese
"schwachsinnige Zeitverschwendung!"; Langeweile, die in Träumerei flüchtet;
Unwohlsein bis hin zur Panikattacke. Wenn alle psychischen Werkzeuge versagen
und man trotzdem sitzen bleibt, greift das Ego in die physische Trickkiste:
Schmerzen, die uns klar machen, dass wir unsere Gesundheit nachhaltig schädigen,
wenn wir diese minutenlange Tortur nicht sofort abbrechen. (Wobei anzumerken ist,
dass manche Personen auf Grund von bestimmten Erkrankungen wie etwa
Hämorrhoiden oder Bandscheibenproblemen tatsächlich besser daran täten, im Gehen
und Stehen zu Üben, was übrigens genauso gut funktioniert.)
Wenn Sie Ihre Lebenszeit auch bereits in Jahrzehnten messen und falls Sie über
eine durchschnittliche Verdauung verfügen, dann rechnen Sie sich doch einmal aus,
wie oft Sie in diesem Leben schon auf dem "Topf" saßen und ihren Darm entleert
haben. Sie dürften eine fünfstellige Zahl als Resultat erhalten. Waren Sie immer in
der gleichen Verfassung bei diesem Vorgang? Wohl kaum; Sie werden Ihr Häufchen
mal müde, mal wach, mal gesund, mal krank, mal glücklich oder traurig versenkt
haben. Genau diese Haltung ist bei einer Meditation, welche zu einer brauchbaren
Einsicht verhelfen soll von Nöten. Es spielt nicht die geringste Rolle, in welchem
mentalen Zustand Sie sich befinden, wenn Sie meditieren Sie können trotz aller
Unannehmlichkeiten einfach sitzen und beobachten. (Einzig auf die Darmentleerung
sollte dabei verzichtet werden.)
Gelingt es Ihnen, etwas länger bei der Sache bei Ihrer Sache zu bleiben,
können Sie einige sehr interessante Phänomene beobachten:
1.) Was auch immer an mentalem Tumult auftaucht, er erweist sich als
unbeständig. Selbst länger anhaltende Zustände, wie Ärger, Angst oder depressive
Stimmungen sind bei genauerer Betrachtung gar nicht so gleichförmig und stabil und
kontinuierlich, wie sie auf den ersten und oberflächlichen Eindruck erscheinen.
2.) Wenn diese Zustände a) unbeständig sind und b) ohnehin von mir nicht
erwünscht sind: Was haben diese Zustände dann tatsächlich mit mir zu tun?
3.) Wie ist es überhaupt möglich irgendeine Beschreibung des gegenwärtigen
Geisteszustandes zu machen? Offenbar gibt es hier eine übergeordnete Instanz, die
Bescheid weiß. Aber diese Instanz selbst ist mit den Geisteszuständen gar nicht
involviert! Das Wissen um den Ärger ist nicht verärgert; das Wissen um die Angst ist
nicht verängstigt; usw..
4.) Das Kennenlernen dieser distanzierten Erlebnisebene schafft zunehmend
größer werdende Inseln von Stille und Frieden. Eine ganz neue Glückserfahrung wird
gemacht: man lernt das "grundlose" Glück kennen. Grundlos in zweierlei Hinsicht:
Erstens gibt es keinen ersichtlichen Grund im herkömmlichen Sinne für dieses
Glücksempfinden, schließlich tut man ja mal nichts, um einen solchen Zustand zu
erreichen. Es wird nichts konsumiert, man sucht keinen speziellen Ort mit
"Eventcharakter" auf, ja ganz im Gegenteil: man verweilt evtl. gerade bei einem
Geisteszustand der eigentlich alles andere als angenehm ist! Diese "Grundlosigkeit"
im alltäglichen Sinne ist natürlich durchaus kausal, aber diese Kausalität beruht auf
der nicht-wollenden und nicht-ablehnenden Haltung gegenüber dem, was jetzt so ist,
wie es eben ist.
