Zwangsatmung (das Gefühl, ohne bewusste Atmungssteuerung zu ersticken)Auch dieses Phänomen ist lediglich eine
konzentrierte Fokussierung des Geistes auf einen körperlichen Aspekt. Der Eine hört sein Blut rauschen, sein Herz schlagen, der Andere eben seine Lunge atmen. Der Geist sucht sich, je nach dahinter liegender mentaler Thematik, ein körperliches Objekt, das er
stellvertretend für die Thematik ins Zentrum seiner Gewahrsamkeit rückt.
Zu dem
physischen Objekt
Atmung/Lunge möchte ich hypothetisch ein paar mögliche
psychische Äquivalente nennen:
- Leben, Zeitnot, Ausdauer, Warten, Ungeduld, Eile, Unerledigtes, Langeweile, Zuständigkeit, Versäumnis, Reue, Letzte Chance, Verantwortung, Eingesperrtsein uvm.
Die Atmung ist ein körperlicher Vorgang, der auch vom ungeübten Geist bis zu einem gewissen Grad gesteuert und kontrolliert werden kann. Darum liegt es nahe, dass der Geist die Atmung als
Ersatzobjekt nimmt, um so - unbewusst - die o. g. Äquivalente zu
bedienen.
Hinzu kommt, dass man gemeinhin von meiner Atmung ausgeht. Sie gehört
mir, sie dient
mir, sie läuft in
mir ab,
ich atme usw. Das verlockt zu der Überzeugung, dass ich mit der Kontrolle des Atmens auch die Kontrolle über
mein Leben erlange. Obwohl das in mancherlei Hinsicht bis zu einem gewissen Grad auch stimmt (erfahrene Yogis und Meditierende wissen, wovon ich spreche), begeht ein
ängstlicher Geist jedoch einen entscheidenden Fehler: er arbeitet nicht mit Achtsamkeit und Weisheit mit dem Atem sondern
fürchtet sich vor ihm - besser: vor seinem
Ausbleiben. Und er fürchtet sich vor
sich selber - vor seiner
Verantwortung, den Atem zu steuern bzw. aufrecht zu erhalten.
Ich habe das Gefühl, wenn ich nicht bewusst weiteratme, hört die Atmung auf!
Ein oft gegebener Rat ist, der Muskulatur solange (
geistig) nicht das Einatmen zu befehlen, bis der
Körper die Regie übernimmt und sich - meist durch ein tiefes Luftholen nimmt, was er braucht. Der Lerneffekt ist jedoch m. E. minimal. Denn wenn man genau hinschaut, geht es bei diesem Atmungszwang nicht um einen möglichen Tod durch Atemstillstand, sondern um die Leidhaftigkeit, von dem Zwang des Steuernmüssens nicht mehr loszukommen.
Somit müssen wir zurück zu dem ängstlichen Geist kommen. Letztlich ist die Zwangsatmung eine verkörperlichte Variante der Angststörung (Angst vor der Angst).
Wenn wir dies verstehen und am eigenen Körper und Geist nachvollziehen können, können wir nun daran gehen und das Atmen
nutzen, um der Angst mit Aufmerksamkeit entgegenzukommen. Der Atem darf dabei jedoch nicht als Werkzeug missbraucht bzw. missverstanden werden. Um dies sicherzustellen, sollten wir ein neues Verständnis von Atmung etablieren:
Wir werden geatmet.Wer mag, kann dies auch einer höheren Macht oder Energie oder einem Naturprinzip überverantworten. Ich persönlich benutze hingegen eine etwas weniger dramatische Formulierung:
atmen findet statt.Sie hat mit mir nichts zu tun und ist doch nicht getrennt von mir. Ich bin Atmung und Atmung ist Nicht-Ich.
Weiters sollte nun ganz ergebnisoffen
am Körper untersucht werden, was denn Atmung überhaupt ist. Wo ist sie wann konkret? Wo beginnt konkret die Ein- und wo die Ausatmung usw. Es ist wichtig, dabei keine biologischen Abläufe zu zitieren sondern lediglich die körperliche Erfahrung dessen, was wir gemeinhin Atmung nennen, zu
erleben - und zwar nonverbal!
Dabei werden wir feststellen, dass es eigentlich unmöglich ist, eine körperliche Definition - also Abgrenzung - von dem,
was Atmung ist und dem was Atmung nicht ist zu geben!
Dann sollte die Atmung
im Geist untersucht werden. Wo gehört sie (vermeintlich) mir, wo kommt sie von außen? Wie ist mein Geist beschaffen, wenn die Atmung kurz und schnell bzw. lang und tief ist. Wie kann Einatmen geistig interpretiert werden, wie Ausatmen? Wo ist
geistig überhaupt Innen, wo Außen? Kann ich Freude einatmen und Sorgen ausatmen?
Diese Übungen sollten uns ein neues bzw. realistischeres Verständnis ermöglichen. Sofern Atmung verstanden wird, schwindet unser unterbewusster Missbrauch. Vor allem wird idealerweise auch mal kurz die Seligkeit empfunden, wie wunderbar Atmung unseren Geist mit dem Körper vereint und wie sie gegenseitig wechselwirken.