ich habe ja länger nix geschrieben, nun mal wieder ein Erfahrungsbericht über eine Konfrontation:
Ich bin in den Urlaub geflogen. Das waren die ersten Flüge seit zehn Jahren. Als (Ex?-) Herzphobiker habe ich alle klassischen dazugehörigen Befürchtungen: Angst davor, …
- - in der Enge des Flugzeugs durchzudrehen
- unterwegs eine Herzattacke zu erleiden
- einen Allergieschock vom Board-Food zu bekommen
- den ganzen Urlaub in Dauerangst zu erleben
- Nicht-weg-können-vom-Urlaubsort
- Absturz
- Terror
- unangenehme Mitpassagiere
Kurzfazit:
Die Woche vorher war extremster Stress. Die Erwartungsangst war deutlich größer als alle Angstsymptome, die ich später wirklich hatte. Als ich Flieger saß, fing es tatsächlich an, besser zu werden. Die letzte Stunde Flug war dann wirklich entspannt. Der Rückflug war dann quasi angstfrei. Der Urlaub war toll.
Langversion:
Ich bin ja ziemlich erfolgreich therapierter Herzphobiker. Fliegen stand noch auf meiner Liste der Dinge, die ich mir unbedingt zurückerobern will. Und eine so große Konfrontation wirkt bei mir immer auch im Alltag nach, so nach dem Motto: Pfhh, Angst vorm Zugfahren? Ist ja lächerlich, du warst doch schon fliegen … Also entschied ich (mit Frau Amyg.Dala) es nach zahlreichen, der Angst geschuldeten Nahfeld-Urlauben mal wieder mit einer Flugreise zu versuchen.
Ich hatte mich offenbar ganz gut vorbereitet: Auffrischungsgespräch mit meiner Ex-Therapeutin, Tavor für den absoluten Notfall besorgt (nicht benutzt), alle Gedanken und ihre Entkräftungen aufgeschrieben und immer wieder durchgegangen, viele Stunden im Flugangst-Forum gelesen (sehr kompetente Antworten von Piloten, Begleitern, Vielfliegern). Flightradar24 geguckt (beruhigend zu sehen, wie viele Flieger in der Luft sind, um die ich mir überhaupt keine Sorgen mache). Und ich bin eine Woche vorher schon mal zum Flughafen gefahren und habe mir ein paar Starts, Landungen, die Abflughalle und die Atmosphäre dort angesehen. Die Zugfahrt war auch schon eine Konfrontation, aber gemessen an dem Flug ein Witz.
Allen oben genannten Befürchtungen gemein ist ja, dass sie natürlich möglich sind. All das kann wirklich passieren. Aber alle sind eben auch gleichermaßen unwahrscheinlich. Das muss dann nur noch rein in den Kopf. Das klappte in der Woche vorher mal besser und mal schlechter, insgesamt war die Woche vorher sehr anstrengend, die letzte Nacht die Hölle, so dass ich zwischendurch immer mal dachte: Scheixx auf das Geld und fahr ins Allgäu, da kannste schön abhängen ohne den ganzen Stress vorher.
Absturz, Terror und technische Probleme habe ich immer und immer wieder durch meine Gedankenstopps bearbeitet und mit Wahrscheinlichkeitsrechnung in Schach gehalten. Übrig blieb letztlich der Gedanke, im Flugzeug zum medizinischen Notfall zu werden. Da hilft kein Entkräften und kein Drumrumreden: Ja, das kann (jedem) passieren. Das Risiko muss ich also eingehen, wenn ich in den Urlaub will.
Die Gangway runter hatte ich wohl die meisten Herzstolperer meiner Extrasystolen-Karriere ever. Als ich schließlich im Flugzeug saß, wurde ich tatsächlich etwas gelassener. Der Platz war gar nicht so knapp wie befürchtet, es gab keine besoffenen Ballermann-Touristen, keine Verspätungen. Direkt nach dem Start köchelte nochmal der Gedanke hoch: So, jetzt kannst du hier 2,5 Stunden nicht weg … , den ich aber auch in den Griff bekam. Ich hatte dann nicht mehr wirklich Angst, sondern war eher maximal aufgeregt: schwitzige Hände, zügiger Puls, viele viele Extrasystolen.
Im Flugverlauf habe ich dann versucht, mich wirklich auf den Text zu konzentrieren den ich las. So nach einer knappen Stunde war ich dann so entspannt wie zuhause auf dem Sofa (naja, fast).
Der Urlaub war klasse, ich total stolz, und selbst der nahende Rückflug machte keinen Stress. Direkt auf dem Flughafen wurde ich dann natürlich wieder hochnervös, wendete aber wieder die bewährten Methoden an, die auch tatsächlich wieder wirkten.
Der Rückflug selbst war dann wirklich entspannt.
Fazit:
Ich bin sehr froh, das gemacht zu haben. Das war wieder ein großer Schritt in zurück in die Normalität. Denn es war auch immer so ein wenig der Gedanke: Naja, so toll gesund bist du nun auch nicht, du traust dich ja noch nicht mal in den Flieger.
Fliegen gehört nicht zu meinem Alltag, es ginge auch ohne. Beruflich ist es zur Zeit nicht nötig. Es gibt auch genügend Ziele, die mir gefallen, zu denen ich nicht fliegen muss. Aber der Gedanke: Das werde ich niemals sehen können, weil ich nicht dorthin komme, der ist schon sehr präsent gewesen. Und den gibt es nun so nicht mehr. Das find ich gut.
So long,
Amyg. Dala
02.04.2014 10:16 • • 12.12.2022 x 7 #1