Zweitens ist dieses Glückserlebnis deshalb grundlos, weil diese Quelle sich nicht
erschöpft; man kann ihr nie auf den Grund kommen. Alle anderen, gewöhnlichen
Freuden sind meist sehr schnell ausgeschöpft, weil sich entweder die äußeren
Umstände verändern oder bei gleich bleibenden Umständen sich die innere
Einstellung dazu ändert. Hören Sie sich einfach Ihr Lieblingsmusikstück
ununterbrochen den ganzen Tag an und Sie wissen, was ich meine. Oder verbringen
Sie einfach mehr Zeit im Kreise Ihrer Liebsten, also sehr, sehr viel mehr Zeit
Hier ist aber eine Freude erlebbar, die auf der Freiheit von allen Begebenheiten
beruht. Ein Glück das auf einer Unbewegtheit basiert, wie ein Rohr, das nicht von
den Durchflüssen mitgerissen wird. Anders ausgedrückt: Das Erleben ist unabhängig
vom Erlebnis; der Geist ist nicht sein Inhalt. Das leidende, süchtige Ego ernährt sich
aber ausschließlich von den Erlebnissen, den Geistesinhalten. Dies gilt es jetzt
genauer zu untersuchen.
Das rein beobachtende, nicht-eingreifende Verweilen erlaubt, ab einer gewissen
Stabilität, feinere Strukturen des alltäglichen Erlebnisprozesses zu erkennen. Unser
gesamtes menschliches Lebens-Erleben beruht auf Sinneskontakt, wobei der Buddha
zu den uns bekannten fünf Sinnen auch das Denken als Sinn begreift. Sinneskontakt
kann in drei Komponenten zerlegt werden: Das Erfassende, das Erfasste und das
Erfassen. Am Beispiel des Sehens sehr leicht nachvollziehbar: Das Sehende (Auge
incl. Zubehör), das Gesehene (Form, Farbe und/oder deren Veränderung), der
Sehvorgang (Seheindruck). Wie bei einem Bleistift: Spitzes Ende, stumpfes Ende und
der Schaft, der die Enden verbindet. Keine der Komponenten kann an und für sich
existieren. Falls Sie jetzt einwenden wollen, das ein Auge auch für sich allein, ohne
ein zu Sehendes und einen Sehvorgang existieren kann, dann haben Sie "Auge" im
Zusammenhang von Sinneskontakt nicht verstanden. Die reine "Biomasse" mag im
pathologischen Sinne ja als Auge bezeichnet werden, zum Auge als solches wird es
erst durch den Kontakt. Ein blinder Mensch mag zwar auch über zwei gallertartige
Auswüchse verfügen, Augen als solche stehen ihm leider nicht zur Verfügung.
Nun ist aber jeder Sinneskontakt mit dieser, eher technischen Beschreibung nur
unzureichend erfasst, denn zu jedem Sinneserleben gehört ja auch das bewusste
Erleben eines solchen. In der Sprache des Buddha heißt dies Viñña und bedeutet
wörtlich soviel wie "getrennt wissen" oder "unterscheidend erkennen". Dies ist leicht
zu verstehen, denn wir wissen ja sehr wohl, ob wir nun sehen oder hören oder
schmecken oder was auch immer. Der westliche Begriff des Bewusstseins ist sehr
irreführend, da dort von einem, dem Bewusstsein ausgegangen wird, in dem sich
unser Erleben abspielt. Dieses Bewusstsein ist aber das, was der Buddha als Viñña-
Khandha bezeichnet hat, also die Anhäufung aller stattfindenden Bewusstheiten.
Zusätzlich gibt es beim Sinneserleben noch eine entscheidende Komponente,
welche ausschlaggebend ist für unsere ganze Daseinsproblematik: das Gefühl. Auch
hier gilt es, diesen Begriff von unserer landläufigen Bedeutung klar zu unterscheiden.
Das, was wir gemeinhin als Gefühle bezeichnen, sind meist Empfindungen oder
Emotionen. Diese setzen sich aber aus Wahrnehmung, also Sinneskontakt (Spüren
oder Denken), der Bewusstheit darüber und dem begleitenden Gefühl zusammen. Das
begleitende Gefühl kennt aber nur zwei Kategorien: angenehm oder unangenehm*. (*Anm: Das häufig als neutral bezeichnete Gefühl gibt es lt. den Lehrreden nicht. Was sehr wohl existiert ist ein wederangenehmes-
noch-unangenehmes Gefühl, welches je nach dem, ob es als solches überhaupt erkannt wird, als
angenehm erlebt wird, ansonsten als unangenehm. (Siehe z.B. MN44 oder in der Vedan-Samyutta SN 36,3)
Das was als "neutrales Gefühl" bezeichnet wird, ist das gesamte Vedan-Khandha, also die Gesamtmasse aller
akuten Gefühle welche sich gerade die Waage halten, somit ein sowohl-als-auch und kein weder-noch Gefühl!
Hier liegt entweder Unkenntnis der Lehre vor oder ein Mangel an Klarblick oder beides.)
Wird nun eine Sinneswahrnehmung von einem angenehmen Gefühl begleitet, tritt
umgehend das Begehren (Gier) auf, diesen Zustand zu steigern oder zumindest zu
halten. In Begleitung eines unangenehmen Gefühls tritt die Aversion (Hass) auf den
Plan und bemüht sich diesen Umstand zu vermeiden. So oder so: ein klarbewusstes
Erkennen dieser begleitenden Gefühlserscheinung und somit ein unbewegtes Erleben
findet nicht statt, sondern sofort reagieren die ungebändigten Triebe mit Pro oder
Contra und zwingen uns zu einer Reaktion. Eine Reaktion, die wie gesagt eine
Zwangshandlung darstellt und somit weit entfernt von jeder vermeintlichen
"Willensfreiheit" ist und außerdem meist überflüssig, wenn nicht gar unheilsam ist.
Diese Reaktionen führen nämlich zwangsläufig zu einer Situationsänderung, auf die
wieder mit dem gleichen Muster reagiert werden muss, ad infinitum.
Der klassische Suchtzirkel: Aus unreflektierter Unzufriedenheit wird nach einer
Lösung gegriffen, die, weil sie nur die Symptome bekämpft, automatisch wieder zum
Ausgangspunkt der Unzufriedenheit zurückleitet, was zum erneuten Greifen der
vermeintlichen Lösung führt, nun mit Dosiserhöhung, , Burn-out, Depression, ,
Dro., Psychopharmaka, , , Tod, Wiedergeburt, Alter, Krankheit, Tod:
Gehen Sie zurück auf Los, ziehen Sie keine Erkenntnis ein und fangen Sie das immer
gleiche Spiel von vorne an.
Ein bisschen Spaß müsste jetzt schon sein, aber was macht noch Spaß beim Blick
in den Spiegel oder am Grab eines geliebten Menschen?
Was unterscheidet nun einen völlig erwachten Menschen (Arahant) von einem,
der das Ende des Heilpfades noch nicht erreicht hat? So ein Arahant erlebt auch ein
Sehen, Hören, Riechen, etc., sprich: er hört, sieht und denkt und scheint sich in
seinem Verhalten nicht großmächtig von dem anderer Menschen zu unterscheiden.
Der Unterschied besteht darin, dass bei uns (Sie gestatten, dass ich auch Sie zum
Kreise der Unerleuchteten zähle?) eben kein Sehen, Hören oder Denken stattfindet,
sondern dass bei uns ein "Ich sehe etwas.", "Ich höre etwas.", "Ich denke etwas."
geschieht. Es kommt mangels klarbewusstem Erkennen (sati-sampajañña) zu einem
folgenschweren mentalen Bruch:
Dort wo ein Arahant bestenfalls unterscheidet, dort trennen wir und schaffen so
ein ICH in einer davon getrennten WELT. Das Erleben wird von einem angeblich
unabhängigen Erleber abgesondert, obwohl beides, wie gesagt zwar unterscheidbar,
nicht aber trennbar ist. Wenn nun dieser durch Verblendung erzeugte Erleber mit
"seinem" Erleben nicht zufrieden ist und wie könnte er es sein, wenn sich das
Erleben ständig verändert? - versucht er ebenso ständig das Erleben, sprich: die Welt
seinen Bedürfnissen anzupassen, mit den bekannten Resultaten.
Der nicht länger verblendete Arahant hat dieses unsinnige Bemühen eingestellt
und sich von seiner Rolle als Ego-Akteur im Welt-Theater verabschiedet und lebt
seither in heiter-gelassener Zufriedenheit. Außenstehende können dies aber nicht
erkennen, denn auch ein Arahant erlebt ja nach wie vor Wahrnehmung durch
Sinneskontakt, mitsamt den damit verbunden angenehmen, aber auch unangenehmen
Gefühlen. Nur ist bereits der Ausdruck " ein Arahant erlebt ..." irreführend, weil
eigentlich niemand mehr da ist, der etwas erlebt; es findet einfach nur ein Erleben
statt. Dies ist vielleicht der wesentliche Unterschied zwischen dem Heilsuchenden und
dem, der es bereits gefunden hat: diese "m": Ein Erleben statt mein Erleben, ein
Körper statt mein Körper, ein Gedanke statt mein Gedanke. Der Unterschied scheint
marginal zu sein, aber wie heißt es im Shinjin Mei so schön: "Ein Haarbreit Abstand
und schon klaffen Himmel und Hölle auseinander."
Wir rotieren auf der samsarischen Töpferscheibe auf immer verschiedenen
Umlaufbahnen im Kreis, ohne jemals wirklich ein zufriedenstellendes Ende zu
erreichen. Kämpfen wir aber gegen die Zentrifugalkräfte des Begehrens und der
Aversion (darf ich Gier und Hass sagen?) an und erreichen den Mittelpunkt der
Töpferscheibe unseren Mittelpunkt, nämlich den unbewegten, klarbewussten Geist
dann gibt es keine Umlaufbahn mehr, kein Rotieren, denn der Mittelpunkt dreht
sich nicht. Dort ist der Ausgang aus Samsara, wie in Dantes "Göttlicher Komödie",
wo der Ausgang aus der Hölle mitten in ihr zu finden ist.
Wir müssen uns nicht bemühen irgendwohin zu kommen oder besondere
magische Fähigkeiten und Kräfte zu entwickeln. Es ist alles schon da was wir
brauchen und auch das was der Buddha als das Ungeborene, das Nicht-bedingte, das
Nicht-gestaltete, das Todlose bezeichnet hat, also Nibbana, auch dies war und ist nie
getrennt von uns; wir können es nur nicht sehen, weil wir in unserem GierHass-
Kettenkarussel zu schnell daran vorbeirasen.
Früher antwortete ich gerne auf die Frage, warum ich denn Zen praktiziere mit:
"Weil ich verrückt bin!" Ver-rückt im wahrsten Sinne des Wortes, nämlich aus der
Mitte des Friedens herausgerückt und meine Aufgabe ist es mich wieder zu Zentrieren.
Wenn man sich hier nicht im Wortspiel verliert, erkennt man die einfache aber
tiefe Wahrheit dahinter.
Ich wünsche Ihnen, dass Sie es schaffen Ihr Kettenkarussell wenigstens so weit zu
verlangsamen, dass Sie die Strukturen der unheilsamen Selbstsucht erkennen können
und evtl. sogar den Knopf zum Anhalten finden. Möge Ihnen der Ausstieg gelingen.
Ich danke Ihnen für Ihr Interesse.
* * *
P.S.: Vergessen Sie bitte nicht, gelegentlich ein Heißgetränk Ihrer Wahl in Begleitung
von etwas Gebäck zu verzehren, denn:
Ein bisschen Spaß darf sein!
15.04.2021 08:27 •
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